Redebeitrag für den Ostermarsch Limburg am 3. April 2021

 

- Sperrfrist: 3. April 2021, Redebeginn: 10 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

der Zweite Weltkrieg war vor 76 Jahren vorbei. Ich bin jetzt siebzig und habe immer in Frieden gelebt, ohne Angst vor Bomben, ohne Tage und Nächte im Bunker, ohne Zerstörung, Tod, Hunger. Noch habe ich Kindheitserinnerungen an Ruinengrundstücke in Frankfurt; an Männer, die den Ärmel ihrer Anzugsjacke hochgesteckt hatten, weil sie ihren Arm verloren hatten; Männer, die auf Krücken und hochgestecktem Hosenbein auf der Straße humpelten. Bei Verwandtenbesuchen stand oft eine Fotografie mit Trauerflor auf der Kommode: der Vater, der Bruder, der Sohn, er war „gefallen“.

Gefallen? Hingefallen? Umgefallen? Nein, er war nicht gefallen, er war tot! Als Soldat in andere Länder geschickt, um dort zu morden, wurde er selber ermordet! Gefallen! Welches verniedlichende und beschönigende Wort für eine so blutige, so barbarische Angelegenheit. Mit Lügen und hohlen Versprechungen von Führern und Generälen geschickt, für Volk und Vaterland ihr junges Leben zu opfern.

Vor einigen Jahren war ich in der Normandie. Dort habe ich zum Ersten Mal einen deutschen Soldatenfriedhof besucht: ein kreisrunder Bau, zweigeschossig mit ca. 47 m Durchmesser. Auf jeder Ebene befinden sich 34 Grufträume mit jeweils 180 Toten. 12.000 Menschen. In La Cambre gibt es einen anderen Soldatenfriedhof mit 21.000 Toten. 50% der toten Soldaten waren zwischen 19 und 25 Jahren.

Mein Großvater hat zwei Kriege mitgemacht, mein Vater einen und  ist seiner Jugend beraubt worden. Aber ich und die meisten von uns hier auf diesem Platz kennen Krieg nur aus dem Fernsehen. 70 Jahre Frieden in Mitteleuropa, aus Erzfeinden sind Partner und Freunde geworden.

Europa ist zusammengewachsen und die Europäische Union hat den Friedensnobelpreis erhalten.

Dies, liebe Freunde, darf nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Vielleicht liegen der heiße und der kalte Krieg schon zu lange zurück, sodass wieder Pläne geschmiedet werden können: Atomare Teilhabe der Bundeswehr, endlich bewaffnete Killerdrohnen wie die anderen Mächte auch, Flugzeugträger Marke Karrenbauer.

Es hieß einmal: von der Etsch bis an die Memel. Heute heißt es Vorneverteidigung vom Hindukusch bis in die Sahel-Zone.

Und Exportweltmeister in Rüstung wollen wir auch gerne werden. Wir? Wollen wir das wirklich?

Eingebettet in Bündnisstrukturen wie NATO und EU können deutsche Politstrategen wenigstens keine größenwahnsinnigen militärischen Alleingänge mehr wagen. Dafür wird fleißig mitgemacht: Eine europäische Streitmacht - Klar doch! 2% des Bruttoinlandsozialprodukts für die Rüstung ausgeben - Klar doch! Tolle neue Waffensysteme – klar doch! Müssen wir doch, sonst  ist Deutschland nicht „bündniswürdig“.

NEIN, wir wollen liebens- und friedenswürdig werden!

Ja, Deutschland hat als größte Wirtschaftsmacht Europas einen großen Einfluss. Und der sollte genutzt werden:

für eine neue europäische Entspannungspolitik

für Brücken bauen statt neue Mauern errichten

für die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsantrags

für Entwicklungshilfe statt militärischer Ausrüstungshilfe

Und es ist höchste Zeit, etwas zu tun. Vor lauter Corona in der öffentlichen Debatte bekommen wir die Schweinereien, die sonst in der Welt passieren, kaum noch mit:

Laut Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) gab es 2020   21 registrierte Kriege nach 15 im Jahr davor. Die meisten Kriege, 11, finden in Ländern der Sub-Sahara statt. Der Krieg in Syrien geht schon ins 11. Jahr. Die Kämpfe mögen abgeflaut sein. Aber wenn das Töten endet, geht das Sterben der Menschen weiter. Die Zerstörung von Krankenhäusern, Schulen, Infrastruktur bleibt lange bestehen. Der Hunger und das Verhungern der Menschen nimmt zu, ob das in Syrien oder im anderen Katastrophenland Jemen ist.

Die Bundesregierung zahlt zwar 1,7 Milliarden Euro in den Syrien-Hilfsfond ein, aber vorher sind gute Waffengeschäfte getätigt worden auch an im Jemen und Lybien kriegführende Staaten wie Ägypten, die arabischen Emirate oder die Türkei. Laut SIPRI ging der weltweite Waffenexport zwischen 2016 und 2020 zwar leicht zurück, aber nur weil Rußland und China weniger Waffen exportierten, die USA, Frankreich und Deutschland aber umso mehr. Deutschland steigerte seine Exporte um 21% und liegt vor China auf Platz vier dieser tödlichen Rangliste.

Und auch die EU will da gerne mitmischen: So gibt es einen eigens geschaffenen „European Peace Facility“ genannten Fond, der es ermöglichen soll, Waffen und Munition an Drittstaaten zu liefern. Und das an jeder Kontrollinstanz, auch am Europäischen Parlament, vorbei. Frieden schaffen mit noch mehr Waffen!?

Liebe Freunde, es geht aber nicht um Milliarden oder neue Kriegswaffen allein. Wir von der Deutschen Friedensgesellschaft und den Kriegsdienstverweigerern haben in unserer Grundsatzerklärung stehen: „Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit! Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.“

Deshalb: Packen wir es an! Schweigen wir nicht! Es geht – anders!

Vielen Dank.

 

Manfred Backhaus ist aktiv bei der DFG-VK Gruppe Limburg.