Terrorismus im Zeitalter der Globalisierung

von Peter Barth

Die Terrorattacken vom 11. September 2001 werden als dramatischer Schlusspunkt der euphorischen 90er Jahre, als "Ende der Spaßgesellschaft", in die Geschichte eingehen. Viele glaubten, in einer global vernetzten Welt hätten sich endgültig die Werte des Westens durchgesetzt, doch die westlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit, Gewalt, Frieden und Freiheit werden von neuen, vor allem religiösen Fanatismen bedroht, die ihre Wurzeln und ihren Nährboden im wachsenden Gefälle zwischen den reichen und den armen Völkern haben.

"Politik ist stets ein Machtkampf", schrieb der Soziologe C. Wright Mills. Und: "Die höchste Form der Macht ist Gewalt." Der Terrorismus ist dort zu finden, wo legitimierte Macht auf politisch nicht legitime Gewalt trifft. Jeglicher Terrorismus enthält das Streben nach Macht, nämlich Macht zu dominieren und zu erzwingen, einzuschüchtern und zu kontrollieren, um schließlich einen fundamentalen Wandel zu bewirken. Terroristen wollen über die unmittelbaren Opfer oder Ziele ihres Angriffs hinaus weit reichende psychologische Effekte erzielen. Gewalt oder die Androhung von Gewalt ist daher eine unerlässliche Voraussetzung für die Terroristen.

Beim Begriff des Terrorismus handelt es sich um ein "Konzept des politischen Diskurses", das in Abhängigkeit vom politischen und moralischen Standpunkt der Beteiligten sehr unterschiedlich verwendet wird. Daher finden sich in der Literatur mehr als 100 Definitionsversuche. Politisch dient der Begriff des Terrorismus vor allem dazu, strafwürdigen Gewalttaten (Attentaten, Mord, Geiselnahmen etc.) jede mögliche Legitimität abzusprechen (Widerstand, Tyrannenmord, Guerillakrieg etc.). Nach innen gerichtet dient die Bezeichnung der Gewalt als Terrorismus der Identitätsstiftung und kollektiven Selbstvergewisserung, dass die Gewalt Unschuldige getroffen hat. Gleichzeitig erwächst daraus eine Bekräftigung des staatlichen Gewaltmonopols sowie die Legitimierung staatlicher Gegengewalt bzw. präventiver Gewalt und repressiver Maßnahmen. Generell präsentieren Regierungen den "Terrorismus" als Bedrohung ihrer Ordnung. Eine im deutschen Sprachgebrauch gängige Definition lautet:

Terrorismus beinhaltet planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge aus dem Untergrund gegen eine politische Ordnung. Sie sollen Unsicherheit, Angst und Schrecken, aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugen.

Terrorismus ist also eine politische Strategie, die vor allem mit politischen und sozialen Motiven zu tun hat, weniger mit Religion. Durch die Androhung oder Ausführung von Gewalttaten sollen unterschiedliche Ziele erreicht werden: Ein Gefühl existenzieller Verunsicherung bei der bekämpften sozialen Gruppe oder ihre direkte Schwächung, die Erzeugung von Angst und Schrecken innerhalb der Gesellschaft, aber auch Sympathie bei potenziellen Unterstützern sowie die Gewinnung von größtmöglicher Aufmerksamkeit für die Ziele. Die Gewalttaten werden geplant und kommen aus dem Untergrund. Sie richten sich entweder direkt gegen Symbole und Repräsentanten des bekämpften Systems oder gegen völlig unbeteiligte Zivilisten, um so das Vertrauen in den Staat und seine Fähigkeit zum Bürgerschutz zu untergraben.

Gruppen, die zu terroristischen Aktionen greifen, sind zu schwach, um sich innerhalb des etablierten politischen Prozesses Gehör zu verschaffen. Die Gewalt ist Mittel, um einen Teil des öffentlichen Raums besetzen zu können. Anders als Kriminellen geht es den Terroristen nicht um einen persönlichen Vorteil. Sie berufen sich auf ein höheres Prinzip. Mit spektakulären Taten will man erreichen, dass sich die Öffentlichkeit für die tiefer liegenden Gründe der Gewalt zu interessieren beginnt. Die Gewalt hat nur einen symbolischen Stellenwert, dem Terroristen geht es also nicht um den eigentlichen Zerstörungseffekt seiner Aktionen. Diese sind nur ein Mittel, eine Art Signal, um einer Vielzahl von Menschen etwas mitzuteilen. "Terrorismus ist seiner Natur nach eine psychologische Waffe", schreibt der Terrorismusfachmann Paul Wilkinson, "er setzt darauf, eine Bedrohung an ein größeres Publikum zu verbreiten". Ohne Medium aber wäre auch die Botschaft der Terroristen weitaus weniger bedrohlich. Terrorismus, das gilt es also festzuhalten, ist primär eine Kommunikationsstrategie sowie eine Form der psychologischen Kriegsführung.

Schwierigkeit der ethischen Bewertung vom Terrorismus
Das Wort "Terrorismus" [Anm.: von lat. terror = Schrecken, Schrecken bereitendes Geschehen] wurde zum ersten Mal während der Französischen Revolution allgemein gebräuchlich. Im Gegensatz zu seiner heutigen Verwendung hatte der Begriff damals einen entschieden positiven Beiklang. Das System oder "regime de la terreur" der Jahre 1793/94 wurde während der Schreckensherrschaft der Jakobiner als ein Instrument zur Durchsetzung von Ordnung gebraucht. Es zielte darauf ab, die Macht der neuen Regierung durch Einschüchterung von Konterrevolutionären, subversiven Elementen und allen anderen Andersdenkenden, die das neue Regime als "Volksfeinde" betrachtete, zu festigen. Ursprünglich hing der Terrorismus sehr eng mit den Idealen der Tugend und der Demokratie zusammen. Der Revolutionsführer Robespierre glaubte fest daran, dass die Tugend die Hauptquelle einer volkstümlichen Regierung in Friedenszeiten sei, sie aber während revolutionärer Phasen mit dem Terror verbunden sein müsse, damit die Demokratie den Sieg davontragen könne. Er proklamierte: "Terror ist nichts anderes als Gerechtigkeit, sofortige, unnachsichtige und unbeugsame Gerechtigkeit; er stellt daher eine Ausdrucksform der Tugend dar." Die Worte des französischen Revolutionärs Saint-Just: "Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit" scheint sich Innenminister Otto Schily zu eigen gemacht zu haben.

Nach dem 2. Weltkrieg gewann der Begriff Terrorismus seine revolutionären Anklänge zurück, mit denen er heutzutage assoziiert wird. Ebenfalls in jener Zeit kam die politisch korrekte Bezeichnung "Freiheitskämpfer" in Mode, als ein Ergebnis der politischen Anerkennung, welche die internationale Gemeinschaft den Kämpfern für nationale Befreiung und Selbstbestimmung zukommen ließ. Viele gerade erst unabhängig gewordene Länder der Dritten Welt und die Staaten des kommunistischen Blockes übernahmen diese Sprachregelung und argumentierten, dass Personen oder Bewegungen, die gegen "koloniale" Unterdrückung und westliche Vorherrschaft kämpften, nicht als Terroristen, sondern als Freiheitskämpfer charakterisiert werden sollten.

Diese Position wurde in herausragender Weise durch den Präsidenten der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Yassir Arafat, dargelegt, als er im November 1974 vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen sprach. "Der Unterschied zwischen dem Revolutionär und dem Terroristen", behauptete Arafat, "liegt in dem Grund, warum er kämpft. Denn wer immer sich für eine gerechte Sache und für die Freiheit und Befreiung seines Landes von Eindringlingen, von Siedlern und Kolonisten einsetzt, kann unmöglich als Terrorist bezeichnet werden".

Ein wichtiger Punkt ist die Frage, ob jegliche Form des Terrorismus moralisch verwerflich sei. Aber eine solche totale Verurteilung terroristischer Gewalt ist historisch kaum haltbar. Sogar die katholischen Theologen des Mittelalters fanden gute Gründe für Tyrannenmord, und in jüngerer Vergangenheit können zum Beispiel der Anschlag auf Hitler oder das erfolgreiche Attentat auf Heydrich (Stellvertretender Reichsprotektor in Böhmen und Mähren) wohl nicht als verwerflich gelten. Terrorismus mag die einzige Möglichkeit zum Sturz einer brutalen Diktatur sein, die Ultima ratio freier Männer und Frauen, die sich einer unerträglichen Verfolgung ausgesetzt sehen. Die Ermordung von Hitler oder Stalin am Anfang ihrer Karriere hätte Millionen Menschen das Leben gerettet. Die Schwierigkeit ist also nicht, dass der Terrorismus stets unvertretbar gewesen wäre, sondern vielmehr, dass er von Fanatikern und Wahnsinnigen im Namen der Freiheit und Gerechtigkeit missbraucht wird.

Abhängig von der Sympathie oder Ablehnung, die man den Zielen von Gruppen, die Gewalt als Mittel der Politik einsetzen, entgegen bringt, wird man sie als Terroristen oder Freiheitskämpfer bezeichnen. Die Frage, ob der Einsatz von Gewalt in gewissen Situationen legitim ist, wird je nach Standpunkt des Betrachters unterschiedlich beantwortet werden. Staaten definieren Gruppen, die gegen sie kämpfen, immer als terroristisch oder als kriminell, auch wenn sie nach unseren Maßstäben ein legitimes Ziel wie z.B. die Demokratisierung der jeweiligen Gesellschaft verfolgen. Die öffentliche Wahrnehmung kann sich im Laufe der Zeit ändern. Schon mancher, der als Terrorist verfolgt wurde, ist erst zum Freiheitskämpfer befördert und dann zum Ministerpräsidenten gewählt worden, wie Menachem Begin in Israel, der im Juli 1946 das Jerusalemer Hotel "King David" in die Luft gesprengt hatte (91 Tote). Oder die PLO, die lange als eine gefährliche terroristische Vereinigung galt. Heute ist sie weltweit anerkannt, ihr Vorsitzender Yassir Arafat bekam 1994 den Friedensnobelpreis.

Maßnahmen von Staaten zur Bekämpfung ihrer Feinde ähneln andererseits gelegentlich terroristischem Handeln. Die Liquidierung potenzieller Terroristen durch den israelischen Geheimdienst Mossad ist hierfür ein Beispiel. Oder beispielsweise das Vorgehen der USA in Libyen, El Salvador, Guatemala, Grenada, Sudan. Autoritäre und totalitäre Staaten setzen Gewalt ein, um ihre Macht zu sichern. Das Ziel ist auch hier die Erzeugung von Angst und Schrecken. Es empfiehlt sich aber, den Terrorismus als eine bestimmte Form des Angriffs gegen den Staat von Terror als staatlicher Schreckensherrschaft zu unterscheiden. Sicher teilen aufständischer Terrorismus und staatlicher Terror gewisse Züge, insbesondere ein auf der systematischen Verbreitung von Furcht und Schrecken beruhendes Machtkalkül. Doch verbieten gravierende Unterschiede zwischen ihnen, beide in einem Atemzug zu nennen.

So fordert Regimeterror in der Regel ungleich mehr Menschenleben als aufständischer Terrorismus. Man denke nur an den Naziterror, die Sowjetunion unter Stalin oder die chinesische Kulturrevolution, als jeweils Millionen von Menschen dem Terror zum Opfer fielen. Auch kann ein Staat im Zeichen einer bestimmten Ideologie. Terror zum Hauptgesetz seines Handels machen, ohne sich allzu sehr um die Reaktion der Bevölkerung zu kümmern. Dazu kommt, dass Terroristen auf die Massenmedien angewiesen sind, während bei Terrorregimen bereits die Flüsterpropaganda zur Verbreitung der Schreckensbotschaft ausreicht.

Die "neuen Kriege" (Vgl.: Mary Kaldor: Neue und alte Kriege. Frankfurt/Main 2000) müssen von früheren "klassischen Kriegen" hinsichtlich ihrer Ziele, der Art der Kriegsführung und ihrer Finanzierung unterschieden werden. Ihre brutale Kriegsführung richtet sich direkt gegen die Zivilbevölkerung, nicht gegen das Militär des Gegners. Diese Art der terroristischen Kriegsführung gibt es nicht erst seit dem 11. September 2001. Sie wird seit Jahren - mit der gleichen Brutalität und Menschenverachtung - gegen die Zivilbevölkerung in Afrika, in Asien, auf dem Balkan und im Nahen Osten praktiziert und fordert in ähnlicher oder größerer Zahl Opfer, wenn auch über längere Zeiträume verteilt.

Kriege dieser Machart sind auch dadurch gekennzeichnet, dass die Grenzen zwischen Krieg und organisiertem Verbrechen, zwischen privat und öffentlich, staatlich und nicht-staatlich, zwischen politischen, ökonomischen und religiösen Motiven verschwimmen. Sie haben keine geopolitischen Ziele, sollen nicht der Festigung, Ausweitung oder der Übernahme nationalstaatlicher Macht dienen. Im Gegenteil, eine ihrer Wurzeln liegt im Zerfall nationalstaatlicher Macht oder im Verlust nationalstaatlicher Identitäten und im Hass auf eine fremde Macht, die vermeintlich die eigene kulturelle, religiöse und politische Identität bedroht und das wirtschaftliche Überleben gefährdet.

Daher müssen diese Kriege auch im Kontext der wirtschaftlichen und kulturellen Globalisierung gesehen werden, in der traditionelle identitätsbildende Werte und die Institutionen, die sie wahren, unter Druck geraten. Die wirtschaftliche, politische, militärische und kulturelle Dominanz des Westens und insbesondere der USA wird in vielen Ländern als "Arroganz" empfunden und gerade im Nahen Osten als Beleidigung der eigenen Kultur und Religion und als "Kreuzzug des Westens" gegen die Interessen der islamischen Staaten gesehen. Diese Hintergründe aufzuzeigen, mögliche Motive der Terroristen in diesem Kontext zu analysieren und dabei auch die Rolle der westlichen Welt im Globalisierungsprozess wie auch ihren eigenen Beitrag zum Terrorismus kritisch zu beleuchten heißt nicht, den Terrorismus zu verharmlosen. Weder Religion noch Staatsräson noch irgendwelche anderen Gründe rechtfertigen Terror oder seine Unterstützung. Aber das Verstehen der Hintergründe könnte beitragen, die Gefahren klarer zu erkennen, die möglichen Folgen von Gegenmaßnahmen besser abschätzen und Ursachen gezielter beseitigen bzw. bekämpfen zu können.

Der Text wurde den “Denkanstössen” Nr. 46 zum Thema “Terrorismus im Zeitalter der Globalisierung” der Studiengesellschaft für Friedensforschung e.V. München entnommen und von der Redaktion gekürzt. Siehe www.studiengesellschaft-friedensforschung.de und die Website von Dr. Peter Barth: www.peterbarth.de

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Dr. Peter Barth (Dipl.-Ing. (FH), Dipl.sc.pol.) war Berufsoffizier in der Bundeswehr und hat(te) Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen. Derzeit nimmt er eine Vertretungsprofessur "European Studies" in der Hochschule für angewandte Wissenschaften München wahr.