Das Beispiel Tesla

Industrie gegen Bürger*inneninteressen

von Dr. Heidemarie Schroeder
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Im November 2019 kündigte Elon Musk an, im brandenburgischen Grünheide seine „Gigafactory“ errichten zu wollen. Fast augenblicklich begann nicht nur das Genehmigungsverfahren, sondern rodeten auch 34 Harvester Tag und Nacht teilweise über 100-jährige Kiefern und Laubbäume, die dem Altbestand unterpflanzt worden waren.

Der Ort Grünheide liegt südöstlich Berlins nur wenige Kilometer von der Stadtgrenze entfernt. Er erlangte traurige Berühmtheit, weil die Staatssicherheit der DDR hier nicht nur ein gigantisches Logistikzentrum unterhielt, sondern auch systematisch Westpakete, die für DDR-Bürger*innen bestimmt waren oder die als Irrläufer versehentlich in den Osten gelangten, plünderte. Dieses wie auch das Stapeln der Hinterlassenschaften von „Republikflüchtlingen“ endete mit dem Fall der Berliner Mauer. 2001 bewarben sich die Bayrischen Motorenwerke darum, das Gelände für die Errichtung einer Autofabrik nutzen zu dürfen. Dies passierte aus verschiedenen Gründen letztendlich nicht, die versprochene Rückgliederung des Waldes in das Landschaftsschutzgebiet Müggelspree - Löcknitzer Wald- und Seengebiet blieb dennoch aus. Gut zwanzig Jahre später konnte das Areal Tesla somit als Industriegebiet angeboten werden.

Unabhängig davon, dass es im Osten Deutschlands genug Industriebrachen gibt, für die nicht in der Nähe einer Viermillionenstadt Wald zerstört werden muss, der Name „Giga-Berlin“ reizte den Tech-Milliardär, und der Ministerpräsident Brandenburgs wie auch der Wirtschaftsminister freuten sich diebisch, wie gut eine Geheimhaltung der ersten Verhandlungen über den ehemals geheimen Ortsteil Freienbrink abermals funktionierte.

Ohne Bürger*innenbeteiligung
Grünheide ist keine in sich geschlossene Gemeinde. Seine Ortsteile schlängeln sich entlang der Flüsse und Seen, die in die für Brandenburg typischen Kiefernwälder eingebettet sind. Diese Wälder und Seen machen den Reiz der Landschaft aus und qualifizieren sie für den Status eines Landschaftsschutzgebietes. In diesem siedelt nun Tesla. Teslas Expansionsdrang war zwar vorauszusehen, fand aber keinen Niederschlag im Genehmigungsverfahren der Gigafactory 1. Nach Bundesimmissionsschutzgesetz ist ein solches Verfahren rein „antragsbezogen“, d.h. die abzusehenden Folgen einer Genehmigung werden dabei nicht berücksichtigt. Und hier zeigt sich nun die ganze Komplexität des Geschehens, welches bei den Anwohnern*innen zunehmend Unverständnis, Ärger und teilweise auch Widerstand hervorruft.

1.: Der Beschluss, das beschauliche Grünheide in ein Giga-Industriegebiet zu verwandeln, wurde getroffen, ohne die hier lebenden Menschen auch nur darüber zu informieren, viel weniger sie um ihre Meinung zu fragen. Die Auswirkungen der Ansiedlung auf Grünheide erweisen sich von Quartal zu Quartal als gigantischer. Wurde bei den Erörterungen während des Genehmigungsverfahrens die Absicht des Baus einer Batteriefabrik noch kategorisch verneint, entstand diese später durch „Umwidmung“ des Zwecks einer stattdessen genehmigten Errichtung einer Lagerhalle. Waren es zunächst „nur“ 308 Hektar Wald, welcher Tesla als Baugebiet offeriert wurde, kommen aktuell weitere 120 Hektar hinzu. Ein Ende des Flächenfraßes ist nicht abzusehen.

2.: Die Einwendungen, die über 800 Personen Anfang 2020 gegen den Bau der Gigafactory vorbrachten, dienten lediglich der Wahrung des Scheins. Eine Chance des Rückbaus der bereits im Probebetrieb befindlichen Gigafactory und der Herstellung des ursprünglichen Zustandes, i.e. die Wiedererrichtung des Waldes, gab es nie wirklich.

3.: Das „große öffentliche Interesse“ an der Werkserrichtung, welches durch die Schaffung von perspektivisch 40.000 Arbeitsplätzen gegeben sein soll, gab es in Grünheide nie. Hier betrug die Arbeitslosigkeit 2019 nur 5,6%. Handwerksbetriebe und kleines Gewerbe hatten schon immer Not, Mitarbeitende zu finden. Die Konkurrenz um Fachkräfte wird durch Tesla verschärft.

4.: Alles, was weiterhin knapp ist: Wohnraum, Plätze in Schulen und Kindertagesstätten, wird noch knapper. Die Mietpreise steigen. In allem, wo es so schon eng ist - auf Straßen, im Nahverkehr - wird es noch enger.

5.: Die knappen Mittel für den Ausbau von Infrastruktur in Brandenburg wird zukünftig primär Grünheide verschlingen. Die Gemeinde wird auf lange Zeit eine Baustelle sein.

6.: Die Region ist zwar gewässerreich, aber wasserarm. Tesla und die nachziehende Industrie / Gewerbe konkurrieren mit den bisherigen Nutzern um die knappe Ressource Trinkwasser. Die Menge an Trinkwasser, die Grünheider*innen ab 2025 verbrauchen dürfen, wurde von 175 l pro Person und Tag auf 105 l reduziert. Der Pegel der z.T. aus Grundwasser gespeisten Seen, an welchen die Menschen leben, ist durch fehlende Niederschläge und verstärkte Verdunstung infolge des Temperaturanstieges im letzten Jahrzehnt bereits stark gesunken. Der verursachte Wassermangel wird durch Tesla und die Folgen verstärkt.
7.: Dem durch Teslas Steuerzahlungen erhofften Geldsegen (6 Mio. Euro in 2021) steht bisher ein Hundertfaches an Ausgaben gegenüber, die Land und Gemeinde für Bahn / Bahnhof / Straßenbau zu stemmen haben. 

8.: Erstmalig innerhalb von vier Jahren hatten die Grünheider*innen Anfang 2024 die Gelegenheit, zu Tesla abzustimmen. Bei hoher Wahlbeteiligung stimmte eine Mehrheit gegen eine erneute Umwandlung eines Landschaftsschutzgebiets in ein Industriegebiet. Ihr Votum wurde missachtet.

9.: Zogen die Argumente, dass Elon Musk gottähnlich sei, dass Tesla-Autos einen essentiellen Beitrag zur Verkehrs- und Klimawende böten und dass viele Menschen gute Arbeit bei Tesla fänden, vor einiger Zeit noch, haben sie heute an Strahlkraft verloren. Der Klimanutzen von E-Autos mit großen Reichweiten, d.h. großen Batterien und daher SUV-ähnlicher Bauweise, wird zunehmend in Frage gestellt. Dass zusätzlich 300 Hektar Wald in Grünheide fallen sollen, um per Windpark grüne Energie zu erzeugen, mittels derer die Klimafreundlichkeit von BEV ja erst zustande kommt, verlangt den Grünheider*innen erneut ein Landschaftsopfer ab. Die Arbeit bei Tesla, die besonders von Berliner*innen mit migrantischem Hintergrund angenommen wird, ist weder gut bezahlt, noch tariflich abgesichert noch überhaupt sicher. Dass nicht nur Wirtschaftsminister Steinbach und Ministerpräsident Woidke (beide SPD, Anm. d. Red.) sich als Freunde Elon Musks präsentieren, sondern dieser auch freundschaftliche Gefühle gegenüber dem Kettensägen-Präsidenten Argentiniens, Javier Milei, und Nazis wie Björn Höcke und Martin Sellner hegt, schätzen in Grünheide wahrscheinlich nur AfD-Wähler*innen. 

Aus allem ist zu summieren, dass für Grünheide die Nachteile der Teslaansiedlung klar die postulierten Vorteile überwiegen. Dass das Negativvotum der Menschen zu der erneuten Umwandlung von Wald in Industriegebiet missachtet wurde, bekräftigt diese in der alten Ansicht, dass „die da oben“ eh machen, was sie wollen. Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesminister Robert Habeck bekräftigten kurz vor der Beschlussfassung der Gemeindevertretung zu dem Bebauungsplan, dass sie eine Erweiterung Teslas wünschten. Ähnlich hatte sich vor vier Jahren Bundeskanzlerin Angela Merkel gefreut, dass mit unseren Gesetzen und unseren Fördermöglichkeiten solche Dinge (die Teslaansiedlung) möglich seien. Das war und ist übelste Parteiergreifung zugunsten eines der reichsten Männer der Welt und zu Ungunsten der Grünheider*innen. Politikverdrossenheit, Wahlabstinenz und ein Wegdriften zu den „politischen Rändern“ sind die zu beobachtenden Folgen.

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Dr. Heidemarie Schroeder lebt in Grünheide und ist Mitglied des Naturschutzvereins „Grüne Liga“ und der Bürgerinitiativen „Bürgerinitiative Grünheide“ und der „Wassertafel Berlin-Brandenburg“.