- linke Erfahrungen nicht vergessen

Was tun gegen polizeiliche Willkür?

von Otto Diederichs

Daß von Polizeibeamten im Rahmen ihrer Einsätze nahezu tagtäglich Übergriffe begangen werden, streiten eigentlich nur die Polizei selbst sowie die gerade verantwortlichen Innenminister ab. Während man dort schon seit längerem kaum noch Probleme hat anzuerkennen, daß auch Polizeibeamte unter Umständen Betrügereien oder Diebstähle begehen - oder gar morden - sind Übergriffe (allein der Fachjargon ist beschönigend) nicht diskutabel.

"Normale" Straftaten werden dabei nach dem Erklärungsmuster der "schwarzen Schafe", die es bekanntlich überall gebe, abgehandelt. Die Betroffenen werden in der. Regel hart bestraft. Straftaten der zweiten Kategorie indessen werden, da sie aufgrund ihrer Häufigkeit tief in das Berufsbild und die eigene Motivation eindringen würden, nach dem Motto: "daß nicht sein kann, was nicht sein darf“ schlichtweg geleugnet. In erster Linie sind es dabei ohnehin Unterprivilegierte wie z.B. Obdachlose, AsylbewerberInnen, Drogenabhängige- und / oder Prostituierte, die zum Opfer polizeilicher Willkür werden. Danach folgen AusländerInnen und bis zu schwersten körperlichen Mißhandlungen reichend - "natürlich" DemonstrationsteilnehmerInnen.

Diese Behauptungen bedürfen, da sie allzu offenbar richtig sind, keiner weiteren Beweisführung. Eine neuerliche Zusammenfassung und Schilderung von Vorfällen wäre lediglich langweilig. Hierzu werfe man besser einen regelmäßigen Blick in die Tagespresse.

Deshalb verlassen wir mit diesem Hinweis den unmittelbaren Tatkomplex und wenden uns der interessanteren Frage zu: Was kam man als Betroffene / Betroffener eines polizeilichen Übergriffes tun, um den Beamten / die Beamtin a) zur Rechenschaft zu ziehen und b) langfristig eine allgemeine Verhaltensänderung bei der Polizei mit zu befördern. Die Antwort ist bedauerlicherweise kurz. Sie lautet: „Wenig!"

Auch wenn die Möglichkeiten des / der Einzelnen zu einer Gegenwehr / Gegenreaktion nicht sehr üppig sind, sollte darüber doch kurz - und ohne Beschönigungen - nachgedacht werden:

  1. Anzeigen

Anzeigen gegen PolizeibeamtInnen sind zweifellos das unmittelbarste Mittel, um gegen erlittenes oder beobachtetes polizeiliches Willkürverhalten (von der Diskriminierung bis zur Mißhandlung) vorzugehen. Wissen muß man dabei und, daß solche Anzeigen von den Betroffenen zumeist unmittelbar mit einer Gegenanzeige - in der Regel wegen Widerstandes - beantwortet werden. Die geltende Rechtslage läßt ihnen hierzu auch kaum eine Alternative, wollen sie nicht (berechtigt oder unberechtigt) in den Verdacht eines (stillschweigenden) Schuldeingeständnisses kommen. In dem irgendwann erfolgenden Verfahren haben die PolizeibeamtInnen dann allemal die besseren Karten: Sie präsentieren in der Regel zwei bis drei KollegInnen, die die vorgetragene Version des Tatherganges bis ins Detail bestätigen werden. (Die eigenen Zeugen - sofern vorhanden - müssen dann schon sehr gut sein, um die uniformelle Aussagewucht zu erschüttern). Zudem haben PolizistInnen vor Gericht den unschätzbaren Vorteil, bei den RichterInnen in der Regel auf Menschen zu stoßen, die einem ähnlichen politisch motivierten Verdrängungsmechanismus unterliegen wie die BeamtInnen selbst (siehe oben).

Die Chancen, durch Anzeigen zu einem positiven Ergebnis zu kommen, sind also eher schlecht. Sollte man deshalb auf diesen Weg gänzlich verzichten? Die Antwort lautet "Nein": Auch angesichts der miserablen Ausgangslage sind Erfolge nicht generell auszuschließen. Zudem tragen derartige Verfahren auch immer wieder einen Verunsicherungseffekt in die grünen Reihen und zwingen zur bewußten Entscheidung zwischen "Kameraderie" und verantwortungsvoller Berufsauffassung.

Allerdings muß man um die eigene Situation und den eigenen Stand in solchen Verfahren wissen. Gänzlich falsch ist es deshalb, sich von einer (momentanen) moralischen Empörung hinreißen zu lassen. Stattdessen sollten der Vorfall und die möglichen Strafverfahrenschancen / -folgen zuvor mit einem Rechtsanwalt diskutiert werden.·Vertrauenswürdige RechtsanwältInnen werden ihre MandantInnen nicht in "Verfahrensfallen" schicken.

        2. Politische Initiativen

Bleibt somit zu überlegen, welche politischen Reaktionsmöglichkeiten BürgerInnen haben. Zu erinnern ist hier in erster Linie an die "Selbsthilfegruppen" Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre. Zuvörderst an die "Rote Hilfe" aus der Zeit der heute legendären ".68er-Generation". Ihre damaligen Flugblätter und Broschüren, wie z.B. das Basiswerk "Wie man gegen Polizei und Justiz die Nerven behält", wurde nicht nur zur Vorlage vieler nachfolgender Selbsthilfebroschüren von Knastgruppen, Sanitätergruppen u.Ä., sondern brachte es gar zu einem Taschenbuch des Rotbuchverlages (Nr. 107). Heutigentages besinnt sich - zumindest in Berlin - die "Anti-Rassistische Initiative" wieder auf diese Tradition (möglicherweise hält sie es auch für eine ganz neue, ureigene Idee) und verteilt mehrsprachige Handzettel mit Rechtshilfetipps und Anwaltsadressen an AsylbewerberInnen.

Weiter wäre zu nennen die Gruppe "Bürger beobachten die Polizei", die in Deutschland Anfang der 80er Jahre ebenfalls in Berlin aus der Taufe gehoben wurde. Pate standen dabei überwiegend VertreterInnen der "Humanistischen Union", des "Grundrechtekomitees", der "Alternativen Liste", und RechtsanwältInnenvereinigungen. Das Licht der Welt erblickt hatte diese Initiative allerdings einige Jahre zuvor in Amsterdam. Während sie in der Bundesrepublik (nach einem kurzen Zwischenhoch, als BüPo-Initiativen, wie sie salopp genannt wurden, überall aufkeimten) längst wieder verschwunden - bestenfalls noch Erinnerung (überwiegend bei PolizeibeamtInnen) sind -, besteht die ursprüngliche Keimzeile, das "Klachtenbüro'' in Amsterdam, bis heute fort und ist ein ernstzunehmender (und - genommener) Diskussionspartner der Polizei geworden.

Hierin spiegelt sich nicht nur ein etwas anderes Selbstverständnis der niederländischen Polizei wider, sondern in erster Linie eine politische Herangehensweise der BürgerInnen. Während in Deutschland linke Politik gern "aus dem Bauch" gemacht wird und ebenso schnell aufgegeben oder verändert wird, wenn sich das persönliche Lebensgefühl ändert, zeigt das niederländische Beispiel, daß sich kontinuierliches Beharren lohnen kann.

Schlussbemerkung

Langfristiges politisches Engagement ist heute (sorry folks) nicht mehr "en vogue". Statt dessen überläßt man es überwiegend den - unterdessen - eigenen PolitikerInnen der GRÜNEN BÜNDNIS 90, die entsprechenden Forderungen zu erheben und (möglichst) durchzusetzen, Bezogen auf unser Thema hätte nun der Ruf nach einer Kennzeichnung der Polizei zu erfolgen. Diese Forderung ist zweifellos auch nach wie vor richtig. Zu bedenken ist allerdings, daß sie schon lange nicht mehr "exklusiv" ist. Initiativen in diese Richtung werden auch innerhalb der Polizei seit Jahren erhoben - z.T. sogar praktiziert: Bereits 1978 gab es eine ernstzunehmende Initiative in Tübingen; 1987 entsprechende Forderungen in Bayern; 1988 und 1989 in Berlin und Düsseldorf. Hessen führt z.Zt. einen verbindlichen Versuch der Kennzeichnung durch.

Der Erfolg mag zweifelhaft sein (die Forderung ohnehin nach wie vor richtig) - aber sollte linke Politik nicht immer möglichst einen Schritt voraus sein?

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