Das Janusgesicht Sport

„Warum also sollte ich auf sie schießen?“

von Christine Schweitzer
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Der vielleicht berühmteste Kriegsdienstverweigerer war ausgerechnet ein Schwergewichtsboxer, keine Sportart, die man spontan mit Frieden assoziieren würde. Der Schwarze US-Amerikaner Muhammed Ali verweigerte 1967, in der Hochzeit des Vietnamkrieges, den Militärdienst. "Kein Vietcong nannte mich jemals Nigger. Sie haben meine Mutter nicht vergewaltigt. Und sie haben auch meinen Vater nicht umgebracht. Warum also sollte ich auf sie schießen?“, erklärte er, “ich habe keinen Ärger mit dem Vietcong". Er verlor noch am gleichen Tag seinen Weltmeistertitel und seine Boxlizenz und entkam nur knapp einer fünfjährigen Haftstrafe. (1) Seine Verweigerung schlug hohe Wellen nicht nur bei Schwarzen Amerikaner*innen – für die einen wurde er zum Vorbild, für die anderen war es Verrat an der Nation.

Manager in den verschiedenen Sportverbänden behaupten gerne, dass Sport unpolitisch sei – besonders dann, wenn sie sich gerade einmal wieder von einem korrupten Regime bestechen ließen, irgendwelche Weltmeisterschaften in einem menschenrechtsverletzenden Staat auszutragen. Wenn einzelne Sportler*innen – wie jüngst nach der Ermordung von George Floyd – es wagen, T-Shirts mit antirassistischen Slogans zu tragen – werden ihre Verbände aktiv. Als die Fußballer Jadon Sancho, Achraf Hakimi, Marcus Thuram und Weston McKennie im Juni ihre Unterhemden beschriftet hatten, verzichtete der DFB großzügig auf ein Verfahren. Der Verdacht, dass Sportler*innen Maulkörbe umgehängt werden, wird gelegentlich auch in den Medien diskutiert. So meinte der ehemalige Profi-Handballer Stefan Kretzschmar in einem Interview: „Wir Sportler haben keine Meinungsfreiheit im eigentlichen Sinne, wir müssen immer mit Repressalien von unserem Arbeitgeber oder von Werbepartnern rechnen. Deswegen äußert sich heute keiner mehr kritisch.“ (2)

Das war früher mal anders: Aus Protest gegen den Boykott der Olympischen Spiele in Moskau gründeten drei Leistungssportler 1981 die Initiative „Sportler gegen Atomraketen – Sportler für den Frieden". Es war die Hochzeit der Friedensbewegung gegen die Stationierung neuer Atomraketen. Dank der Unterstützung zahlreicher Spitzensportler* innen erreichte die Initiative eine breite Öffentlichkeit, organisierte große Sportfeste und 1987 auch eine Friedensstafette von Flensburg bis zur Zugspitze. Ewald Lienen (Fußballspieler, jetzt techn. Direktor bei St. Pauli) war zeitweise einer der Sprecher*innen der Initiative, deren Website (www.sportler-fuer-den-frieden.de) immer noch aktiv ist.

Olympische Spiele – Friedensfest oder Bühne für Nationalismus?
Die olympischen Spiele sind ein gutes Beispiel für die tatsächliche Politiknähe von Sport. In der Antike waren die olympischen Spiele Zeiten von Waffenstillständen zwischen den griechischen Stadtstaaten. Diese Idee eines Friedensfestes, in dem die Nationen friedlich miteinander wetteifern, war sehr stark bei der Gründung der modernen olympischen Spiele 1894. Selbst 1936 waren noch praktisch alle Staaten bereit, ihre Sportler*innen nach Berlin zu schicken, obwohl der Gewaltcharakter des Naziregimes und auch seine Kriegsvorbereitungen damals schon unübersehbar waren. Anders 1980: Wegen des Einmarsches in Afghanistan boykottierten die westlichen Staaten die olympischen Spiele in Moskau. Schon zuvor, 1972, hatten palästinensische Attentäter die Bühne genutzt, die ihnen die olympischen Spiele in München boten, um einen Anschlag auf israelische Sportler*innen zu begehen. Elf Sportler*innen starben. 2018 waren die olympischen Spiele in Südkorea, an denen sich Nordkorea mit einer kleinen Delegation beteiligte, Vehikel für eine (leider, so scheint es derzeit, vorübergehende) Annäherung zwischen beiden Staaten.

Sport als Werbung für das Militär
Die praktisch weltweite Popularität von Leistungssport – bzw. bestimmten Sportarten; welche es sind, mag von Land zu Land unterschiedlich sein – ist eine der Charakteristiken der globalen modernen Welt. Milliarden Menschen fiebern mit ihren Heldinnen und Helden aus dem Sport, leiden, wenn sie verlieren, jubeln, wenn sie gewinnen. Daher ist es kein Wunder, dass auch das Militär den Sport als Kanal für seine Eigenwerbung entdeckte. Frankreich leistete sich über einige Jahre bis 2017 ein eigenes Profi-Straßenradteam, „L’Armée Terre“, dessen Fahrer in Tarnfarbenmuster als Kontinentalteam bei etlichen der großen Rennen teilnahmen. In den USA ist Militärwerbung allgegenwärtig besonders im American Football. Die Bundeswehr rühmt sich, einen „großen Beitrag zur Sportförderung in Deutschland [zu leisten]. Diese ist von öffentlichem Interesse, denn Sport hat einen hohen gesellschaftspolitischen Wert – vor allem in gesundheitlicher und sozialer Hinsicht. Spitzensportler werden hier als Vorbilder und Botschafter ihrer Sportart wahrgenommen. Nach außen repräsentieren sie die Bundesrepublik Deutschland. Schließlich wird das Bild Deutschlands in der Welt auch durch das Auftreten seiner Athleten bei internationalen Wettkämpfen geprägt.“ (3) Gerne wird auf die Zahl der errungenen Medaillen bei olympischen Spielen verwiesen: „Bei den letzten 14 Olympischen Winter- und Sommerspielen seit 1992 waren Spitzensportler und Sportlerinnen der Bundeswehr an rund 44 Prozent der errungenen Medaillen beteiligt“, behauptet die Bundeswehr. Und sie setzt „ihre“ Sportler*innen auch gerne medial auf ihren Werbeseiten und bei Veranstaltungen wie am „Tag der Bundeswehr“ ein.

Die Spitzensportförderung hat die Bundeswehr bereits 1968 begonnen. Sie war ursprünglich als Antwort auf das Staatssponsoring von vorgeblichen „Amateur*innen“ der Ostblockstaaten gedacht. (4) Nach der Abschaffung der Wehrpflicht und der Notwendigkeit, Freiwillige anzulocken, stieg das Interesse am Sport. (5) Die Bundeswehr engagierte sich über einige Jahre im Sponsoring einiger Fußball- (Hannover 96 u.a.), Handball- (SG Flensburg-Handewitt und Reinickendorfer Füchse) und Volleyballvereine (VfB Friedrichshafen). Dazu kamen und kommen zahlreiche Vereine aus dem Amateursport.

Das Sponsoring wurde inzwischen stark zurückgefahren; heute konzentriert sich die Bundeswehr auf die Spitzensportförderung, für die seit 2008 jährlich zwischen 30 und rund 35 Millionen Euro im Jahr (Stand 2019) ausgegeben werden. In erster Linie handelt es sich dabei um Personalkosten für derzeit 744 Stellen für Sportsoldat*innen (2018: 243 Frauen und 501 Männer), darunter auch zwei zivile Sportler*innen mit Handicap. (Der Weitspringer Marcus Rehm ist einer von ihnen). Die Sportler*innen müssen eine Grundausbildung absolvieren und schlagen dann i.d.R. eine Unteroffizierslaufbahn ein. Zahlreiche prominente Sportler*innen, besonders aus dem Wintersport, gehören zu ihnen. Namen aus der jüngeren Vergangenheit sind hier z.B. die Bobpiloten André Lange und Ricco Groß, der Rennrodler Georg Hackl, der Skispringer Sven Hannawald, der Nordische Kombinierer Ronny Ackermann, die Biathletinnen Evi Sachenbach-Stehle (die des Dopings überführt wurde) und Kati Wilhelm und die RennrodlerinTatjana Hüfner. Auch der Leichtathlet Robert Harting gehörte zu den Sportsoldaten. Er widmete eine in Seoul gewonnene Medaille einem in Afghanistan gefallenen Soldaten.

Nach Ende ihrer aktiven Zeit verlassen die Sportler*innen die Bundeswehr zumeist wieder– anders als diejenigen Sportler*innen, die eine ähnliche Förderung bei der Bundespolizei oder dem Zoll suchen und dort dann auch weiterarbeiten wollen, wie z.B. der Skispringer und Zollbeamte Markus Eisenbichler.

Resümee
Sport trägt wie die meisten anderen popkulturellen Phänomene ein Doppelgesicht. Er kann für militärische und nationalistische Zwecke missbraucht werden und ist dafür vielleicht auch besonders verwundbar. Denn er transportiert viele Werte, die denen ähnlich sind, die das Militärische für sich beansprucht – nicht nur körperliche Leistungsfähigkeit, sondern auch Bereitschaft, sich einer Sache zu verschreiben, für sie zu leiden, Kameradschaft, Patriotismus usw. Aber vielleicht gerade deshalb sind Nachrichten des Friedens, die von Sportler*innen und Sportveranstaltungen ausgehen, auch potenziell besonders wirkkräftig, denn Sport ist nun mal etwas, das sehr viele Menschen anspricht. Sportler*innen sind für Millionen Menschen Vorbilder. Es wäre schön, wenn sich mehr von ihnen darauf besinnen würden und bei den nächsten Fußballspielen es z.B. nicht nur People of Colour wären, die Slogans gegen Rassismus auf dem Hemd tragen.

Anmerkungen
1 https://www.deutschlandfunk.de/vor-50-jahren-muhammad-ali-verweigerung-a...
2 https://www.bkz.de/sport/was-duerfen-athleten-heute-noch-sagen-4365.html
3 https://www.bundeswehr.de/de/ueber-die-bundeswehr/sport-in-der-bundesweh...
4 Erst 1981 wurde der Amateurparagraph aus den IOC-Statuten gestrichen, bis dahin durften Profis bei den olympischen Spielen nicht antreten. Heute gibt es nur noch beim Fußball Regelungen, die die Teilnahme von Profis an den olympischen Spielen zahlenmäßig begrenzen.
Zur Entstehung siehe auch: Spitzensportförderung bei der Bundeswehr, Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags, Deutscher Bundestag 2018
5 Siehe hierzu besonders die bei der Informationsstelle Militarisierung erschienene Studie „Die Spitzensportförderung der Bundeswehr“ von Lisa Klie, imi-studie 3/2019.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.