Redebeitrag für den Ostermarsch Erlangen am 16. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Nein zum Krieg!
Nein zur Kriegspropaganda!
Niemals! Und für Niemanden! Kriegslügen entlarven!

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

am 24. Februar 2022 marschierte die russische Armee ganz offiziell in die Ukraine ein und seither herrscht für alle sichtbar ein schrecklicher Krieg. Ein Krieg, der in unserer Nähe stattfindet. Ein Krieg, der viele Opfer fordert, Kriegsverbrechen und eine Kriegswirtschaft nach sich zieht, mit Söldnertruppen, Milizen, toten Zivilsten, Vergewaltigungen – wie jeder Krieg.

Der Krieg in der Ukraine wird uns detailliert gezeigt und nahe gebracht – nicht, wie jeder Krieg. Nicht der im Jemen, nicht der in der Westsahara, Kashmir und an vielen Orten mehr. Und auch die Geflüchteten aus den verschiedenen Konfliktzonen der Welt erregen unterschiedliche Empathie – nicht bei den Helfern, aber in der Politik.

Spätestens hier verraten sich Heuchelei und Doppelmaß. Die doppelten Maßstäbe sind es, die uns in den dritten Weltkrieg treiben, nicht allein Putin. Den Kriegslügen von allen Seiten werde ich in meiner Analyse nachgehen und dabei auf die besondere Rolle der Medien eingehen, die ja nicht Partei ergreifen dürfen – sondern als Vierte Gewalt die Manipulationen der Mächtigen aufzudecken hätten.

Beginnen wir mit der Rhetorik des russischen Präsidenten Putin.

  • Wer soll glauben, dass Russland einen Völkermord im Osten der Ukraine verhindern wollte?
  • Wer soll glauben, dass man dafür die ganze Ukraine angreifen musste?
  • Wer kann glauben, dass es um einen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine geht?
  • Wer glaubt, dass eine direkt bevorstehende Gefahr aus der Ukraine für einen Angriff bestand, die einen russischen präventiven Militärschlag gerechtfertigt hätte?

Und wer erinnert sich, dass die Kategorie des „preemptive Strike“ von George W. Bush zur Legitimierung des Irakkriegs 2003 propagiert wurde? Eine höchst umstrittene Begründung unter Völkerrechtlern, weshalb hier mindestens der Sicherheitsrat einzuschalten ist. Denn „Liquidierungen“ und „Präventivschläge“ auf Verdacht gibt es rechtsstaatlich nicht! Beweise für den Verdacht wurden nicht vorgelegt.

Auf diese Aushöhlung des Völkerrechts à la Bush beruft sich nun auch Putin – und verletzt damit das Copyright des Westens auf völkerrechtswidrige Militäreinsätze. Die Blaupausen lieferten die fadenscheinigen Begründungen für die Kriege des Westens, im Irak und in Jugoslawien – der die „Zeitenwende“ nach dem zweiten Weltkrieg für Europa einleitete: den Sündenfall des Kosovokriegs, der die unselige NATO-Doktrin von 1999 implementierte, die auch die Bundeswehr seither in viele Kriege führte und uns eine vielfach unterschätzte Weltkriegsordnung bescherte. Das rechtfertigt nicht das Vorgehen Putins, sondern nimmt umgekehrt alle in die Pflicht.

Der Gerichtshof in Den Haag muss um der Gerechtigkeit und seiner Glaubwürdigkeit willen – fern von jedem Doppelstandard – Putins Kriegsverbrechen ebenso verfolgen, wie die von George Bush und Tony Blair.

Denn es gilt immer, ein klares Nein…

  • Nein zum Krieg!
  • Nein zur Kriegspropaganda!

Statt dass Medien die Heuchelei anprangern und die Doppelstandards einseitiger und interessegeleiteter Empörung aufdecken, stimmen die meisten ein in den Jubel-Taumel über den Ausschluss Russlands aus den Verständigungsgemeinschaften – ohne die gleichen Maßstäbe für die anderen Verbrecher einzufordern. Auch Sanktionen wurden gegen die USA und Großbritannien nie gefordert.

So versagen unsere Medien dabei, die Politiker, die jetzt eine „Zeitenwende“ und Unsummen an Kriegskrediten mit einer nachhaltigen Militarisierung herbeireden, daran zu erinnern, dass der Krieg in der Ukraine eine Vorgeschichte hat und wo die Sündenfälle liegen.

  • Dazu gehört mindestens der Versuch der EU 2014, die Ukraine von Russland durch einen Assoziierungsvertrag abzukoppeln, was der gewählten, skeptischen Regierung Janukowitsch den Todesstoß versetzte.
  • Dazu gehört auch die einseitige Aufkündigung des INF-Abrüstungsvertrags durch die USA 2019 (von Trump ausgesprochen, von Biden nicht korrigiert).
  • Dazu gehören die regelmäßigen NATO-Manöver in Osteuropa und
  • dazu gehört die Ablehnung der Verhandlungsangebote Russlands vom Dezember 2021 gegenüber der NATO, um gegenseitige Sicherheitsgarantien zu vereinbaren.

Man darf mir hier gerne Einseitigkeit vorwerfen, denn ich habe ausschließlich Fakten aufgezählt, die auffällig in der öffentlichen Debatte fehlen – ich ergänze also einige zentrale Fehlstellen in der hiesigen Berichterstattung und Kommentierung. Der Trick, Analyse und Kritik an der aktuellen Propaganda als „Putinverstehen“ abzutun, ist ein durschaubares Ablenkungsmanöver vom Inhalt. Denn die gegenseitige Bedrohung ist real, das Misstrauen auch, und das Heranrücken an die Grenzen, das einen Nuklearbeschuss wahrscheinlicher macht.1

Aber rechtfertigt das den russischen Angriff auf die Ukraine? Nein!

Denn um die Ukraine geht es gar nicht. Sie ist zum Spielball auf dem Schachbrett der internationalen Geopolitik geworden. Sie wird von allen Seiten missbraucht. Ein Stellvertreterkrieg. Und auch Teil eines Wirtschaftskriegs.

Wer den Konflikt lösen und die Waffen zum Schweigen bringen will, muss – wie Johan Galtung nicht müde wird zu fordern – den wirklichen, den unterliegenden Konflikt lösen. Und der liegt auf der NATO-Russlandebene. Warum aber fordert niemand Verhandlungen zwischen NATO und Russland? Nun, das tut kein lachender Dritter.

Wir dürfen und müssen fragen, wer alles diesen Krieg wollte oder ihn zumindest billigend in Kauf nimmt? Wer profitiert? Deutschland und Europa auf jeden Fall nicht.

Die Konzentration auf Putin alleine, seine Dämonisierung, macht erstens seine Gegenüber nicht zu Engeln.

Und die Dämonisierung und Pathologisierung Putins lenkt ab von der Analyse und ist als Teil von Kriegspropaganda nach Ponsonby2 durchschaubar.

  • Wer glaubt, dass es relevante Gespräche und Verhandlungen schon gegeben hätte?
  • Wer verschweigt den realen Konflikt um Sicherheitsinteressen und die Verletzung von halbherzigen Versprechen?
  • Wer verschweigt, dass Verhandlungen auf NATO-Russland-Ebene anzusetzen sind?
  • Wer verschweigt, dass nicht nur Putin den Krieg vorantreibt?
  • Wer zu all dem schweigt, will das Schlachten nicht beenden!

Auch das ist Teil der Kriegspropaganda: Das Weglassen von wichtigen Fakten.

Wenn aber die Analyse nicht stimmt, stimmen auch die Lösungswege nicht.

Zur Kriegslogik gehört der Schrei nach Waffen und MEHR Krieg, so als wäre das ein Akt der Solidarität mit der Ukraine. Waffenlieferungen sind Kriegsbeteiligung, ebenso wie das Erlauben illegaler Drohnentötungen aus Ramstein (für unsere vergessenen Kriege im Nahen und fernen Osten).

Mit Appellen an die Solidarität hat man uns zuletzt im Afghanistan-Krieg manipuliert, den wir übrigens auch lange nicht „Krieg“ nennen durften. Aus Solidarität mit Frauen, Mädchen und Soldaten sollten wir für den Krieg stimmen. Wieviel von der angeblichen Solidarität übrig ist, konnten wir im letzten Winter an den im Stich gelassenen Menschen in Afghanistan sehen.

Man wünschte sich, unsere Medien erinnerten Kriegslügen und hohle Phrasen, um sie beim nächsten Mal besser erkennen zu können!

Bereits die Engführung auf ein Ja oder Nein zu Kriegsmandaten ist durchschaubare Kriegspropaganda, denn der Weg dahin ist mit Unterlassungen gepflastert. Vertragsbrüche, Hinhalten, Ränkespielchen – ja, wiederum von ALLEN Seiten. Aber auch die ewig aufgeschobene Energiewende ist eine solche Unterlassung.

Beschönigende Begriffe sollen dabei verschleiern, worum es geht. „Auslandseinsatz“ ist ein Euphemismus für Krieg. In Mali heißt das „Stabilisierungsmission“. Das klingt nicht viel anders, wie Putins „Sonderoperation“ in der Ukraine. Erinnern wir uns auch an die „chirurgischen Operationen“ bei der Bombardierung Bagdads. Diese Euphemismen sind Spins, sie geben dem Bezeichneten einen Dreh, einen positiven Dreh, um das Schmutzige aller Kriege wohlklingend übertünchen zu können: Söldner, Milizen, tote Zivilisten, Vergewaltigungen. Solche Spins sind immer und überall zu entlarven als das, was sie sind: Kriegspropaganda im besten Orwell‘schen Sinne.

Frei nach Orwell könnte man heute sagen: KRIEG IST SOLIDARITÄT.

Aber das ist eine Lüge.

  • Nein zum Krieg!
  • Nein zur Kriegspropaganda!

Zum Krieg gehören immer ein Bilder- und Medienkrieg.

Immer neue Schreckensbilder und Heldenstories emotionalisieren und framen die Nachdenklichen als Herzlose – weil sie sich ja dem waffenstarrenden Solidaritäts-Spin entziehen. So werden die Fotos von Bucha ein Label, ein Mittel der Kriegspropaganda, noch bevor eine unabhängige Untersuchung stattfinden konnte. Es müssen nicht Fälschungen, wie in Rugovo und Racak im Jugoslawienkrieg der 1990er Jahre sein, aber Ihre Instrumentalisierung für Propagandazwecke ist gewiss.

Zum Bilderkrieg gehören auch strategisch veröffentlichte Satellitenbilder, denn nicht immer gibt es Aufklärung vom Himmel. Und geprüft wird nun wieder von Bellincat, einer Organisation, die in der Ukrainekrise 2014 schon als unseriös aufgeflogen war – entlarvt vom Spiegel; jetzt wieder als Quelle von Medien akzeptiert.

Die Deutsche Welle hat erste Fälschungen bei den Heldenstories aus der Ukraine aufgedeckt. Aber insgesamt scheint es wenig Bewusstsein dafür zu geben, dass im Krieg immer alle Seiten Kriegspropaganda betreiben und zwischen Zensur und Soft Power zu allen Mitteln greifen. Während die NATO-Stabsstelle in der EU, die East StratCom Task Force3, Journalisten über russische Desinformation „aufklärt“, trägt sich der ukrainische Außenminister in das FARA-Register in den USA ein und belegt damit die Beteiligung US-amerikanischer PR-Agenturen.4

Während Russland das Wort „Krieg“ offiziell verbietet und NGOs und unabhängige Medien schließt, werden auf EU-Ebene jenseits von EU-Zuständigkeit (in Medienfragen) Feindsender, wie RT und Sputnik, verboten. Und Google weist Websitebetreiber darauf hin, dass sie von Google Ads-Einnahmen ausgeschlossen sind, wenn sie nicht auf Linie berichten.

Das sind wichtige medienrechtliche Grenzüberschreitungen, die uns noch ebenso auf die Füße fallen werden, wie die Internierung Julian Assanges, der Kriegsverbrechen aufdeckte; während die Kriegsverbrecher weiter frei herumlaufen.

Während in Russland nur noch Staatsmedien die Sicht des Kremls verkünden dürfen, degradieren sich unsere „freien“ Medien gerade zur Kriegspartei – schließlich wägt man sich ja auf der „richtigen Seite der Geschichte“ und vergisst dabei die eigene Aufgabe als Kontrollinstanz der Mächtigen.

Medien sind besonders wichtige Ziele strategischer Kommunikation, also von PR, weil sie den Darstellungen besondere Glaubwürdigkeit verleihen. Und die gezeigten Schrecken müssen auch nicht falsch sein, um doch bei fehlender Einordnung propagandistische Wirkung zu erzielen – weil eben die Einordnung fehlt, das Verstehen der Bilder, die Geschehnisse, die zur Momentaufnahme geführt haben. Die Fragen, die sich viele Journalisten nach der Zerschlagung Jugoslawiens stellten, inwiefern sie zum Krieg beitrugen, müssen jetzt wieder gestellt werden.

Denn wer auf der richtigen Seite der Geschichte steht, entscheidet die Geschichte. Und die ehrliche Geschichtsschreibung lehrt uns Demut. Wie Egon Bahr, der Architekt der Ostpolitik unter Willy Brandt, vor Schülern sagte: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das. Egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“

Dass der sog. Wertewesten überhaupt noch als internationaler Verhandlungspartner anerkannt wird, liegt nicht an seiner Werttreue, deren Einhaltung er vor allem von anderen einfordert, sondern an seiner Wirtschaftsmacht. Die nun sich vollziehenden Verschiebungen genau hier könnten entscheidend sein und verraten vielleicht mehr über die Hintergründe von Krieg und Krisen als den Mächtigen lieb ist.

Am Ende stehen immer Verhandlungen, die man vor dem Krieg nicht führen wollte – nach vielen vielen Toten und zerstörten Leben mehr.

  • Nein zum Krieg!
  • Nein zur Kriegspropaganda!
  • Und Ja zu mehr echter Solidarität!

 

Prof. Dr. Sabine Schiffer ist aktive beim Institut für Medienverantwortung.

 

Anmerkungen:

  • 1 Nach der möglichen Zerstörung Europas, können wir hoffen, dass es die Menschen des Südens besser machen als wir.
  • 2 1 Wir wollen keinen Krieg!
  • 2 Der Gegner ist allein für den Krieg verantwortlich!
  • 3 Der Führer des feindlichen Lagers wird dämonisiert
  • 4 Wir verteidigen ein edles Ziel und keine besonderen Interessen!
  • 5 Der Feind begeht wissentlich Grausamkeiten, wenn wir Fehler machen, geschieht dies unbeabsichtigt
  • 6 Der Feind benutzt unerlaubte Waffen
  • 7 Wir erleiden geringe Verluste, die Verluste des Feindes sind erheblich
  • 8 Anerkannte Kulturträger und Wissenschaftler unterstützen unser Anliegen
  • 9 Unser Anliegen hat etwas Heiliges
  • 10 Wer unsere Propaganda in Zweifel zieht, arbeitet für den Feind und ist damit ein Verräter
  • 3 Der Friedensnobelpreisträger Europa ist kein Hort des Friedens und war auch kein Friedensprojekt. Insofern ist die Kooperation mit der NATO nur konsequent und die geopolitischen Interessen, die sich hinter dem sog. Strategic Compass verbergen.
  • 4 14. März 2022 - (vermutlich bewährte PR-Agenturen, die uns schon auf den Jugoslawienkrieg eingestimmt hatten; vgl. Becker/Beham: Operation Balkan).