Die Bedrohung durch biologische Waffen nimmt zu

Militärische Nutzung der Gentechnik

von Jan van Aken
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Die rasante Entwicklung von Bio- und Gentechnologie in den letzten 20 Jahren hat den Einsatz von biologischen Waffen wahrscheinlicher gemacht. Biotechnisches Wissen ist mittlerweile weltweit verfügbar, und mit Hilfe der Gentechnik lassen sich noch tödlichere Erreger basteln. Doch die internationale Staatengemeinde scheitert daran, Kontrollmechanismen für die B-Waffen-Konvention auszuarbeiten. In Deutschland steht jetzt eine Debatte um die Grenzen der Defensivforschung an.

Biologische Waffen haben das Image von Superkillern: Einfach zu produzieren und mit einer simplen Spraydose in der U-Bahn einsetzbar, können sie Millionen von Menschen innerhalb kürzester Zeit töten. Tatsächlich ist die Produktion und der waffenmäßige Einsatz von Krankheitserregern im großen Maßstab technisch doch relativ schwierig und erfordert Spezialistenwissen, das noch vor wenigen Jahren nur wenigen Fachleuten zur Verfügung stand. In den sechziger Jahren steckte die Biotechnik noch in den Kinderschuhen und nur wenige Länder verfügten über das know-how, große Mengen an Bakterien oder Viren unter kontrollierten Bedingungen zu produzieren.

Diese technischen Probleme führten dazu, dass nur wenige Länder ein offensives B-Waffen-Programm unterhielten und ebneten so den Weg zu einem weltweiten Verbot biologischer Waffen, das in der Biowaffen-Konvention (Biological and Toxin Weapons Convention - BTWC) von 1972 festgeschrieben ist.

Damit wähnte sich die Welt in Sicherheit und das Thema verschwand weitgehend aus der politischen Auseinandersetzung. Tatsächlich haben jedoch mindestens zwei Unterzeichnerstaaten der BTWC - die frühere Sowjetunion und der Irak - nachweislich offensive B-Waffen-Programme unterhalten und damit nachhaltig gezeigt, wie wenig wirkungsvoll die BTWC tatsächlich ist.

In den letzten zwanzig Jahren hat sich das Bild durch die Revolution in der Biotechnologie grundlegend gewandelt. Heutzutage gehört es weltweit zur Grundausbildung in der Biologie, Mikroorganismen zu kultivieren und zu manipulieren. Weltweit existieren Forschungs- und Produktionsanlagen, die für die Herstellung von B-Waffen nutzbar gemacht werden könnten. Noch nie war es so leicht wie heute, eine biologische Waffe zu bauen. B-Waffen gelten heute als die "Atombomben des kleinen Mannes" - eine technisch mittlerweile relativ einfach herzustellende Massenvernichtungswaffe. Und die Gentechnik bietet ein unerschöpfliches Arsenal, biologische Waffen noch effektiver zu machen.
 

Gentechnik mit biologischen Waffen
Tödliche Viren und Bakterien, die Impfungen überwinden, Antibiotika überleben, obskure Kranheitssymptome auslösen und nicht von Nachweissystemen erfasst werden - was nach billigstem Science Fiction klingt, ist tatsächlich schon Realität. Mit Hilfe der Gentechnik werden bereits Erreger entwickelt, die sehr viel effektivere B-Waffen abgeben als die natürlichen Mikroben. Hier einige Beispiele, die in wissenschaftlichen Fachjournalen veröffentlicht wurden und damit sicherlich nur die Spitze des Eisberges widerspiegeln:
 

  •  Bakterien verursachen unübliche Krankheitssymptome: Russische Forscher haben ein Gen für das "Glückshormon" Endorphin in den Erreger der Hasenpest eingeschleust. Infizierte Personen würden nicht die üblichen Symptome der Hasenpest zeigen, sondern durch das Endorphin zusätzlich noch starke Verhaltensänderungen. Ehe die eigentliche Krankheitsursache erkannt ist, käme jede Hilfe zu spät.
     
  •  Harmlose Bakterien mit tödlichen Genen: Schon 1986 hat ein US-Team den lethalen Faktor der tödlichen Anthrax-Bakterien auf harmlose Darmbakterien übertragen. Die Forscher stellten fest, dass die Darmbakterien daraufhin einen Stoff produzierten, der den gleichen tödlichen Effekt verursacht wie das natürliche Anthrax.
     
  •  Unsichtbares Anthrax: Die Veröffentlichung einer russischen Forschungsarbeit hat 1997 für viel Wirbel gesorgt: Durch eine Genübertragung wurden Anthrax-Bakterien so verändert, dass sie ein verändertes "Gesicht" bekamen. Weder Impfungen noch Nachweisverfahren sprangen auf die veränderten Bakterien an. Brisanterweise haben die russischen Forscher gleichzeitig eine spezifischen Impfstoff für die "unsichtbare" Variante mit entwickelt - eine optimale Kombination für den offensiven Einsatz.
     
  •  Antibiotika-Resistenz: In der Gentechnik werden als Hilfsmittel häufig Gene eingesetzt, die eine Resistenz gegen Antibiotika verleihen. Diese Technik bekommt eine besondere Brisanz, wenn sie auf tödliche Krankheitserreger angewendet wird, die dann nicht mehr mit Antibiotika behandelt werden können. Aus verschiedenen Ländern sind Arbeiten bekannt, bei denen Antibiotikaresistenzen auf Anthrax oder Hasenpest übertragen wurden, den beiden wichtigsten Erregern aus dem Arsenal der B-Waffen-Konstrukteure.
     

Auch die Bundeswehr arbeitet im Rahmen der B-Waffen Defensivforschung mit Antibiotika-Resistenzen. An der Sanitätsakademie in München wird mit Hasenpest-Erregern gearbeitet, die gentechnisch gegen Tetracycline immun gemacht wurden. Sicherlich steht dahinter kein Interesse der Bundeswehr an offensiven B-Waffen. Die Antibiotika-Resistenz wurde nur aus technischen Gründen auf die Erreger übertragen. Unabhängig von den zugrundliegenden Motiven bleibt als Fakt betehen, dass mit dieser Genübertragung das Bakterium noch tödlicher, noch gefährlicher gemacht wurde.

Politischer Stillstand
Die politische Entwicklung hinkt der technischen meilenweit hinterher. Eine Debatte über Grenzen und Tabus gentechnischer Arbeiten an potentiellen B-Waffen findet nicht statt, und die Bemühungen um eine Stärkung der Biowaffen-Konvention dümpeln zäh vor sich hin.

Die BTWC ist einerseits ein sehr umfassendes Instrument, das jegliche Entwicklung, Produktion und Lagerung von biologischen Organismen für nicht-friedliche Zwecke prinzipiell verbietet. Andererseits ist sie zahnlos geblieben, denn es sind keinerlei Verifizierungsmaßnahmen vorgesehen. Seit Mitte der neunziger Jahre wird in Genf über ein Protokoll zur Stärkung der BTWC verhandelt, aber auch nach 20 mehrwöchigen Sitzungen wurde immer noch kein Durchbruch erzielt. Die entscheidenden Punkte - Export- und Laborkontrollen - sind nach wie vor sehr umstritten. Die Verhandlungen stehen im Schatten der "großen" Politik, Partikularinteressen verschiedener Länder - u.a. Indien, China, Russland und allen voran die USA - blockieren einen Fortschritt. Angesichts der steigenden Bedrohung wäre jetzt ein klares und unmissverständliches Signal der internationalen Staatengemeinde zur Ächtung von B-Waffen dringend notwendig.

Über die Genfer Verhandlungen hinaus ist jetzt eine öffentliche Diskussion um die Grenzen der Defensivforschung in Deutschland nötig. Defensivforschung ist nicht per se abzulehnen, denn jede medizinische Forschung ist im Prinzip auch Defensivforschung. Die Entwicklung eines Schnupfenmedikamentes oder einer Cholera-Impfung ist letztendlich auch Defensivforschung, weil sie im Falle eines militärischen Angriffes mit Schnupfenviren oder Cholera-Erregern eingesetzt werden könnte. Andererseits ist bei vielen Forschungsprojekten keine Unterscheidung in Offensiv- und Defensivforschung möglich, denn wer die Effektivität einer Impfung gegen Anthrax testen möchte, muss auch die tödlichen Anthraxbakterien selbst herstellen, lagern und anwenden können.

Eine dringend nötige Grenzziehung wäre ein Verbot gentechnischer Veränderungen von potentiellen B-Waffen. Die Bundeswehr sollte beispielsweise ihre Arbeiten mit antibiotikaresistenten Hasenpest-Erregern einstellen, um auch weltweit ein Signal zu geben. Ein globales Verbot der Übertragung von "waffentauglichen" Genen auf potentielle B-Waffen wäre ein wirkungsvolles Instrument, das zur Bekämpfung biologischer Waffen beitragen könnte.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt