Ein Machtspiel mit vielen Verlierern

Syrien und die Türkei

von Memo Sahin
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Als der sogenannte Arabische Frühling in Syrien ankam, hat Erdogan, der kurz zuvor gemeinsam mit Assad Urlaub machte und ihn seinen Bruder nannte, sein wahres Gesicht gezeigt. Er fing an, mit allen erdenklichen Mitteln die islamistischen Djihadisten gegen Assad zu unterstützen, weil Assad kein Sunnit war und sich dem Iran, dem Erzfeind der Sunniten, verbunden fühlte.

Erdogan glaubte an einen schnellen Siegeszug der Islamisten gegen Assad. Es kam aber nicht so, wie es in Ankara geplant war. Obwohl die Türkei die islamistischen Banden aller Couleur über Jahre hinweg mit Waffen und Logistik unterstützte, haben diese verloren. Die Baath-Partei um Assad kontrolliert inzwischen etwa 70 Prozent des syrischen Gebietes und die Kurden ca. 27 Prozent entlang der Grenze zur Türkei. Die Islamisten hingegen wurden aus den meisten Gebieten vertrieben und in Idlib eingekesselt, wo die Türkei als Schutzpatron dient und Russland und Iran versprochen hatte, sie zu entwaffnen, was aber nicht geschah. Die Türkei hat sie mit Waffen und Logistik weiterhin unterstützt.

Die Türkei und das kurdische Nordsyrien
Einerseits ist die Türkei mit dem Westen und USA in dem militärischen Bündnis Nato zusammen, das gegen Russland agiert, andererseits kooperiert sie mit Russland und Iran gegen die Interessen des Westens und der Nato in Syrien. Mit dem Verkauf der Waffensysteme S 400 wollte Russland die Beziehungen zwischen USA und der Türkei torpedieren und sie gegeneinander ausspielen; die Türkei erhoffte sich freie Hand von Russland bei ihrem Agieren in Syrien. Bei der völkerrechtswidrigen Besatzung der kurdischen Enklave Afrin im letzten Jahr hatte Russland den Luftraum geöffnet und der Türkei gewährt, Afrin zu besetzen, um sie so einen Schritt von der Nato und vom Westen zu entfernen.

Da die Türkei nach der Besatzung Afrins immer wieder drohte, auch die anderen kurdisch kontrollierten Gebiete östlich von Euphrat anzugreifen und von kurdischen „Terroristen“ zu „säubern“, ging Russland fest davon aus, dass Erdogan auch in diese Gebiete einmarschieren werde und es zu einer Konfrontation mit den USA kommen könnte. Die Türkei hatte vor, eine 30 km breite sogenannte Sicherheitszone entlang der Grenze zu schaffen und die kurdischen Kräfte von dort zu vertreiben und dort ihre arabischen Verbündeten anzusiedeln.

Es kam aber auch nicht so. Denn die Kurden und die USA haben das vorbereitete Spiel erkannt und einen Plan B der Türkei vorgelegt. Vom 5. bis zum 7. August verhandelten die USA und die Türkei in Ankara. Schließlich vereinbarten sie, dass entlang der türkisch-syrischen Grenze eine dreispurige und etwa 18 km breite Sicherheitszone entsteht:

  • Es soll eine fünf Kilometer breite Pufferzone parallel zur türkischen Grenze geschaffen werden, die von kurdischen Kräften der YPG geräumt und von örtlichen zivilen und militärischen Kräften kontrolliert wird. In dieser Zone sollen die Amerikaner und Türken patrouillieren, aber nicht  in die bevölkerten Siedlungen und Städte hineingehen. Aus dieser Zone sollen alle schweren Waffen der YPG in die dritte Zone zurückgezogen werden.
  • Es soll noch eine zweite, neun Kilometer breite Zone parallel zur ersten Zone entstehen, in der sich die kurdischen Kräfte der YPG aufhalten.
  • Es soll eine weitere vier Kilometer breite Spur entstehen, in der die schweren Waffen der YPG stationiert werden.
  • Um das Ganze zu bündeln, soll ein gemeinsames Operationszentrum in der Türkei eingerichtet werden.

Idlib
Genau in der gleichen Zeit ab dem 5. August nahmen die Angriffe Russlands und Syriens gegen die in Idlib stationierten islamistischen Kräfte zu, wo die Türkei zwölf militärische Kontrollposten hat. Als die Türkei Idlib unter ihre Obhut nahm, kontrollierte die islamistische Al-Nusra-Front etwa 60 Prozent des Gebietes. Nachdem aber die Türkei dort Beobachtungs- und Kontrollposten eingerichtet hatte, erweiterte die Al-Nusra ihre Macht in Idlib auf etwa 90 Prozent. Eigentlich sollte nach der Vereinbarung zwischen Russland, Iran und der Türkei der Einfluss von Al-Nusra dort mit der Zeit eliminiert werden. Das Gegenteil geschah aber.

Als das türkische Militär mit einem Nachschubkonvoi am 18. August nach Idlib unterwegs war, griffen die russischen und syrischen Kampfjets den Konvoi an und töteten drei örtliche Handlanger der Türkei. Die syrischen Armeeeinheiten eroberten dann die strategisch wichtige Ortschaft  Khan Scheichun, brachten die Autobahn zwischen Damaskus und Aleppo unter ihre Kontrolle und umzingelten einen Kontrollposten der türkischen Armee.

Absetzung kurdischer Oberbürgermeister
Da die Türkei in Syrien bedrängt wurde, weder in Idlib noch im kurdisch kontrollierten Osten des Euphrats Gewinne und Siege aufweisen und so ihre islamistisch-faschistische Anhängerschaft im Inland befrieden konnte, ging sie diesseits der Grenze gegen die Kurden vor und setzte am 19. August drei Oberbürgermeister in den Städten Diyarbakir, Van und Mardin ab und stellte diese Kommunen noch einmal unter nicht gewählte Zwangsverwalter.

Schon immer wollte Erdogan die kurdischen Bürgermeister absetzen. Dieses hatte er auch vor den Wahlen angekündigt. Die Ereignisse im August bezüglich Syriens haben diesen Prozess beschleunigt. Die Notleidenden sind wie immer die Schwachen.

Ausgabe

Rubrik

Krisen und Kriege

Themen