US-Militär

Täglich 20 Suizide von US-VeteranInnen

von Martin Singe
Hintergrund
Hintergrund

Während der Zeit, als Bundeswehr-SoldatInnen verletzt oder tot aus Afghanistan zurückkamen, war das Thema der posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) in der Öffentlichkeit präsenter. Heute ist es an den Rand gerückt. Angesichts der im Verhältnis zur US-Army relativ geringen Zahl der BW-SoldatInnen im Einsatz in Afghanistan ist es jedoch erschreckend, dass auch mit Abstand zum Krieg laut Sanitätsdienst der Bundeswehr noch 2017 bei 170 SoldatInnen eine PTBS neu diagnostiziert wurde. Für den Zeitraum 1. Januar bis 13. Oktober 2014, also während des Afghanistan-Einsatzes, meldete die Bundeswehr 1602 Behandlungen von PTBS-Betroffenen und weiteren psychisch erkrankten SoldatInnen, davon 284 Neuerkrankungen. PTBS wird nur diagnostiziert, wenn alle Diagnoseprämissen erfüllt sind, d.h. es gibt darüber hinaus andere psychische Beeinträchtigungen bei SoldatInnen, die nicht das Vollbild von PTBS herausgebildet haben.

Nun schreckte eine Meldung über PTBS bei den US-Streitkräften, bzw. insbesondere bei den Veteranen der US-Army auf. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) berichtete im Mai 2019 von einer Veteranen-Befragung des Social-Media-Teams des US-Heeres anlässlich des diesjährigen Memorial-Days, an dem an den über 40.000 Soldaten-Gräbern in Arlington der Gefallenen gedacht wird. Die Befragung wurde allerdings ein Schuss nach hinten. Ein Veteran z.B. schrieb laut SZ: „Der Kampf-Cocktail: PTSD (post-traumatic stress disorder), schwere Depressionen, Angstzustände, Einsamkeit, Selbstmordversuche, unendliche Wut.“ Die Neue Züricher Zeitung schrieb 2017 unter dem Titel „Gebrochene Helden“: „Nahezu jeder und jede Fünfte erlitt im Mittleren Osten eine Gehirnverletzung. Annähernd ebenso viele erkrankten an posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). Fast 60 Prozent der Rückkehrenden aus dem Irak und aus Afghanistan sowie 50 Prozent aller älteren Kriegsveteranen leiden an chronischen Schmerzen.“

Zwischen 1999 und 2010 haben sich laut einer Studie des Veteranenministeriums (280.000 MitarbeiterInnen!) täglich 22 VeteranInnen umgebracht. Besonders seit 2001 (Afghanistan) und 2003 (Irak) haben die Suizide zugenommen, unter den 18- bis 29-jährigen Männern hat sich die Zahl der Opfer mehr als verdoppelt. Die Suizidziffer bei Veteranen liegt nach verschiedenen Statistiken auch heute zwischen 20 und 22 Suiziden täglich, das sind etwa 7.300 Suizide pro Jahr. Dies bedeutet keinen Rückgang, da die Zahl der VeteranInnen selbst leicht rückläufig ist. Etwa 26 Millionen VeteranInnen leben aktuell in den USA. Sie haben in Vietnam, Afghanistan, Irak oder anderswo im Krieg gedient. Anlass für seelische und körperliche Verwundungen sind insbesondere direkte Kampfeinsätze, das Mitansehen von Verstümmelungen/Amputationen oder Erschießungen von Kameraden, das Wahrnehmen eigenen Tötens oder auch eigene Verstümmelungen/Amputationen bzw. Verletzungen sowie der Krach von Detonationen.

Eine wesentliche Rolle bei der Ausbildung und Aufrechterhaltung von PTBS/PTSD ist in den USA auch die meist extrem hoch dosierte kostenlose Vergabe von Opioiden, die ein Suchtpotential enthalten. Das Pentagon gibt rund eine Milliarde USD jährlich für Psychopharmaka aus. Übrigens betrifft die Opioid-Epidemie ganz Amerika. Der Deutschlandfunk berichtete am 24.10.2017: „Knapp 100 Menschen sterben jeden Tag an der Opioid-Epidemie, die seit der Jahrtausendwende in Amerika wütet. Opioide, das sind morphinhaltige Substanzen wie Heroin, aber auch Schmerzmittel wie Oxycodon, Hydrocodon und das Betäubungsmittel Fentanyl, dessen Suchtpotenzial 50 bis 100 Mal höher ist als Heroin.“

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".