Buchbesprechung:

Ökonomie der Bürgerkriege

von Herbert Wulf
Hintergrund
Hintergrund

Die weit überwiegende Zahl der Kriege in dieser Welt wird heute nicht mehr wie früher zwischen verschiedenen Staaten um die Eroberung oder Verteidigung von Territorien, Rohstoffen, Macht und Prestige geführt. Fast alle Kriege der neunziger Jahre waren Bürgerkriege. Der Verlust gewohnter Denkschemata, die bis zum Ende des letzten Jahrzehnts die Welt in Ost und West, Kapitalismus und Kommunismus aufteilten, führte zu einer Diskussion über die Ursachen der gehäuft auftretenden innerstaatlichen Kriege. Sich auflösende Ordnungen und ein Wirrwarr örtlich aufbrechender Kämpfe, riefen und rufen sowohl bei Politikern, Diplomaten und Militärs als auch bei Analytikern aus der politischen Szene Ratlosigkeit und Beunruhigung hervor.

Eine Reihe von Erklärungen für das Ausbrechen dieser Kriege wird heute angeboten: ethnische Konflikte, bedenkenlose Globalisierung und Mafiasysteme, bei denen es zumeist um wirtschaftliche Ressourcen geht, werden als die häufigsten Ursachen genannt. Die Herausgeber der ökonomischen Studien der Bürgerkriege äußern Zweifel an der Tauglichkeit solcher Erklärungen und meinen, dass man die Konflikte von gestern nicht als politisch und ideologisch motiviert und die heutigen als ökonomisch verursacht klassifizieren könne.

Um die Intention der Studien klar zu beschreiben, die nach dem Titel "Ökonomie der Bürgerkriege" auch anders interpretiert werden könnte, betonen die Herausgeber in ihrem Vorwort, worum es ihnen geht: Sie wollen nicht eine weitere, eine ökonomisch orientierte Erklärung für die Ursachenmuster von Bürgerkriegen liefern, sondern in den Fallstudien zu aktuellen Bürgerkriegen wird beschrieben, wie die Bürgerkriegsparteien ihre materiellen Probleme - von der Versorgung mit Nahrungsmitteln bis zum Nachschub von Waffen und Munition - lösen. Denn diese materiellen Probleme stellen sich in den meisten Fällen den bewaffneten Bewegungen, egal welch ideologischer Couleur, als wirtschaftliche Zwänge dar, die so dominant sind, dass häufig die ursprünglichen Ziele der bewaffneten Auseinandersetzungen in den Hintergrund gedrängt werden oder ganz verloren gehen und lediglich die Versorgung und das Überleben der Bewegung als Ratio für den Kampf verbleibt. Die wirtschaftliche Dimension gegenwärtiger Konflikte wird nicht hinsichtlich der möglichen Ursachen untersucht, und die Autoren betonen ausdrücklich, dass Krieg in bestimmten Fällen als Mittel der Bereicherung dient oder gar zu einem "wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb" wird. Im Mittelpunkt stehen die unterschiedlichen ökonomischen Strategien der politisch-militärischen Akteure zur Finanzierung ihrer Kämpfe, zur Kontrolle der Bevölkerung und zur Aneignung staatlicher Privilegien.
 

Interessant ist, dass die Initiative für die Studien nicht konflikt- oder wirtschaftstheoretischer Natur war, sondern von Mitgliedern internationaler Hilfsorganisationen ausging, die mit ihren humanitären Interventionen in Bürgerkriegen immer wieder die Grenzen ihres Handelns vor Augen geführt bekamen und oftmals ungewollt mit Hilfslieferungen in Katastrophengebiete kämpfende Parteien unterstützten, obwohl sie vor allem die Rettung unschuldiger Menschen und die Beendigung der Kämpfe im Sinn hatten.

Mit Länderstudien zum Libanon, Kurdistan, Afghanistan, Kambodscha, Bosnien, Liberia, Mosambik, Südsudan und Kolumbien sowie vier weiteren, übergreifenden Studien zur Funktion von Embargos, dem Drogengeschäft, der Diaspora als Konfliktfinanzierung und der Humanitären Hilfe in der Kriegsökonomie, ist es den Autoren gelungen, ein bislang weitgehend unbeackertes Feld gründlich zu bearbeiten. Nicht nur Länderspezialisten, Regionalexperten und Kenner der Hintergründe aktueller Konflikte können die Analysen mit Gewinn lesen. Die Analyse der einzelnen Studien ist zumindest klar und auch verständlich geschrieben. Den Herausgebern ist es weitgehend gelungen, die Autoren an dem vorgegebenen roten Faden - nämlich der Ökonomie der Bürgerkriege - zu orientieren und verallgemeinernde Schlussfolgerungen zu ziehen. Eingänglich ist vor allem aber auch die vom Mitherausgeber Rufin verfasste Zusammenfassung »Kriegswirtschaft in internen Konflikten», die als Einführungskapitel erscheint. Hier werden die unterschiedlichen wirtschaftlichen Methoden zur Durchführung von Bürgerkriegen strukturiert dargestellt. Sie reichen von geschlossenen Kriegsökonomien, in denen ohne Kontakte zu externen Ressourcen Kriege geführt werden, bis zu den unterschiedlichen Formen offener Kriegsökonomien mit militärischen Rückzugsgebieten in Nachbarländern oder Raub und organisierter Kriminalität als Quelle zur Versorgung der Kämpfer. Schließlich wird auch die humanitäre Hilfe als Quelle zur Finanzierung von Kriegen untersucht.

Die Analysen erteilen einer zu Beginn der neunziger Jahre populären Annahme eine Absage, dass das Fehlen einer bestimmten Ressource die bewaffneten Bewegungen dazu zwingen werde, den Kampf aufzugeben, um Gnade zu bitten und sich wieder in das zivile Leben zu integrieren. Diese Annahme, vermutlich in der Hoffnung formuliert, nach dem Ende des Ost-Westkonfliktes durch Entzug externer Unterstützung, kämpfende Bewegungen unter Kontrolle bekommen zu können, hat sich als völlig illusorisch erwiesen. Vielmehr hat sich gezeigt, dass zum Kampf entschlossene Bewegungen häufig bei Versiegen einer Quelle (zum Beispiel der Hilfe von Verbündeten von außen) schnell auf andere "Finanzierungsformen" umsteigen. Oftmals hat dies jedoch noch härtere Formen der Auseinandersetzung und Unterdrückung der Bevölkerung in den Kriegsgebieten zur Folge.

FRANCOIS JEAN /JEAN-CHRISTOPHE RUFIN (Hg.): Ökonomie der Bürgerkriege, Hamburg, 1999, HIS Verlagsgesellschaft, 477 S.

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Hintergrund
Herbert Wulf war 1991 und 2002 bis 2007 Berater des United Nations Development Programme für Abrüstungsfragen in Nordkorea. e-mail: wulf.herbert(@)web.de; web: www.wulf-herbert.de