Städtetag fordert Bunkerbau, Lauterbach Umbau des Gesundheitssystems

Zivilschutz auf Kriegskurs

von Kathrin Vogler
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Im November befahl Kriegsminister Pistorius, unser Land müsse endlich kriegstüchtig werden. „Wir reden über die Fähigkeit, einen Krieg führen zu können“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Natürlich wäre zuerst einmal zu fragen, was das eigentlich heißen soll. Wenn das Ruhrgebiet oder Berlin nach diesem Krieg so aussehen wie Gaza oder Mariupol, dann stellt sich schon die Frage, ob außer den Aktionär*innen der Rüstungsindustrie überhaupt jemand an so einem Krieg Interesse haben kann, selbst wenn „wir“ den Krieg gewinnen würden.

Aber solche Fragen scheint sich in der Ampel-Regierung niemand zu stellen. Im Gegenteil: Die anderen Ministerien stehen gleich stramm: Finanzminister Lindner will für mehr Rüstung Sozialausgaben einfrieren, und Gesundheitsminister Lauterbach fordert eine Zeitenwende für das Gesundheitssystem. Das soll jetzt auf den militärischen Bündnisfall vorbereitet werden.

Hinter den Kulissen läuft das schon längst: Wir sprachen vor einiger Zeit im Gesundheitsausschuss des Bundestags über die Behandlung ukrainischer Verletzter. Ich habe dann nachgefragt, warum die meisten gar nicht in den besonders dafür geeigneten Bundeswehrkrankenhäusern behandelt werden. Darauf erklärte der Chef des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, das sei Absicht, damit auch die Beschäftigten in zivilen Kliniken schon mal lernen, mit Kriegsverletzungen umzugehen.

Das läuft nicht erst seit dem Ukrainekrieg. Das Gesundheitssicherstellungsgesetz, das die Vorbereitung des Gesundheitswesens auf „Gesundheitskrisen“ regeln soll, ist schon im Koalitionsvertrag von 2021 angekündigt. Die Gesundheitskrisen, um die es da geht, sind nicht nur Pandemien oder Naturkatastrophen, sondern vor allem ein möglicher Krieg in unserem Land.

Das wurde deutlich in einem Fachgespräch im Gesundheitsausschuss des Bundestags im April dieses Jahres, als verschiedene (sämtlich männliche) Experten in nichtöffentlicher Sitzung ganz offen darüber diskutierten, welche Krankenhäuser wie viele Betten im Kriegsfall an die Bundeswehr abtreten könnten und wie die Neuorganisation des Zivil- und Katastrophenschutzes auf die Bedürfnisse der Kriegsvorbereitung abgestimmt werden solle. Einzig die Hamburger Ärztin Uta Rippel-Lau vom Vorstand der IPPNW nahm eine kritische Position zur Generalmobilmachung für das Gesundheitswesen ein und erinnerte an die erfolgreiche Verhinderung eines ähnlichen Gesetzentwurfes Anfang der 1980er Jahre.

Anstatt das Gesundheitssystem kriegstauglich zu machen, sollte sich der Gesundheitsminister vielmehr darum kümmern, dass das Gesundheitssystem in Deutschland erstmal friedenstauglich gemacht wird. In jedem Winter müssen Eltern Dutzende Apotheken abklappern, um Hustensaft für ihre Kinder aufzutreiben. Die Pflegekrise soll dadurch geheilt werden, dass jetzt in der ganzen Welt die Pflegekräfte abgeworben werden, während seit Jahrzehnten Hunderttausende Pflegekräfte durch die beschissenen Arbeitsbedingungen ins Burnout und aus dem Beruf hinausgetrieben wurden. Reihenweise gehen schon jetzt, vor der großen Krankenhausreform, überall im Land die Krankenhäuser pleite. Eine verantwortliche Gesundheitspolitik würde sich darum kümmern, anstatt bei der Mobilisierung für den Kriegsfall mitzumachen.

Auch die Kinder „kriegstüchtig“ machen?
Auch Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger von der FDP möchte tatkräftig an der Militarisierung mitwirken. Die Schulen sollen kriegstüchtig werden, ein „unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr" entwickeln und noch mehr Jugendoffizier*innen in die Klassen holen. Aber warum erst in der Schule damit anfangen? Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes will sogar schon in den Kitas mit Zivilschutzübungen anfangen. Auf die Nachfrage, ob es ihm um die kriegsfähige Kita gehe, sagte er: „Mir geht es um Resilienz. Man kann in Kitas und Schulen durchaus mal üben, was zu tun ist, wenn es brennt – und wo die Sammelplätze sind.” In den Schulen könnte man „an Projekttagen oder in Arbeitsgruppen für die neue Gefahrenlage sensibilisieren – und wie man sich im Verteidigungsfall verhält”. Statt unseren Kindern beizubringen, wie sie sich im Falle eines Atomkriegs unter dem Spieltisch verkriechen, sollten wir sie lieber lernen lassen, wie man Konflikte gewaltfrei bewältigt und Frieden schließt.

Das Bayerische Gesetz und der Veteranentag
Die bayerische Landesregierung will da nicht zurückstehen. In Bayern wurde kürzlich gesetzlich die Förderung der Bundeswehr vorgeschrieben. An bayerischen Unis werden Zivilklauseln verboten, die den Ausbau der Rüstungsforschung behindern könnten. Verbote sind wohl immer nur dann schlecht, wenn es um das Überleben der Menschheit in der Klimakrise oder den Kampf gegen Diskriminierung geht. Jetzt kommt noch der Veteranentag dazu, der künftig immer am Wochenende nach dem 15. Juni gefeiert werden soll. Nicht das völlige Scheitern des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan, für den die rot-grünen, schwarz-roten und schwarz-gelben Bundesregierungen politisch verantwortlich sind, soll im Vordergrund stehen, sondern die persönlichen Entbehrungen, die Bundeswehrangehörige in diesem letztlich sinnlosen Kriegseinsatz erlitten haben. Diejenigen, die in Kampfeinsätzen verletzt oder seelisch traumatisiert wurden, brauchen eine vernünftige Versorgung und nicht einen symbolischen Feiertag. Weil es aber auch um die Vorbereitung auf die nächsten Kriege geht, werden alle aktiven und ehemaligen Bundeswehrangehörigen, auch die, die gar nicht im Auslandseinsatz waren, gleich miteinbezogen. Mal wieder wird der Soldatenberuf herausgehoben. Menschen, die sich im Katastrophenschutz, bei der Feuerwehr oder in der Pflege unter „gefährlichen Bedingungen, persönlichen Entbehrungen sowie körperlichen und seelischen Härten“ - so heißt es im Veteranentagsantrag über die Soldat*innen – für ihre Mitmenschen einsetzen, werden natürlich nicht durch einen besonderen Feiertag gewürdigt. Bei der Abstimmung im Bundestag waren übrigens alle Fraktionen von der selbsternannten „Friedenspartei“ AfD bis zu den Grünen dafür. Nur Die Linke hat dagegen gestimmt, das ebenfalls mit Friedensparolen werbende BSW hat Debatte und Abstimmung einfach geschwänzt. Die CDU hat in ihr neues Grundsatzprogramm jetzt die Forderung nach der Wiedereinführung der Wehrpflicht aufgenommen. Weil sie so modern ist, diesmal für Frauen und Männer.

 

Menschliche Sicherheit statt militärischer
Vieles von dem, was jetzt unter dem Schlagwort der „Zeitenwende“ diskutiert wird, lag schon vor dem russischen Überfall in den Schubladen. Dass diese Hochrüstung jetzt so umgesetzt werden kann, dass immer neue Militarisierungsmaßnahmen gefordert werden, bis in das Gesundheits- und Bildungswesen hinein – dazu haben Putin und die nationalistischen Kräfte, die seine Regierung in Russland stützen, einen wichtigen Beitrag geleistet. Ohne den Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hätte die Friedensbewegung in Deutschland (und weltweit) eine bessere Ausgangsposition in der Abwehr dieser Militarisierungsschritte. Denn wir brauchen nicht immer mehr Kriegsvorbereitung, sondern eine Politik, die den Frieden vorbereitet. Es wird ja nicht nur im Sozialen gekürzt, sondern auch bei ziviler Konfliktbearbeitung, Friedensforschung, Entwicklungszusammenarbeit und bei der Demokratieförderung, überall da, wo es um Prävention und gewaltfreie Bewältigung von Konflikten geht. Es werden jetzt ganz unverhohlen Waffen und Munition in Kriegs- und Krisengebiete und an patriarchale Diktaturen wie Saudi-Arabien geliefert, ausgerechnet von den Grünen, die ansonsten gern mal von feministischer Außenpolitik reden.
Bei dem verbalen Trommelfeuer, das auf alle herniedergeht, die einen Waffenstillstand und Verhandlungen auch nur ganz vorsichtig ins Gespräch bringen, muss man fast befürchten, dass man bald nicht nur in Bayern schon verdächtig ist, wenn man für mehr zivile Konfliktbearbeitung wirbt oder über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aufklärt. Schon 2021 gaben allein Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien mehr als dreimal so viel für ihr Militär aus wie Russland. Extreme Hochrüstung hat noch nie in der Menschheitsgeschichte einen Krieg verhindert. Zur Abschreckungslogik gehört die unbedingte Bereitschaft, Krieg so konkret wie möglich vorzubereiten und auch zu führen. Abschreckung ist Kriegsvorbereitung. Zudem ist sie in ihrer eigenen Logik ein Loch ohne Boden, denn abschrecken kann man nie genug. Oder anders gefragt: Wieviel höher müssen unsere Rüstungsausgaben eigentlich sein als die Russlands und Chinas, damit wir uns in der Logik der Abschreckung sicher fühlen können? Wenn man Sicherheit nicht aus einer Abschreckungsperspektive betrachtet, sondern die Frage stellt, wie verlässlich Menschen ihr Leben planen können, dann steht es um die Sicherheit für viele Menschen in Deutschland nicht gut.
Die Kriegsvorbereitung, die jetzt wieder in alle Lebensbereiche vordringt, lenkt von den entscheidenden Zukunftsfragen ab: Wie schaffen wir es, den unsere Lebensgrundlagen bedrohenden Klimawandel aufzuhalten? Und wie schaffen wir es, gegen die soziale Spaltung in unserem Land anzugehen, die der entscheidende Nährboden für den Erfolg des Rechtsextremismus ist? Deshalb kommt der Auseinandersetzung um die politische Prioritätensetzung für Rüstung oder sozialökologischen Wandel so eine große Bedeutung zu.

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