Die Grenze zwischen Mexiko und den USA (Teil 2)

Mexiko: Profiteure der Abschreckung

von María-Eugenia Lüttmann
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Dieser Artikel ist die Fortsetzung des im Dezember erschienen ersten Teils. Beide Teile geben einen schnellen Überblick zu den zahlreichen Aspekten des komplexen Konfliktes an der Grenze zwischen Mexiko und den USA und ihren Profiteuren. Auf der Web-Plattform des RIB e.V. GN STAT (GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE, Fall 6) ist der vollständige Text zu finden. (1)

Im Jahr 2003 wurde im Auftrag des Pentagons ein Bericht erstellt, der die Bedrohungen der USA durch klimatisch bedingte Migration aufgrund von Katastrophen wie Dürren oder Orkane feststellen sollte, mit dem Ziel, die Grenzen so auszubauen, dass hungerleidende Migrant*innen aus den Karibischen Inseln, Mexiko und Südamerika von einem Grenzübertritt abgehalten würden. Dieser milliardenschwere Prozess war zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits seit 1994 im Gange, dank einer stetigen Aufstockung des Grenzschutzpersonals und der militärischen Bewaffnung desselben. Nach 9/11 suchte man die Unterstützung israelischer Unternehmen bei der Grenzsicherung und genehmigte Überwachungsflüge mit Hermes-Drohnen der Firma Elbit Systems.

Neu war aber, dass 2006 der Kongress die Ausrüstung der 700 Meilen langen Grenze zwischen Arizona und Sonora mit elektronischer Überwachungstechnologie, genannt SBINet genehmigte. Fünf Jahre später gab man dieses System auf und die CBP (Zoll- und Grenzpolizei) wandte sich 2012 erneut an Elbit. Für 145 Millionen US-Dollar wurde 2014 die Südgrenze Arizonas mit einem integrierten System aus elektronischen Wachtürmen und mit Radar bestückten Zeppelinen, Bodensensoren und Gesichtserkennungssoftware ausgestattet - alles, wie der Hersteller betonte, in Gaza felderprobte Produkte.

Mit der Aufstellung des „University of Arizona’s Global Advantage Programm“ mit den intendierten „Tech Parks“ nahm die Synergie der seit langem existierenden Zusammenarbeit israelischer und US-amerikanischen Waffenhersteller eine neue Gestalt an. Stephen Graham, Professor für Urbanismus, schreibt, dass der so entstehenden Sicherheits- und Militärindustriekomplex beide Länder wie mit einer Nabelschnur derart verbindet, dass man es eigentlich als ein einziges „diversifiziertes transnationales Gebilde“ betrachten kann.

„Palästina-Mexiko Grenze“
Der Journalist Jimmy Johnson prägte dafür den Begriff der „Palästina-Mexiko Grenze“. Jeff Halper, israelischer Professor für Ethnologie und Friedensaktivist, befürchtet, dass damit nicht nur israelische Technologie, sondern auch „der Sicherheitsstaat“ sich in der ganzen Welt breit macht, ein Gemenge aus Praktiken, die den Krieg „reframen“: Die Polizei wird militarisiert, das Militär bekommt Polizeiaufgaben. Halper nennt das den MISSILE Komplex, ein Akronym für „military, internal security, intelligence and law enforcement“. Israel verbreite so ein Kontrollsystem des „Global Palestine“.

Will Parrish von der Zeitschrift The Intercept schreibt, dass diese Art der Militarisierung hohe Profite für Technologie- und Verteidigungsunternehmen versprechen. Führende Firmen mit Grenzsicherungsaufträgen wie Lockheed Martin und Startups wie Andúril Industries versorgen neben israelischen Herstellern diesen wachsenden Markt mit IT und Überwachungssensoren, vor allem in Grenznähe. Seit 2016 wirbt der Staat Arizona mit den Tech Parks für Ansiedlung weiterer Waffenkonzerne. Die Abschottung wird konsolidiert: Begriffe wie „cyber-physical wall“ (eine zunehmend an Computern fernkontrollierte Wallanlage) oder „border security“ blenden erfolgreich aus, worum es hier geht: Menschen, die in ihrer Verzweiflung Schutz suchen.

US-Rüstungsproduktion in Mexiko
Aufgrund der niedrigen Löhne ist Mexiko seit langem ein attraktiver Produktionsstandort für die US-Industrie. Seit den 90er Jahren haben US-Rüstungsunternehmen in der Grenzregion Mexikos – im Rahmen der NADIB (North American Defense Industrial Bases) sog. „Maquiladoras“ eingerichtet – was man mit „Verarbeitungs- und Montagewerke“ übersetzen könnte –, um dort Teile für militärische Produkte herstellen zu lassen. Zu diesen Firmen gehören z.B. Emerson Space, GE Aerospace, Stuart-Warner, General Dynamics, TRZW, Westinghouse und Rockwell International u.a. Besondere Handelsabkommen zwischen beiden Staaten erlauben den USA, Material und Fertigteile zollfrei ein- und auszuführen. Die Endmo ntage all dieser militärischen und grenzsichernden Teile erfolgt „aus Sicherheitsgründen“ in den USA, wo dann auch erst der Mehrwert entsteht. Das NAFTA-Abkommen von 1994 hat den Firmen diese Möglichkeiten eröffnet und den Arbeitern Prosperität vorgegaukelt. Politisch herrschte die Vorstellung, man könne durch abschreckende Abschottung Migrant*innen auf der mexikanischen Seite halten und ihnen Arbeitsplätze zu Löhnen anbieten, die den Auftraggebern vielfach bis zu 90% Kosteneinsparung bringen. Die Arbeits- und Wohnverhältnisse der Arbeiter*innen – oft gestrandete Migrant*innen - stellen offenkundige Verletzungen der Menschenrechte in vielfacher Hinsicht dar, auch von mexikanischer Seite.

Gewalt gegen Migrant*innen, Opfer der Abschottung
Die ACLU (American Civil Liberties Union) registrierte in den letzten Jahren eine steigende Zahl von verhafteten und abgeschobenen Migrant*innen durch die Zoll-und Einwanderungsbehörde ICE. Die ACLU weist darauf hin, dass die Behörde dabei das von der 4. Ergänzung der US-amerikanischen Verfassungsänderung garantierte Recht auf Gleichbehandlung missachte, u.a. das Recht auf Anhörung und auf einen fairen Prozess. 2010 hat der Sender NPR (National Public Radio) einen Bericht darüber ausgestrahlt, wie Senator Russell Pearce das Einwanderungsgesetz in Arizona mit Hilfe großer Organisationen (z.B. die NRA- National Rifle Association) auf den Weg brachte und das zu einem „vielversprechenden neuen Markt“ für die private Gefängnisindustrie wurde.

Um Familien abzuschrecken, trennt die Border Patrol seit 2017 systematisch Kinder vom Säuglingsalter an von ihren Angehörigen und übergibt sie in die Obhut der Office of Refugee Resettlement (ORR). Trump hat diese Maßnahmen mit einem Erlass im Mai 2018 verstärkt. Bis Oktober 2020 waren insgesamt 5000 Familien betroffen und 2654 Kinder. Diese wurden auf 17 Staaten in 121 Unterbringungszentren verteilt. Viele der Kinder konnten inzwischen ihren Eltern zurückgegeben werden. Die Anwälte der ACLU betonen aber, dass (Stand 10.2020) die Eltern von 545 Kindern nicht gefunden werden können.

Menschen suchen Schutz in den USA und nehmen dafür lange Wege der Entbehrung und Erniedrigung in Kauf, erleiden Verluste, Hunger und Krankheit. Wenn sie es über die Grenze schaffen, erwartet sie fast überall die gnadenlos trockene Wüste. Ohne Orientierung verirren sie sich, kaum jemand überlebt bei sengenden Temperaturen länger als 48 Stunden. Sich an die Border Patrol zu wenden scheidet wegen der Gefahr der Verhaftung und Ausweisung aus. Hilfe in medizinischen Einrichtungen bleibt außen vor, da sie von der Border Patrol überwacht werden. Expert*innen schätzen, dass in den letzten 20 Jahren ca. 7.000 Menschen dort umgekommen sind, räumen aber ein, dass die Zahl sehr viel höher sein könnte. Minimale unkenntliche Reste können oft nicht mehr einer Person zugeordnet werden.

Der Tod als Abschreckungsinstrument, die Wüste als Waffe, das ist ein erklärtes Mittel der Abschottungspolitik der US-Regierung. Wie bei der „Alliance for global Justice“ nachzulesen ist, war 2010 in einem Bericht des „Congressional Research Service“ offen davon die Rede, mit der „new policy“ der Militarisierung urbaner Grenzabschnitte Migrantenströme in „geographisch harschere“ und abgelegene Gebiete zu leiten (z.B., die Arizona-Wüste), um sie von einem Grenzübertritt abzuhalten. Schon 1994 wurde im „Border Patrol Strategic Plan: 1994 and beyond. National Strategy“ diese Art der Abschreckung als geeignetes Mittel festgeschrieben, um die Sicherheit der Nation zu gewährleisten.   

Hilfe kommt aber von Seiten zivilgesellschaftlich engagierter Freiwilligen, meist aus christlich orientierten Kreisen. Einer der Gründer des „Sanctuary Movement“, Rev. John Fife von der Southside United Presbyterian Church in Tucson, organisierte ein Netzwerk, das schon in den 1990er Jahren die Hilfesuchenden durch Aufstellung von Wasserkanistern vor dem Verdursten bewahrte und Verletzten Kirchenasyl bot. Später kamen die „Samaritans“, „No more deaths“ und „The Tucson Samaritans, Human Borders“ hinzu, die es als ihre Pflicht empfinden, dort einzuspringen, wo der Staat versagt. Als Teil ihres Engagements betrachten sie es auch, den Versuch zu unternehmen, eine forensische Identifizierung der aufgefundenen Leichen zu erstellen – oft lediglich anhand von Knochenresten oder Papieren. So konnten Verwandte in Mexiko – nicht selten erst nach Jahren - aufgesucht und benachrichtigt werden.

Viele dieser Freiwilligen werden von den Behörden verfolgt, wie der Leiter der Gewerkschaft der Grenzpolizei offiziell und unverhohlen in Fox News 2020 äußerte. So geschehen, z.B. bei den 23-jährigen Shanti Sellz und Daniel Strauss, die während der extremen Hitzeperiode 2005 drei Schwerverletzte zur ärztlichen Versorgung in eine Kirche brachten. Wegen Schmuggel und Verschwörung wurden sie angeklagt und zu 15 Jahren Haft verurteilt.

Die zunehmend militarisierten Abschottungsprogramme der US-Regierung an dieser Grenze nahmen vor bald 100 Jahren ihren Anfang. Nichts weist darauf hin, dass sie nicht auch in Zukunft weiter bestehen werden. Trump war lediglich ein Zaungast in diesem Geschehen. Die US-Außenpolitik wird weiterhin von den Grundsätzen der Monroe- und Adams-Doktrinen und vom Nativismus bestimmt.

Fußnote
1 Das 1992 gegründete RüstungsInformationsBüro (RIB e.V., Freiburg) ist Aktionsbüro und Archiv für die Friedensbewegung und die Friedens- und Konfliktforschung

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