Kroatien verbietet Friedenskonferenz

von Christine Schweitzer

Ein Treffen auf einer kleinen Insel in der Adria Anfang April hat die Regierung der Republik Kroatien ziemlich beunruhigt. Den Anordnungen aus Zagreb folgend, verboten die lokalen Behörden eine internationale Konferenz über die Demilitarisierung der kroatischen Insel Vis, denn eine Diskussion über Entmilitarisierung ist in Kroatien derzeit höchst unerwünscht. Doch die FriedensaktivistInnen trafen sich trotzdem - "privat" - auf Vis und das Projekt "Friedensinsel Vis" (vergleiche Frie-densforum 1/92) hat jetzt vielleicht mehr Öffentlichkeit sowohl in Kroatien wie international erlangt als es ohne das Verbot möglich gewesen wäre.

Vis ist neben Lastovo die am meisten militarisierte Insel in der Adria. Sie wurde nach dem zweiten Weltkrieg als Marinestützpunkt für die jugoslawische Flotte ausgebaut. Während des Krieges nutzte die Jugoslawische Volksarmee (JNA), inzwischen zum Aggressor im eigenen Land geworden, die Insel als Ausgangspunkt für ihre Angriffe auf die Städte an der dalmatinischen Küste. Jetzt muß sie, gemäß dem Waffenstillstandsabkommen, Vis und Lastovo räumen. Nur: Anstalten dazu macht sie keine. Sie verschiebt ihren Abzug von Monat zu Monat. Nachdem es zuletzt geheißen hatte, sie würde zum 1. Mai gehen, wird jetzt von Mitte oder Ende Mai gesprochen. Angesichts des Krieges in Bosnien-Herzegowina und anhaltender Kämpfe in einigen Teilen Kroatiens war es zwischen durch wieder zweifelhafter geworden, ob die JNA bereit ist, wirklich demnächst zu gehen.  Jetzt scheint es, daß sie Ende Mai wirklich abziehen werden. Die InselbewohnerInnen, ungefähr dreitausend Frauen, Männer und Kinder, blicken dem Tag des Abzugs mit recht gemischten Gefühlen entgegen: Einerseits wird die Anwesenheit der als feindlich angesehenen Armee als zunehmend unerträglich empfunden, andererseits ist die Angst groß, daß die Armee sich in letzter Minute zu Racheakten gegen die Bevölkerung hinreißen lassen könnte. Es ist sogar davon die Rede, daß sie die ganze Insel in die Luft sprengen könnte - die Mittel dazu besitzt die Armee, denn ausgedehnte unterirdische Bunker sollen mit Munition vollgestopft sein.

Doch die Besorgnis hat noch eine zweite, aktuelle Ursache. Es steht zu befürchten, daß die kroatische Regierung oder die Marine die Geduld verlieren und einen gewaltsamen "Befreiungs" versuch unternehmen könnte. Er würde wohl beinahe zwangsläufig zu der Zerstörung der Insel und dem Tod ihrer EinwohnerInnen führen, denn in diesem Fall dürfte die JNA sich keine Zurückhaltung mehr auferlegen. Anlaß für die Sorge ist eine Pressekonferenz, die General Letica von der Kroatischen Nationalgarde Anfang Mai in Split gegeben und auf der er gesagt hat, das kroatische Militär werde "geeignete Schritte" unternehmen, zöge die JNA nicht bis zum 15. Mai ab. Auch wenn starke Worte in Kroatien derzeit an der Tagesordnung sind, ist eine solche Option nicht auszuschließen.

Unter dem Schatten dieser doppelten Drohung macht das Projekt "Friedensinsel Vis" dennoch Fortschritte. Im Mai wird mit der Einrichtung eines Friedensbüros auf der Insel begonnen, dessen erste Aufgabe es ist, die Diskussion unter der Bevölkerung auf der Insel zu fördern und zu einer Meinungsbildung über die Frage, ob nach dem Abzug der JNA kroatisches Militär auf Vis stationiert oder die Insel demilitarisiert bleiben soll, beizutragen. Ein weiteres Vorhaben ist die Einrichtung eines "Europäischen Hauses", eines Kultur-und Tagungszentrums, in dem internationale Begegnungen stattfinden könnten, traditionelle Handwerkstechniken gepflegt, Möglichkeiten eines alternativen, sanften Tourismus erkundet und Seminare über verschiedene frie-denspolitische Themen stattfinden könnten.

Der nächste Monat dürfte nicht nur für die Zukunft des Projektes, sondern unter Umständen auch für das Schicksal der Insel entscheidend werden, denn die oben beschriebene Situation spitzt sich von Tag zu Tag zu. Aus diesem Grund bittet der internationale Koordinierungskreis (dem unter anderem jeweils einE VertreterIn des Komitees für Grundrechte und Demokratie, von Alpe Adria Alternativ, dem Friedensinstitut Ljubljana, der Antikriegskampagne Kroatien und den War Resisters' International angehören) um Hilfe und Unterstützung:

1)    Dabei zu helfen, Öffentlichkeit für das Projekt "Friedensinsel Vis" und für die beschriebenen Bedrohungen der Inseln Vis und Lastovo herzustellen.

2)    Euch bereit zu halten, Protestschreiben per Fax an die kroatische Regierung und Militär sowie an internationale Gremien zu richten, falls sich die Gefahr einer kroatischen "Befreiungs"aktion verdichtet. Hinter dieser Maßnahme steht der Gedanke, daß Proteste gerade deutscher StaatsbürgerInnen u.U. Einfluß auf kroatisches Regierungshandeln ausüben. Proteste sollten natürlich, der Ausgeglichenheit willen, auch an die Führung der JNA und die serbisch-jugo-slawische Regierung gerichtet werden, wenngleich hier die faktischen Einflußmöglichkeiten wohl gering sein dürften.

3)    Eine große Hilfe könnte eine Präsenz von AusländerInnen, insbesondere von namhaften Personen auf der Insel sein. Sie könnte u.U. eine Eskalation verhindern, denn Kroatien ist sehr auf internationales Wohlwollen bedacht. Eine militärische Aktion, die das Leben (westlicher) AusländerInnen gefährdet, wäre dem Ansehen Kroatiens nicht dienlich. (Bei einem solchen Aufruf muß natürlich darauf hingewiesen werden, daß eine Sicherheitsgarantie nicht besteht - von dem kaum beeinflußbaren Verhalten der mehr oder weniger herrenlosen Jugoslawischen Volksarmee mal ganz abgesehen.

Kontakt: Vis- Peace Island c/o Peace Institute Mestni trg 13, 61000 Ljubljana Slowenien oder in Deutschland: Unterstützungsgruppe c/o Komitee für Grundrechte und Demokratie, An der Gasse 1, 6121 Sensbachtal, Tel. 06068-2608

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.