Mit Gütekraft Gewalt überwinden

von Martin Arnold
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Unter den am Frieden Interessierten gibt es einen neuen Impuls, der mit dem Begriff Gütekraft verbunden ist.

"Die Geschichte wird unsere Zeit als eine Epoche der gigantischen Gewalt sehen, von Auschwitz und Atombombe bis zu Krimikultur und Krieg der Sterne. Gleichzeitig aber hat sich quer zum Gewaltkult eine Kraft herausgeformt, die zum Kristallisationskeim einer wesentlichen Veränderung werden kann: Die aktive Gewaltfreiheit ist von einem Ideal, das lange nur als Wunschtraum oder theoretisches Gebot abgetan wurde, zu einer realen Tat-Kraft gereift. Gewaltfreier Widerstand hat Diktatoren gestürzt, Kriege verhindert und Umweltzerstörungen gestoppt. Von Medien und Geschichtsbüchern noch kaum entdeckt, hat die neue Geschichte bereits begonnen, mit Tausenden von gewaltfreien Ereignissen weltweit. Sie handelt nicht mehr von Herrschern und Schlachten, sondern von Bewegungen und Aktionen - von den ´Reisen durch Mauern` beispielsweise, mit denen ´Bürgerdiplomat/innen` die Aufhebung des Eisernen Vorhangs einleiteten, von den tausend Sprengschächten entlang der innerdeutschen Grenze, die in einer einzigen Nacht zubetoniert wurden, von Hunderten Sonnenblumen, die aus den Sandsäcken des Kriegs in Zagreb wuchsen, von den Pflügen und Pflanzen, mit denen lateinamerikanische Bauern und Bäuerinnen ihr Land zurückeroberten."

Entdeckungsreise
"`Gütekraft` ist eine Übertragung von ´satyagraha` (sprich: Satjágraha), einer Wortneuschöpfung von Mohandas K. Gandhi in Sanskrit. Es gibt viele Übersetzungen und Übertragungen davon, u.a. ´Festhalten an der Wahrheit`, ´Macht der Liebe und Wahrheit`, ´truthpower`, ´Wahrheitskraft`, ´soul force`, ´Seelenkraft`...
 

`Güte` hat im Deutschen (wie ´satya` im Sanskrit) zwei Bedeutungen: eine das menschliche Miteinander betreffende (die von manchen als von Gott ausgehend betrachtet wird), wie die ´Güte` eines freundlichen Menschen, und eine auf Qualität, Wert, Echtheit hinweisende, wie in ´Gütesiegel`.

`Kraft` hat ebenfalls zwei Bedeutungen, die eine weist auf ein Potential hin, auf Macht, Stärke, Beharrungsvermögen (z.B. wie eine Eiche oder wie ein Grashalm), die andere auf Veränderung, Dynamik, Energie, Bewegung (z.B. wie Wind oder Wellen). Beide stecken auch in sanskrit ´agraha`, das mit ´Kraft` über das Indogermanische verwandt ist, wo die Wurzel beider Worte einen gekrümmten, gespannten Bogen bezeichnete; in dem Wort ´agraha` (vorn lang) ist heute in Indien das Nichtaufgeben auch bei Misserfolgen ein wichtiger Bedeutungsanteil." Reinhard Egel-Völp erläutert den Begriff Gütekraft "als Kompass für eine zweite Entdeckungsreise".

Es ist eine Forschungsreise für alle gemeint, deren ersten Schritt ein neues Buch darstellt: "Gütekraft erforschen - Kraft der Gewaltfreiheit, Satyagraha, Strength to love", herausgegeben von Martin Arnold und Gudrun Knittel. Mit zahlreichen Beispielen und Belegen eröffnet Birgit Berg die Fragestellung unter der Überschrift "Vom Gewaltkult zur Gütekraft". Sie fährt fort:

"Die realistische Handlungskraft der Gewaltfreiheit geht weit über bloßen ´Gewaltverzicht` hinaus - sie reicht von der persönlichen Schlagfertigkeit ohne Schläge bis zu politischen Kampagnen und Friedenskonzepten. Sie entwickelte pfiffige Fantasie ebenso wie Arbeitsprogramme mit Methoden, Seminaren und Projekten - ein konkretes ´Know how` mit Geheimniskern."

"50 Jahre nach dem Tod Gandhis brechen Menschen auf zu einer ... Entdeckungsreise", schreibt Reinhard Egel-Völp. "Es ist nicht auszuschließen, dass dabei Erfahrungen, Möglichkeiten, Kräfte (wieder)entdeckt, erforscht und nutzbar gemacht werden, die längst in der ´Natur` des Menschen angelegt sind und deren Anwendung mindestens ebenso revolutionär sein wird wie seinerzeit der Einzug der Elektrizität in den Alltag des Menschen.

Bereits Albert Schweitzer betrachtete die ´Gütigkeit` als eine Gewalt überwindende Kraft: ´Alle gewöhnliche Gewalt beschränkt sich selber. Denn sie erzeugt Gegengewalt, die ihr früher oder später ebenbürtig oder überlegen sein wird. Die Gütigkeit aber wirkt einfach und stetig. Sie erzeugt keine Spannungen, die sie beeinträchtigen. Bestehende Spannungen entspannt sie, Misstrauen und Missverständnisse bringt sie zur Verflüchtigung, sie verstärkt sich selber, indem sie Gütigkeit hervorruft. Darum ist sie die zweckmäßigste und intensivste Kraft.`"
 

Der Friedensforscher Johan Galtung ist einer der 15 AutorInnen des Sammelbandes: "Die Geschichte des gewaltsamen 20. Jahrhunderts zu schreiben, ohne auch die Voraussetzungen und Wirkungen gewaltfreier Bewegungen, ohne die Gütekraft zu erforschen, bedeutet, das Jahrhundert noch schlimmer zu machen...

Eines ist gewiss: Die Gütekraft hat sich als eine Schlüsselkomponente im Vorgang der Konflikttransformation etabliert."

Mit der Gütekraft die Friedensursachen erforschen
"Gütekraft ist eine hilfreiche ... Kategorie bei der bislang vernachlässigten Friedensursachenforschung als Ergänzung zur Kriegsursachenforschung." ergänzt Karlheinz Koppe, Generalsekretär der International Peace Research Association, in diesem Band.

Die meisten Menschen haben Erfahrungen mit der Gütekraft. Erfahrungswissen und kritische Wissenschaft ergänzen sich, AkademikerInnen und PraktikerInnen aus verschiedenen Bereichen schreiben aus unterschiedlichen Blickwinkeln und wissenschaftlichen Perspektiven über die Gütekraft und wollen gemeinsam zur Anregung der Friedensforschung beitragen.

Ziel der Forschung ist das Verstehen der Gütekraft und wie mit ihr Gewalt gemindert oder überwunden werden kann.

Mit der Zugkraft des neuen Begriffs werden die Quellen ins Bewusstsein gerückt, aus denen heraus Menschen imstande sind, in Auseinandersetzungen konstruktiv miteinander umzugehen.

Von der persönlichen Ebene bis zur Politik sind diese Quellen von Bedeutung. Viele andere Benennungen, auch aus anderen Ländern, sind am Beginn von Kapitel 1 aufgelistet. Sie bezeichnen einen großen Erfahrungsschatz. Dieser soll erforscht werden. In einer zweiten Stufe des Gesamtvorhabens sollen die Ergebnisse durch geeignete Veröffentlichungen, auch etwa durch Videos und Seminare, allgemein zugänglich gemacht und verbreitet werden.

Dieses Buch stellt mehr Fragen, als es Antworten gibt. Es will zum Mitmachen anregen: eigene Erfahrungen der LeserInnen, Ideen und Kritik sind willkommen.

Es spricht mit seiner Fragehaltung nicht nur bereits Friedensbewegte, sondern gerade auch SkeptikerInnen der Gewaltfreiheit an. Es lädt zu kritischem Mitwirken an der Bemühung ein, besser zu verstehen, was Gewalt überwinden kann.

Ein Freund sagte mir, er werde es als das Geschenk zu Weihnachten weitergeben, er bestellte 20 Exemplare - am Ende dieses Jahrhunderts und am Beginn eines neuen Jahrtausends eine Einladung, sich im Sinne weltweiter Bemühungen zur Überwindung von Gewalt auf einen ermutigenden Weg zur Gestaltung des Friedens zu machen.

"Gütekraft erforschen - Kraft der Gewaltfreiheit, Satyagraha, Strength to love", herausgegeben von Martin Arnold und Gudrun Knittel; Versöhnungsbund-Verlag, Minden 1999, 136 Seiten, 16 DM

Bestell-Adresse: Martin Arnold, Neißestr. 4, 45136 Essen, oder eMail: Martin [dot] Arnold [at] privat [dot] post [dot] de; Versand nach Eingang des Geldes incl. 2 DM Versandkosten auf Konto ("Martin Arnold") 3020343027, BLZ 350 601 90.

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