Schreibe Bundeskanzler Scholz und fordere ihn auf aktiv zu werden für Verhandlungen und ein Ende des Krieges in der Ukraine.
Redebeitrag von Dorothea Litzba (Friedenstrommlerin) für den Ostermarsch Aschaffenburg am 15. April 2017
- Es gilt das gesprochene Wort -
Liebe Ostermarschierer!
Gut, dass Ihr gekommen seid. Ich bin froh darüber. Denn gerade in einer Zeit, in der sich Konflikte zuspitzen, müssen wir raus auf die Straße, um Dinge, die im Argen liegen, in aller Öffentlichkeit anprangern und uns - für alle sichtbar - für den Frieden einzusetzen.
Zur Einstimmung beginne ich mit einem Buchtext des amerikanischen Pulitzer-Preis-Kandidaten Eric Schlosser. Er beleuchtet ganz nüchtern die Erwägungen von Militärstrategen der US-Airforce im Kalten Krieg. 1955:
... Der Kampfpilot würde die Genie abfeuern. Das Raketentriebwerk würde rund zwei Sekunden brennen und die Rakete würde mit dreifacher Schallgeschwindigkeit auf das Ziel zuschießen. Sobald der Zeitschalter bei null stand, würde der Nuklearsprengkopf der Genie explodieren. Der Feuerball würde jedes Flugzeug im Umkreis von hundert Metern zerstören, die Detonationswelle schwere Schäden in einem riesigen Umkreis anrichten. Für die feindliche Sowjetbesatzung wäre dabei die tödlichste Gefahr die Strahlung, die bei der Explosion freigesetzt würde. Die Genie-Rakete … hatte einen „Todesradius“ von anderthalb Kilometern, die „Tötungswahrscheinlichkeit“ lag bei 92 Prozent. Bis zum Strahlentod der sowjetischen Besatzung konnten jedoch noch fast fünf Minuten vergehen, weshalb es durchaus erforderlich war, die Genie möglichst weit weg von besiedeltem Gebiet einzusetzen …
Welche Katastrophe dabei über die Wohnbevölkerung kommen würde, wird hier nicht weiter ausgeführt; der Text konzentriert sich auf Nuklearunfälle an amerikanischen Militärstandorten. Wir wissen allerdings, dass der Plutonium-Gefechtskopf der Genie auf 1,5 kt Sprengkraft ausgelegt war, auf ein Zehntel der Hiroshima-Bombe (1). Es ist unfassbar: Ein Gefechtskopf so geringer Größe hätte bereits zehntausende Leben auslöschen können. Von Menschen, die zufällig im Einzugsbereich der Kampfstätte wohnten.
Im Zuge der Modernisierung wurde die Genie in den 1980er Jahren gegen neue Plutoniumwaffen ausgetauscht, selbstverständlich noch um ein Vielfaches schlagkräftiger. Die US-Militärstrategen sind nie müde geworden, mit ihrem Arsenal an Wasserstoffbomben in ungeahnte Dimensionen der Vernichtung vorzudringen.
Auch bei uns in Deutschland lagern noch Atomwaffen dieser Kategorie. Im deutschen Fliegerhorst Büchel sind zwanzig Atomsprengköpfe untergebracht. Und zwar zur allzeitigen Verfügung der US-Militärs, die mit der Bundeswehr eine Vereinbarung getroffen haben: Im Ernstfall sollen deutsche Tornados mit deutscher Besatzung die Raketen zum Einsatzort bringen und abfeuern. Mich gruselt es bei dem Gedanken.
Aber es geht ja noch weiter. Atomtechnologie ist keineswegs sicher beherrschbar. Schon kleinste Versehen, Pannen oder auch Verständigungsschwierigkeiten können schlimmste Folgen zeitigen. Die technischen Abläufe bei Handhabung, Lagerung, Wartung und Einsatz von Nuklearwaffen sind unvorstellbar komplex. Sie erfordern Befehlsstrukturen, bei denen es schlichtweg unmöglich ist, bei einem feindlichen Angriff rechtzeitig zu reagieren. Das bedeutet: Die Atomtechnologie zwingt beide gegnerischen Seiten, sich auf den Erstschlag vorzubereiten! Den Erstschlag! Mit allen Voraussetzungen zum Overkill, damit dem getroffenen Gegner ein effektives Zurückschlagen nicht möglich ist. Ein solcher Ansatz kann nur auf die vollständige Vernichtung der Gegenseite hinauslaufen. Und es gibt keine Macht der Welt, die in einem solchen Moment verhindern kann, dass durch das nukleare Inferno Länder in der Nachbarschaft gleich mit ausgelöscht werden. Bei einem Schlagabtausch USA/Russland wäre auch Deutschland der Vernichtung geweiht.
Bestimmt gibt es hier auf dem Platz noch Leute, die sich an unsere großen Abrüstungsdemonstrationen der 1980er Jahre erinnern. Damals haben wir uns vehement für Systeme friedlicher Koexistenz eingesetzt. Wir hatten Erfolg. USA und Sowjetunion verhandelten miteinander und schlossen Verträge ab, die bis heute gehalten haben: 1987 den INF-Vertrag gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen und 1991 den START-Vertrag, der den Großteil der Interkontinentalraketen ins Abseits verbannte und die Zahl der Atomsprengköpfe reduzierte. 2010 gab es mit dem New START-Vertrag eine Verlängerung.
Inzwischen sind wir erneut gefordert zu reagieren, denn der neue Präsident der USA hat sich gegen die bilateralen Abrüstungsverträge mit Russland gewandt. Die Atomzeituhr zur Warnung der Menschheit, die seit 1947 von besorgten Wissenschaftlern immer wieder neu eingestellt wird, ist auf zwei Minuten vor Zwölf vorgerückt.
Wir müssen jederzeit damit rechnen, dass Donald Trump, wie gerade geschehen, wieder und wieder ohne internationale Verabredung zuschlägt. Ungewiss bleibt nur, wie schnell eine Auseinandersetzung eskaliert. Wir haben Anlass zu äußerster Sorge, wenn NATO-Truppen in Richtung Osten vorrücken oder neue Waffen in unserem Land eingeführt werden.
Ramstein, auch wieder ein deutscher Ort, ist zum Ausgangspunkt von Kriegshandlungen in Nahost geworden. In Ramstein erfolgt die Aufklärungsarbeit für US-amerikanische Drohnenmorde. Das können wir nicht dulden, ebenso wie direkte Auslandseinsätze der Bundeswehr. Wir verurteilen deutsche Rüstungsproduktion und die unvermindert stattfindenden Waffenlieferungen an kriegführende und diktatorische Regime. Die Verbrüderung mit reaktionären Kräften, mit autoritären und gewaltbereiten Staatsführungen darf in der Politik unseres Landes nicht salonfähig werden. Werbung für die Bundeswehr an Schulen ist zu unterbinden, und wir sind alle gehalten, faschistischem und nationalistischem Gedankengut entgegenzutreten.
Augenblicklich stehen wir vor immensen innerstaatlichen Herausforderungen, denn wir sind mit einer starken Zuwanderung von Flüchtlingen konfrontiert. Überdies gibt es in Afrika 20 Millionen akut vom Hungertod bedrohte Menschen (20 Millionen!). Wir sollten dringend darüber nachdenken, was wir, was unsere Zivilisation im globalen Gefüge falsch gemacht hat.
Wir sollten dazu einmal unseren Blick auf die Weltordnung richten, die eine Handvoll international operierender Konzerne im Zuge der Globalisierung geschaffen hat. Die Ordnung dieser Transnationalen Konzerne beruht auf dem Prinzip des Neoliberalismus. Der ist auf schnellen Gewinn ausgerichtet und absolut rücksichtslos: Wer ins Schlingern gerät, hat schon verloren. Und da es nur Gewinner und Verlierer gibt, geht der Verlierer unter. Die Transnationalen Konzerne schwärmen in die Länder des Südens aus und setzen sich dort fest. Dabei nutzen sie (von Machtinteressen oder vom Klimawandel befeuerte) Konflikte und schüren Auseinandersetzungen bis hin zu Kriegen, um sich dauerhaft Macht und Einfluss zu sichern. Für ihr Geschäft plündern sie die Fischgründe und reißen ganze Landstriche an sich, um Böden und Bodenschätze auszubeuten. Sie holzen Wälder ab, legen Monokulturen an, errichten Staudämme zur Stromversorgung ihrer Großbetriebe und drängen die Bevölkerung ab in unwirtliche Gebiete oder in die Slums der großen Städte. Und die Unerschütterlichen unter den Einheimischen, denen es doch irgendwie gelingt, sich zum Überleben etwas aufzubauen? Auch sie werden um ihre Hoffnungen beraubt. Dafür sorgen manipuliertes Saatgut der Weltkonzerne oder unfaire Handelsabkommen.
Die Transnationalen Konzerne haben heute mehr als 50 % ihrer Beschäftigten im Ausland. Sie nutzen die lächerlich niedrigen Löhne in der Peripherie aus, um Profit zu machen, und transferieren diese Profite in die Staaten des Westens -oder aber in eines der Steuerparadiese. Im Zuge des Panama-Skandals wurde aufgedeckt, dass in einem einzigen Hochhaus 114.000 Briefkastenfirmen ansässig sind. Viele dieser Firmen zur Steuerhinterziehung sind Ableger der Deutschen Bank und anderer deutscher Banken und sonstiger wohlbekannter Großunternehmen.
Und während im Süden Landzerstörung und fortschreitender Klimawandel zu sozialen Verwerfungen, Unruhen, Flucht und Vertreibung geführt haben, entwickeln unsere EU-Staaten immer effektivere Maßnahmen zur Gettoisierung oder physischen Abwehr von Flüchtenden. Die Flüchtlingslager jenseits der etablierten EU-Staaten versinken in Schlamm und Elend. Ein Großteil der EU-Zuschüsse ist an NATO-Partner Türkei gegangen, ein Teil ist noch nicht freigegeben. Die Not der Entwurzelten wächst stetig.
Und während Menschen sterben und Großkonzerne in den Ländern des Südens Zusatzprofite in Milliardenhöhe machen, steigt bei vielen von uns die Furcht, wegen des Flüchtlingsandrangs könne es für uns selbst nicht mehr reichen. Doch es könnte für uns alle reichen, wenn wir uns nur nicht der lebensfeindlichen Ideologie des Neoliberalismus unterwerfen würden, die den Staat nötigt, die „Schwarze Null“ zum Mantra zu erheben, statt in eine menschengerechte Zukunft für alle zu investieren. Austerität ist für einen Staat der falsche Weg. Ein Staat ist kein Kapitalunternehmen, das sein Überleben von heute auf morgen sichern will. Der Staat hat Verantwortung für die Menschen, und die ist langfristig.
Dazu gehört eine Politik, die den Menschen in ihren Bedürfnissen gerecht wird und in ihre Versorgung investiert, statt Superreiche vor Abgaben zu verschonen, damit sie sich in volkswirtschaftlich nutzlosem Konsum ergehen können2).
Wir, die Menschen, die nicht zur Clique der Superreichen gehören, müssen in eine Welt der Solidarität zurückfinden. In eine Welt, in der Menschen anderen Menschen ein Leben in Würde zubilligen, in der miteinander reden unendlich viel höher eingeschätzt wird als kämpfen. Wir sollten uns für ein Leben einsetzen, das im Einklang mit unserer Erde steht, das Zerstörung und Grausamkeit ächtet, das auch Tieren die Achtung nicht versagt und das unseren Planeten schonend nutzt.
Dafür lohnt es sich, den Ostermarsch anzutreten. Ich wünsche uns einen guten Weg.
Dorothea Litzba ist aktiv bei der Friedensgruppe "Friedenstrommler*innen" in Aschaffenburg.
Anmerkung:
(1) Autor der beschriebenen Szene ist Eric Schlosser, ein Pulitzer-Preis-Kandidat und allem Augenschein nach auch ein patriotischer US-Amerikaner. Er ging mit bewundernswerter Akribie der Frage nach, wie sicher oder unsicher amerikanische Nuklearwaffen sind. Das Ergebnis veröffentlichte er in einem umfangreichen Werk.