Plädoyer vor Gericht

von Gunter Kramp

Ich bin hier angeklagt eine Nötigung begangen zu haben.

§ 240 StGB lautet:

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

Ich soll also Gewalt angewendet haben. Vom gesunden Menschenverstand her ist ohnehin schon schwer zu verstehen, wie eine, auch nach Darstellung der Polizei, gewaltfreie Aktion Gewalt sein kann. Obwohl ich kein Jurist bin, habe ich mir trotzdem die Mühe gemacht, mich mit dem juristischen Gewaltbegriff des §240 zu befassen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Sitzung vom 10.1.95 entschieden, dass die zuvor übliche erweiterte Auslegung des Gewaltbegriffs in §240 StGB im Zusammenhang mit Sitzdemonstrationen gegen Art 103 Abs.2 GG verstößt.

Es hat dabei vor allem betont, dass die alleinige körperliche Anwesenheit in Form des auf einer Straße Sitzens nicht als Gewalt im Sinne von §240 StGB gewertet werden kann. Den Fahrern eventuell blockierter Fahrzeuge werde kein physisches, sondern lediglich ein psychisches Hindernis bereitet, damit sei keine Gewalt angewendet.

Aufgrund dieser Entscheidung wurde eine große Zahl von SitzblockiererInnen aus der Friedensbewegung in den folgenden Jahren in Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen.

Dies galt auch in Fällen, in denen mehrere Fahrzeuge blockiert wurden,obwohl das Bundesverfassungsgericht nur über einen Fall entschieden hatte, in dem nur ein Fahrzeug blockiert wurde.

Dabei wurde in einigen Fällen auch detailliert auf die Entscheidung des BGH vom 20.7.1995, das sogenannte "Zweite Reihe Urteil" eingegangen.

Beispiele dafür sind die Entscheidungen des OLG Koblenz 24.6.1996 und vom 14.8.1997 auf die ich hier verweisen möchte.

In der Begründung zum Urteil vom 24.6.1996 wird ausgeführt:

"Dieser Auffassung (zweite Reihe Urteil des BGH) kann jedoch nicht gefolgt werden.

a) Der Entscheidung des BVerfG kann eine Differenzierung in psychisch gehemmte Kraftfahrer in vorderster Reihe und physisch an der Weiterfahrt gehinderte Fahrzeugführer ab der zweiten Reihe nicht entnommen werden. Auch wenn seiner Entscheidung ein Sachverhalt zugrunde lag, bei dem lediglich ein Fahrzeug durch die Blockade an der Weiterfahrt gehindert wurde, läßt dies keinen Schluß darauf zu, daß die Behinderung weiterer Fahrzeuge weiterhin dem Gewaltbegriff unterfallen soll. Das BVerfG hat die erweiternde Auslegung des Gewaltbegriffs in diesem Bereich einschränkungslos für unvereinbar mit Art. 103 II GG erklärt.

c) Der in "erste" und "zweite" Fahrzeuge differenzierenden Auffassung des BGH kann auch noch aus einem weiteren Grund nicht gefolgt werden. Das BVerfG hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Bedeutung des Art. 103 II GG hervorgehobenen. Dieser verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, daß der Anwendungsbereich und die Tragweite des Strafttatbestandes aus dem Wortlaut abzuleiten oder jedenfalls durch Auslegung zu ermitteln sind (BVerfG, NJW 1995, 1141). Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck: Sie soll einmal sicherstellen, daß die Normadressaten vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Sie soll aber auch gewährleisten, daß die Entscheidung über strafwürdiges Verhalten im voraus vom Gesetzgeber und nicht erst nachträglich von der vollziehenden oder der rechtsprechenden Gewalt gefällt wird (BVerfGE 71, 108 (114ff.), NJW 1986, 1671; BVerfGE 73, 206 (234f.), NJW 1987, 43; BVerfG, NJW 1995, 1141). Für den Normadressaten ist es jedoch nicht vorhersehbar (und wohl auch nicht nachvollziehbar), daß er, wenn er sich an einer reinen Sitzblockade beteiligt, zwar gegenüber den ersten sich nähernden Kraftfahrer keine Gewalt ausübt, daß er aber gegenüber einem zweiten und allen evtl. nachfolgenden Fahrzeugführern nötigende Gewalt begeht, obwohl sein Verhalten, nämlich das Sitzen auf der Fahrbahn, völlig unverändert geblieben ist.

Daß die Unterscheidung zwischen dem ersten (nicht genötigten) und dem zweiten (genötigten) Fahrzeug untauglich ist, zeigt auch der Umstand, daß es, verkehrstechnisch gesehen, in den weitaus meisten Fällen dem zweiten (oder jedem beliebigen weiteren Kraftfahrer in einer Fahrzeugschlange) ein Leichtes wäre, auszuscheren und an den haltenden Vorderleuten vorbei bis zu den Sitzblockierern vorzustoßen. Ein solcher Fahrer wäre nunmehr auch nach Auffassung des BGH nur noch psychisch gehindert und nicht mehr strafbar genötigt. Auf ein derartiges Fahrmanöver, das ihnen rein verkehrstechnisch möglich wäre, verzichten die hinter den vordersten stehenden Kraftfahrer aber nur aus dem Bewußtsein heraus, daß sie wegen der weiter vorn auf der Fahrbahn sitzenden Menschen ohnehin nicht weiterkommen würden."

Ich befinde mich also durchaus im Einklang mit der Entscheidungspraxis der höchsten deutschen Gerichte, wenn ich hier keine Gewalt sehe.

Zusätzlich zur Gewalt als Tatbestandsmerkmal ist für die Rechtswidrigkeit einer Nötigungshandlung auch noch nötig, dass die Handlung zu dem angestrebten Zweck verwerflich war.

Zu diesem Aspekt verweise ich zunächst auf den bereits von mir erwähnten §34 StGB (Rechtfertigender Notstand) und Art. 25 GG.

Unser Handeln diente dem Schutz höherrangiger Rechtsgüter und kann daher nicht als verwerflich betrachtet werden.

Für den Fall dass das Gericht dieser Sichtweise nicht folgen sollte verweise ich auf die Entscheidung des BVerfG vom 24.10.2001.

Dort wird näher ausgeführt wie das Kriterium der Verwerflichkeit auf Sitzblockaden anzuwenden ist. Vorausgesetzt wird dabei bereits, dass Gewalt im Sinne des §240 vorliegt, was das BVerfG für die im zitierten Urteil behandelte Aktionsform, eine Ankettaktion, mehrheitlich bejaht hat.

Bei unserer Aktion liegt - wie bereits dargestellt - dies nicht vor, eine Verwerflichkeitsprüfung könnte also unterbleiben.

Eine Prüfung ergibt aber auch, dass Verwerflichkeit nicht vorliegt.

Grundsätzlich formuliert das BVerfG zunächst: (Abs. 61 des o.G. Urteils)

"Soweit eine strafrechtliche Sanktion eingesetzt wird, muss sie zum Schutz der Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit nicht nur geeignet, sondern auch angesichts der damit verbundenen Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit erforderlich und angemessen sein.

Das Gebot, das Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich Ziel und Gegenstand sowie Ort, Zeitpunkt und Art der Versammlung anzuerkennen, führt in einem solchen Fall dazu, dass die Gerichte die Einschätzung der Träger des Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu respektieren haben, wie sie ihre Aktion zur Verfolgung des Kommunikationszwecks gestalten wollen. Vom Selbstbestimmungsrecht der Grundrechtsträger ist jedoch nicht die Entscheidung umfasst, welche Beeinträchtigungen die Träger der kollidierenden Rechtsgüter hinzunehmen haben. Bei der Angemessenheitsprüfung haben die Gerichte daher auch zu fragen, ob das Selbstbestimmungsrecht unter hinreichender Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit ausgeübt worden ist. Der Einsatz des Mittels der Beeinträchtigung dieser Interessen ist zu dem angestrebten Versammlungszweck bewertend in Beziehung zu setzen, um zu klären, ob eine Strafsanktion zum Schutz der kollidierenden Rechtsgüter angemessen ist.

Insofern werden die näheren Umstände der Demonstration für die Verwerflichkeitsprüfung bedeutsam (vgl. BVerfGE 73, 206 [257]). In diesem Rahmen sind insbesondere auch Art und Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand (vgl. in Anknüpfung an BVerfGE 73, 206 [257] Eser, in: Festschrift für Jauch, 1990, S. 35 [39]). Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Gericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben."

Wie ich bereits ausgeführt habe, standen Ort, Zeit und Betroffene bei unserer Blockade in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem von uns vertretenen Anliegen. Die Aktion hatte keine Folgen, für am Krieg gänzlich Unbeteiligte, selbst für die Beteiligten an den, von uns nicht nur als unerwünscht, sondern auch als rechtswidrig erachteten, Handlungen hatte die Aktion nur geringe "Unannehmlichkeiten" zur Folge.

Nur um mal den Maßstab ein wenig geradezurücken: Diese Folgen sind bei weitem nicht zu vergleichen mit dem, was Menschen als Folge der kritisierten Kriegshandlungen zu erleiden hatten und noch haben.

Aussage zur Sache im Prozess vom 13.12.04
Mit meiner Beteiligung an der Sitzblockade wollte ich etwas gegen den völkerrechtswidrigen und somit auch verfassungswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak tun.

Mit der Blockade der Airbase wollte ich einen kleinen Beitrag dazu leisten, diesen Krieg zu verhindern, bzw. zumindest die deutsche Unterstützung dieses Krieges zu beenden.

Die Blockade der Airbase hatte aus meiner Sicht zwei Hauptzwecke:

a) Die direkte Behinderung der Kriegsunterstützung, z.B. dem Beladen von Flugzeugen mit Kriegsmaterial auf dem Gelände der Airbase durch Störung des Betriebes mittels Blockade der Zufahrt. Unter diesem Gesichtspunkt halte ich mein Handeln durch § 34 StGB (Rechtfertigender Notstand) für gerechtfertigt. Ich sah mich zu einem Handeln entsprechend Art. 25 GG (Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.) geradezu gezwungen, gegen den Bruch des Völkerrechts aktiv zu werden.

b) Ein deutliches Zeichen zu setzen, in der Hoffnung, dass weitere Aktionen von vielen anderen Menschen folgen und dadurch ein ausreichender politischer Druck auf die deutschen Politiker ausgeübt wird, um sie zur Beendigung der deutschen Unterstützung des Krieges zu bewegen. Es handelte sich also um eine auf die Herstellung von öffentlicher Aufmerksamkeit zielende Versammlung, die in den Schutzbereich von Artikel 8 des GG (Versammlungsfreiheit) fällt.
 

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