Redebeitrag für den Ostermarsch 2024 in Landshut am 1. April 2024

 

- Sperrfrist: 01.04., Redebeginn: ca,. 14 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreund*innen,

nach mehr als zwei Jahren erbitterten Kämpfen in der Ukraine stehen wir hier. Mehr als zwei Jahre seit dem Überfall Russlands. Und mehr als zwei Jahre in denen die Auswirkungen und die Begriffe der deutschen Mobilmachung nur so auf uns einprasseln. Das neue Ziel der "Kriegstüchtigkeit", das 100-Mrd.-Euro Sondervermögen für die Bundeswehr, das Ziel, zukünftig 2% des BIP für Krieg und Rüstung auszugeben, die Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht,... Und gleichzeitig wissen wir, was sich hinter diesen kalten Begriffen verbirgt: Jeden Tag sterben in Kriegen Kinder, Frauen und Männer, Zivilist*innen und Soldat*innen, für Nationalismus, Macht und Profitgier. Solches Elend verstecken die Politiker*innen hinter Begriffen wie Selbstverteidigungsrecht und Sicherheit.

Ich bin mir sicher, dass es vielen von uns oft mal zuviel war in den letzten zwei Jahren und wir die Zeitung oder das Handy einfach weglegen mussten, wir mal eine Pause gebraucht haben von den furchtbaren Nachrichten über Aufrüstung, Krieg und Tod. Aber ignorieren lassen sich solche Unfassbarkeiten und solche Ungerechtigkeit nicht. Trotz allem und gerade deswegen stehen wir heute hier und sagen Nein. Nein zu Aufrüstung, nein zu Waffenlieferungen, Nein zu Krieg und Gewalt!

Dieser deutsche Kriegsrausch ist ein Dammbruch. Es hat sich hier über Jahrzehnte schon jede Menge angestaut: Die Wiederbewaffnung der BRD zum Beispiel, die NATO-Osterweiterungen, das Gelaber über eine neue deutsche "Verantwortung" in der "Sicherheitspolitik", das ständige Geben und Nehmen zwischen Politik und Rüstungsindustrie, deutsche Kriegseinsätze in Jugoslawien und Afghanistan, usw. Aber die deutsche Zivilgesellschaft und wir als Bewegungen waren bis jetzt immer eine Stolperfalle für die Kriegstreiber*innen, wir waren immer ein sehr wichtiger Gegenpol. Es gibt genug deutsche militärische Vorhaben die gescheitert sind an einer lauten Gegenöffentlichkeit und kritischem Journalismus. Solche Aussagen werden natürlich schnell zur Glaubensfrage, aber hier mal zwei Beispiele, wo der gesellschaftliche Einfluss kaum von der Hand zu weisen ist:

  • 1. Kriegseinsätze ohne den Rückhalt der Bevölkerung: Seit Jahrzehnten geben sich in Deutschland Politik, Militär und Rüstungslobby große Mühe, Deutschland militärisch wieder zur Großmacht zu machen. Und seit Jahrzehnten sprechen sich in Umfragen regelmäßig Mehrheiten der Bevölkerung gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr aus. Beispiel Mali, Beteiligung der Bundeswehr an der UN-Mission MINUSMA. Die "Stiftung Wissenschaft und Politik" schreibt im Februar 2021, im deutschen militärischen Vorgehen in Mali würde "eine äußerste Risikoaversion und Verhaftung in multilateralen Formaten" dominieren und die Bundeswehr halte sich militärisch zurück. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Das wahrscheinlich wichtigste Beratungsgremium für Bundesregierung und Bundestag in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik sagt, dass die Bundeswehr sich in Mali nicht richtig Krieg führen traut. Unter Anderem wegen politischem Gegenwind. Trotz Mandatsverlängerung wurde dieser Einsatz jetzt vorzeitig beendet. Was für ein Lob an uns alle!
  • 2. Deutsche vollautonome Waffensysteme: eine selbststeuernde Drohne, die eigenständig Ziele erfasst, verfolgt und abschießt, das ist noch ein großer Traum der deutschen Militärs und Kriegspolitiker*innen. Und seit die US-Armee ihre Drohnenkriege führt, besteht auch auf die deutschen verteidigungspolitischen Diskurse ein sanfter bis härterer Druck, diese tollen Dinger auch für die Bundeswehr anzuschaffen. Und auch wenn es die Parteien der Bundesregierung jetzt nach gut 10 Jahren erbittertem politischem Kampf gegen riesige, auch internationale gesellschaftspolitische Bündnisse leider endlich geschafft haben, die Anschaffung bewaffneter Drohnen in den Koalitionsvertrag zu schreiben, ist das Thema noch lange nicht vom Tisch. Noch ist unseres Wissens nach keine deutsche Drohne bewaffnet und der gesellschaftliche Widerstand ungebrochen. Von Autonomie dieser Killermaschinen sind wir übrigens noch weit entfernt, nicht technisch, aber zumindest politisch. Gut so!

Und jetzt plötzlich tut sich mit dem russischen Überfall auf die Ukraine eine große Lücke auf in dem sonst so häufigen pazifistischen Grundkonsens der sozialen Bewegungen. Und da entsteht ein wahnsinniger Druck auf uns als Bürger*innen und als Friedensbewegung. Sogenannte Verteidigungsexpert*innen sorgen in Politik und Presse für eine extreme Militarisierung beinahe jeder Debatte über den Ukraine-Krieg. Aber wir werden den Krieg nicht mit Krieg bekämpfen können! Diese Gewalt- und Rüstungsspirale macht wie gewohnt nur alles schlimmer und schlimmer. Das können und werden wir als Friedensbewegung nicht hinnehmen! Wir werden weiter gegen diesen Irrsinn kämpfen!

 

Liebe Friedensfreund*innen,

das Sondervermögen für die Bundeswehr befördert nicht nur die deutschen Kriege, sondern auch die soziale Ungleichheit hier im Land. An der Schuldenbremse werden diese Sonderschulden vorbeigeschmuggelt und jetzt gehen die Verteilungskämpfe los, an welchem Ende das Sondervermögen und der erheblich erhöhte Verteidigungshaushalt eingespart werden. Die wenig überraschende Antwort unserer Regierung: Bei den Armen, Arbeitslosen, Kindern, sozialen Projekten, usw.

Offensichtlich wird das, wenn wir die 2%-Vorgabe finanziell aufdröseln: Jährlich 2% des deutschen BIP für Militär- und Rüstungsausgaben, das sind etwa 86 Mrd. Euro. Bei einem Bundeshaushalt von knapp 477 Mrd Euro etwa 18% des gesamten Bundeshaushalts. Das heißt es werden für Krieg und Rüstung in Deutschland im Jahr 2024 mehr ausgegeben als für Bildung (21,5 Mrd), Gesundheit (16,7 Mrd), Entwicklung (11,2 Mrd), Wirtschaft & Klima (11,1 Mrd), Wohnen (6,7 Mrd), Auswärtiges (6,7 Mrd) und Umwelt (2,4 Mrd) zusammen!

Aber da haben wir noch etwas mitzureden! Lasst uns diesen Kriegstreiber*innen im eigenen Land in den Rücken fallen und ihnen zeigen, dass wir diese unsozialen Machenschaften nicht akzeptieren!

 

Liebe Freund*innen,

wir in der Friedensbewegung haben es in den letzten Jahren schon lernen müssen, wie wir uns scharf und wirksam gegen rechts abgrenzen. Das brauchen wir jetzt umso mehr, wo noch mehr Rechte sich in unsere Gruppen und Debatten drängen wollen. Die Bundesregierung könnte sich mal ein bisschen Nachhilfe bei uns holen, wie man Rechtspopulismus und Rassismus im eigenen politischen Umfeld sinvoll bekämpft. Und zwar nicht indem man den Rechten nach dem Mund redet und selbst rassistische Politik macht. Aber stattdessen glaubt unsere Regierung, dass sie sich am wirkungsvollsten die AfD vom Leib hält, indem sie selbst rechte Politik macht. Mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (kurz: GEAS) wurde auf europäischer Ebene die schlimmste Asylrechtsverschärfung der letzten Jahre durchgedrückt.

Der Kernpunkt der GEAS-Einigung sind die unmenschlichen Asylverfahren an den EU-Außengrenzen: Asylsuchende sollen unter Haftbedingungen bis zu 12 Wochen auf ihr Verfahren warten und dann nochmal bis zu 12 Wochen in Abschiebehaft kommen, falls sie abgelehnt werden. Das betrifft zwingend die folgenden drei Gruppen:

  • 1. Menschen aus Herkunftsländern, aus denen im Schnitt nur höchstens 20 Prozent der Schutzsuchenden auch Asyl in der EU bekommen (derzeit z. B. Marokko, Tunesien oder Bangladesch)
  • 2. Menschen denen unterstellt wird, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu sein
  • 3. Menschen denen vorgeworfen wird, die Behörden zu täuschen, weil z.B. vermeintlich Dokumente zerstört wurden

Optional kann diese quasi-Haft auch angewendet werden bei Schutzsuchenden, denen vorgeworfen wird, über sogenannte sichere Drittstaaten eingereist zu sein. gepaart mit einer drastischen Aufweichung des Begriffs "sicherer Drittstaat", wird mit all diesen Regelungen der Willkür Tür und Tor geöffnet. Diese Verschärfungen treffen Einzelpersonen, Familien, sogar unbegleitete Minderjährige. Die Abschottungspolitik der EU wird damit noch schrecklicher und mit großer Wahrscheinlichkeit noch tödlicher. Nein zu diesem Wahnsinn!

Regierungsmitglieder der Ampelparteien feiern sich jetzt mit diesem neuen europäischen Kompromiss, den sie auf Ebene der EU-Mitgliedsstaaten maßgeblich mitentschieden haben. Dass das nur die Spitze einer schon seit Jahren immer weiter militarisierten Migrationsbekämpfung ist, wissen wir. Die EU-Grenzagentur Frontex ist waffen- und aufklärungstechnisch inzwischen besser ausgestattet als manche Armee.

Bis 2027 wird Frontex 10.000 Grenzpolizist*innen beschäftigen, davon 3.000 direkt von Frontex angestellt und 7.000 von den europäischen Staaten auf Abruf bereitgestellt. Frontex besitzt ein eigenes Budget von 922 Mio Euro (2024), beschafft eigene Waffen, Fahrzeuge, Flugzeuge und Drohnen. Schon heute werden von der Behörde Überwachungsdrohnen kontrolliert und sie hat einen direkten Zugriff auf europäische Überwachungssatelliten. Überwachungsflüge mit militärischen Flugzeugen natürlich inklusive. Die Nachrichten über die Agentur umfassen jetzt schon zahlreiche üble Menschenrechtsverletzungen, die mit der zunehmenden Stärkung der Truppe sicherlich nur noch zahlreicher werden.

Umso mehr Mut sollten wir heute daraus schöpfen, dass in den letzten Monaten Millionen Menschen in Deutschland gegen rechts auf die Straße gegangen sind. Menschenverachtende Politik ist hier kein Grundkonsens! Ich bin jedem Menschen dankbar, der sich lautstark gegen Rassismus und Faschismus einsetzt.

 

Liebe Friedensfreund*innen,

danke auch Euch, dass Ihr heute hier seid, um zum Ostermarsch ein Zeichen gegen Hass, Intoleranz und Krieg zu setzen! Die vielen kleinen lokalen Friedens- und antimilitaristischen Gruppen halten meiner Meinung nach eine der wichtigsten Bewegungen überhaupt aufrecht. Und dieser lokale Charakter unserer Bewegung ist übrigens auch unheimlich wertvoll für unsere Recherchearbeit als Informationsstelle. Über viele Projekte von Bundeswehr und Rüstungsindustrie informiert Ihr uns, weil z. B. die neue Produktionshalle oder das neue Übungszentrum stolz in der regionalen Presse präsentiert wird, aber überregional darüber nicht berichtet wird.

Es ist jedenfalls sehr schön hier mit Menschen zu stehen, die der Gewaltlogik von Nationalstaaten und Geopolitik etwas entgegen setzen. Eine Idee von Frieden, einem guten Miteinander und grenzüberschreitende Solidarität. In diesem Sinne: Gegen jeden Krieg und jede Armee, hoch die internationale Solidarität!

Vielen Dank.

 

Thomas Gruber ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung.