Türkei: Der schwierige Weg zum Frieden

von Andreas Buro
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Während ich diesen Text schreibe, treffen sich amerikanische, türkische und israelische Kriegsschiffe im israelischen Hafen von Haifa zu gemeinsamen Flottenmanövern. Das Unternehmen "Reliant Mermaid" soll angeblich die Rettung von Fischerkuttern in Seenot üben. Die arabischen Staaten der Region sehen dies offensichtlich realistischer und haben heftig gegen die sich anbahnende Allianz der drei in der Region mächtigsten Militärmächte protestiert. Dieses neue Bündnis signalisiert nach außen, daß diese Staaten auch weiterhin auf den militärischen Faktor zur Lösung ihrer Probleme setzen wollen, obwohl die Kurdenfrage militärisch ebensowenig zu lösen ist, wie die Gewinnung des Friedens zwischen Israelis und Palästinensern.

Es signalisiert ebenfalls die Bereitschaft der Partner, den Faktor Militär konzentriert für die Interessen der USA und der Türkei am kaspischen Öl und Gas und an den großen Rohstoffreserven in Asien durchzusetzen. Neben Israel soll nun auch, so darf man vermuten, die Türkei zur US-gestützten Regionalmacht anvancieren, eine Rolle für die der Iran und der Irak offensichtlich nicht mehr taugen.

Ganz in diesem Sinne, militärische Potenz brauche sich nicht um Völkerrecht zu scheren, setzt die Türkei mit US-Unterstützung ihre Operationen im Nord-Irak fort, die aller Voraussicht zu einem langfristigen Protektorat südlich der türkischen Grenzen führen werden. Ernsthafter Protest der westlichen NATO-Partner ist nicht zu hören. Bei der Invasion im Mai forderte der EU-Vorsitzende die Türkei lediglich auf: "...äußerste Mäßigung zu üben.... und ihre Streitkräfte so bald wie möglich (!) aus dem irakischen Hoheitsgebiet abzuziehen. Bonn trug diese Erklärung mit.

Das alles sind keine Anzeichen für eine Wende der türkischen Politik hin zu einer politischen Lösung des Konfliktes im türkisch-kurdischen Krieg. Dem entspricht auch die Verlängerung der Ausnahmegesetze für die kurdischen Gebiete. Im Programm der neuen Regierung Yilmaz ist ebenfalls von einer Wende nichts zu erkennen. In ihm werden die Probleme im "Südosten mit geographischen, sozialen und ökonomischen Gründen erklärt. Feudalstrukturen, "Machenschaften und Aufwiegelung von außen werden ferner als Ursachen herangezogen - also keine Einsicht in die wirklichen Gründe für den Krieg, der auf der repressiven Politik Ankaras gegenüber den Kurden in ihren Siedlungsgebieten beruht. Statt dessen will man zerstreute Siedlungen in zentralen Dörfern zusammenfassen, wohl um die Menschen besser kontrollieren zu können. Dazu kommen Vorschläge, "sichere Bevölkerung - was wohl nur Türken heißen kann - in den umkämpften Regionen anzusiedeln. Ferner unternimmt Ankara alle Anstrengungen, die weit verzweigte Organisation der türkischen Menschenrechtsvereins IHD durch polizeiliche Aktionen und Gerichtsverfahren zu zerschlagen, damit dieser nicht weiterhin über die Menschenrechtsverletzungen im Kurdengebiet berichten kann. Alles das und die Aussagen von hochrangigen Politikern, es gäbe gar kein Kurdenproblem, lassen keine Bereitschaft zur Umkehr bei den türkischen Machthabern erkennen, selbst wenn die Militärs erklären, sie hätten den Krieg gewonnen und nun sei es an der Politik, eine politische Lösung herbeizuführen. Doch von der kommt kein neuer Anfang und es ist auch mehr als fraglich, ob die Überregierung des Nationalen Sicherheitsrates, in dem die Generäle die erste Geige spielen, dies wirklich zulassen würde. Ähnlich unbeweglich verhalten sich die türkischen Eliten gegenüber dem anstehenden Konflikten mit den islamistischen Kräften. Statt ernshaft die überbordenden sozialen Probleme zu bewältigen, welche die Menschen veranlaßt, sich den Religiösen zuzuwenden, soll die Refah-Partei verboten werden. Wird da Algerien zum Vorbild?

Ankara hat auch nicht anläßlich seiner Bemühungen um Zulassung der Türkei zum Club der EU-Anwärter die Chance genutzt, wenigstens guten Willen und Bereitschaft für die "Erledigung seiner Hausaufgaben in Sachen Meinungsfreiheit, Kurdenkonflikt, Zypernspaltung, Probleme mit Griechenland u.a. zu zeigen. Statt dessen wurden die törichten Bemerkungen christdemokratischer Regierungschefs, in die christliche EU könnten keine muslemischen Staaten integriert werden, zum Dollpunkt für die Ablehnung der türkischen Anwartschaft gemacht. Bei solcher Begründung braucht Ankara seine eigene Politik nicht mehr kritisch zu hinterfragen.

Diesem schwarzen Bild der Unbeweglichkeit und der Repression stehen erfreulicherweise auch andere Tendenzen und Ereignisse entgegen. Bei den EU-Staaten hat sich ein beachtlicher Gesinnungswandel gegenüber der Türkei ergeben. Hatte man bisher weitgehend der Parole zugestimmt, der PKK-Terrorismus müsse militärisch besiegt werden, um den Konflikt beenden zu können, so wird nun davon gesprochen, daß der Krieg der Türkei mit den Kurden nur auf einer politischen Basis gelöst werden könne. Zwar wird von Ankara nicht gefordert, mit der PKK zu verhandeln, doch wird verlangt, die Menschenrechte und damit auch die Rechte von nationalen Minderheiten, also hier der Kurden, zu respektieren. Es wird damit zumindest der Weg zu ernsthaften, unilateralen Veränderungsschritten gewiesen. Diese sich anbahnende,wichtige Neuorientierung der EU-Staaten, das muß hier einmal ausgesprochen werden, ist nicht zuletzt auch das Verdienst der vielen Initiativen in vielen europäischen und aussereuropäischen Ländern gebildet haben und seit Jahren für eine friedliche politische Lösung des Krieges eintreten. Zu diesem Bemühen gehören selbstverständlich ausch so wirkungsvolle Auftritte wie die von Yasar Kemal und Günther Grass jüngst in der Frankfurter Paulskirche.

Diese Arbeit muß trotz aller Verzweifelung, die uns manchmal angesichts des kurdischen Schicksals überkommt, zielgerichtet fortgeführt werden.

Aus der sich verändernden Haltung der EU-Staaten ist allerdings noch keine zusammenhängende Politikfür eine politische Lösung des Krieges geworden. Sie ist nach wie vor voller Widersprüche. Noch immer werden von EU-Europa Waffen und Waffenproduktionsanlagen an die Türkei geliefert. Im November 97 wurde gerade bei Blohm und Voss die dritte Fregatte für die Türkei getauft, während sich Frankreich um gemeinsame Projekte für die Modernisierung der türkischen Armee in den nächsten 15-20 Jahren bemüht. Dabei geht es speziell um Hubschrauber und Panzer. Auch betreibt nach wie vor Bundesinnenminister Kanther seine mit Ankara gleichgeschaltete Politik der PKK-Bekämpfung, die sich zu einer Bekämpfung von Friedensbemühungen ausweitet, wie bei dem Verbot des Friedenszuges Musa Anter von Brüssel nach Diyarbakir deutlich wurde.

Gegenwärtig wird die Ankunft kurdischer Flüchtlinge in Italien von Kanther und Co. zu einer europäischen Gefahr hochgeredet, bei der es nicht mehr um den menschenrechtlich gebotenen Schutz von Flüchtlingen, sondern nur noch um den Schutz vor Flüchtlingen zu gehen scheint - eine deutliche skrupellose Einstimmung auf den bevorstehenden Bundestagswahlkampf.

Aus den USA kommen neben den militärischen auch andere Signale. Premier Yilmaz konnte bei seinem Besuch im Dezember 97 die USA nicht zu Waffenlieferungen bewegen, die für die Bekämpfung der kurdischen Zivilbevölkerung geeignet sein könnten. Berichterstatter sprachen von einem de facto Embargo. Damit wurde der Feindseligkeit im US-Kongresses gegenüber Menschenrechtsverletzungen in der Türkei Rechnung getragen.

Bei seinem Besuch präsentierte Yilmaz eine Liste der Reformen, die er zur Verbesserung der Menschenrechtssituation einleiten wolle. Die amerikanische Antwort sei gewesen: Wir erwarten konkrete Handlungen . Zuvor hatten sich Mitglieder des Kongresses in einem von über 100 Abgeordneten unterzeichneten Brief an Präsident Clinton für Bemühungen um die Freilassung von Leyla Zana, der inhaftierten kurdischen Parlamentarierin, gewandt.

Auch in der Türkei, wo die Militärs ihre Vorherrschaft gerade durch den Sturz der Erbakan/Ciller Regierung erneut unter Beweis gestellt haben, wächst der Protest gegen Korruption und Krieg. Da werden Millionen Lichter ausgeschaltet, um gegen die Verquickung von Regierungspolitik und Mafia zu protestieren. Es werden Millionen Unterschriften für Frieden gesammelt. Der Verband der privaten Unternehmer TÜSIAD erhebt Forderungen nach Demokratisierung, Meinungsfreiheit und Frieden und macht konkrete rechtliche Vorschläge für die Änderung der Verfassung, um die Dominanz des Militärs zu überwinden. Der Kampf um Frieden und um Demokratisierung verbinden sich häufig miteinander.

Die PKK hat immer wieder einseitige Waffenstillstände angeboten, um einen Dialog über eine politische Lösung zu erleichtern. Diese Angebote wurden allerdings von der türkischen Seite nie beantwortet. Ferner hat die PKK ihren Versuch aufgegeben, die EU-Staaten als Unterstützer der Türkei in Konflikte einzubeziehen. Statt dessen strebt sie eine Legalisierung und das Gespräch mit den EU-Staaten an, um diese für eine mögliche Vermittlerrolle zu gewinnen. Für diese Politik wird sicher ein langer Atem und viel Fingerspitzengefühl benötigt.

Entgegen allen öffentlichen Bekundungen hat die Türkei keine wirkliche Alternative zu der Orientierung auf EU-Europa, auch wenn bei einigen ihrer Eliten die Phantasien über ein Großreich der Turkvölker die Realität verdrängen. In dieser Situation der Widersprüche und Ungereimtheiten bei fast allen Akteuren in diesem Konflikt ist es wichtig, mit allen angemessenen Mitteln diejenigen Kräfte in der Türkei und im internationalen Umfeld zu unterstützen, welche aus der Sackgasse der jetzigen politischen, ökonomischen und sozialen Situation hinausdrängen und für Demokratisierung und Frieden eintreten. Dabei muß diesen Kräften, soweit sie in der Türkei wirken, internationale Öffentlichkeit verschafft werden, die sie schützen kann. Der Dialog muß aber auch mit all denen im internationalen Umfeld geführt werden, die sich für eine politische Lösung einzusetzen bereit sind, auch wenn sie sich in sehr unterschiedlichen politischen Lagern befinden.

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