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Antikriegs-
tag 2001


vom:
01.09.2001


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Antikriegstag 2001:

  Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag zum Antikriegstag 2001 in Mülheim / Ruhr

Felix Oekentorp

Liebe Freundinnen und Freunde hier in Mülheim,
ich möchte mich zunächst bedanken, daß ich hier eingeladen wurde, einige Sätze zur Entwicklung der Bundeswehr zu sagen. Wenn ich mich kurz vorstellen darf: Mein Name ist Felix Oekentorp, ich bin aktiv bei der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen und hier im Landesverband NRW. Kurz: DFG-VK NRW. Jetzt aber zum Thema:

Seit 2 Tagen ist die Bundeswehr wieder im Krieg. Wieder ohne Kriegserklärung, wieder nicht zur Landesverteidigung, wie es auch die zur Zeit gültige Version unserer Verfassung noch immer vorschreibt. Diese Verfassung, unser Grundgesetz, das seit seinem Bestehen schon etwa 50 mal geändert wurde, und in einigen Punkten (Asyl, Bewaffnung, Zwangsdienste) teilweise bis zur Unkenntlichkeit seiner ursprünglichen Idee verfremdet wurde. Dieses Grundgesetz, dessen Auslegung gummiähnlich immer weiter ausgeleiert wird - erinnern wir uns noch an den Konsens, der Anfang der 90er Jahre herrschte, als es darum ging, daß Soldaten der Bundeswehr nicht an den Kampfhandlungen der NATO gegen den Irak teilnehmen durften. Dieser kleinste gemeinsame Nenner galt auch nur noch wenige Jahre, im Krieg der NATO gegen Jugoslawien war dieser Konsens schon Geschichte.

Auch das Völkerrecht ist nicht mehr für Einsätze der Bundeswehr bindend, es genügt inzwischen, wenn man als Begründung für das Bombardieren anderer Länder "humanitäre Gründe" vorweisen kann, dann dürfen auch einmal Kollateralschäden wie der Beschuß der chinesischen Botschaft, oder eines Flüchtlingstrecks vorkommen - mit den Hochpräzisionswaffen der NATO, die auf wenige Meter genau treffen, wie es doch immer wieder geheißen hat.

Inzwischen geht es um den Parlamentsvorbehalt für den Einsatz der Bundeswehr, den das Bundesverfassungsgericht am 12. Juli 1994 feststellte und 1999 noch einmal bekräftigte. Der ehemalige CDU-Chef Schäuble brachte diesen kürzlich in die Diskussion, er forderte, daß derlei Einsätze wie der in Mazedonien von der Regierung und nicht vom Bundestag zu beschließen sein sollten. Kanzler Schröder hielt dies - wen wundert`s für eine gute Idee.

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Es geht jetzt aber auch um den ersten Bodeneinsatz "unserer Jungs" natürlich nur zum Waffeneinsammeln in Mazedonien.

Willy Wimmer, CDU-Abgeordneter aus Neuß erklärt dazu: "Der Einsatz der Bundeswehr und anderer Truppen in Mazedonien könnte ein Testlauf für eine europäische Eingreiftruppe werden. Er könnte aber auch Teil der amerikanischen Strategie sein, die Interessen der USA in Europa dauerhaft ohne den Einsatz eigener Truppen über den Hebel der NATO durchzusetzen."

Wimmer fordert: "Unsere Soldaten sollten in Mazedonien deshalb nicht die Kohlen aus einem Feuer holen an dem andere gezündelt haben."

Einige "AbweichlerInnen" aus der Fraktion der SPD unter Federführung von Harald Friese lehnen die Entsendung der Bundeswehr-SoldatInnen nach Mazedonien ab. In ihrer Begründung berufen sie sich unter anderem auf die Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998, wo unter Kapitel 11 (Europäische Einigung, Internationale Partnerschaft, Sicherheit und Frieden) vor allem anderen geschrieben steht: "Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik". Friese und seine MitstreiterInnen (darunter 6 SozialdemokratInnen aus NRW (Wolfgang Grotthaus, Christel Humme, Karin Kortmann, Dieter Maaß, Adolf Ostertag, Rene Röspel) erklären zu Recht, daß die Entsendung von Soldaten diesem Ziel nicht gerecht wird. Weiter erklären sie, daß die Einwirkungsmöglichkeiten auf beide Konfliktparteien unterhalb der Ebene des physischen Zwangs noch längst nicht ausgeschöpft sind.

Diese Einwände sind völlig richtig. Es geht meiner Ansicht nach auch gar nicht wirklich darum, humanitäre Ziele zu verfolgen. Ginge es darum, dann würde der Etat der Bundeswehr drastisch gekürzt, dann würden die hier frei werdenden Mittel beispielsweise der OSZE zur Konfliktprävention zur Verfügung gestellt. Denn schließlich gilt noch immer - man kann es beispielsweise in jeder Zahnarztpraxis lesen: "Vorbeugen ist besser als Heilen". Ich will die Ausgaben des Jahres 2000 noch einmal benennen: Bundeswehretat (EPl 14): 45,3 Mrd. DM, nach NATO-Kriterien 59,6 Mrd. DM, der Beitrag für die OSZE hingegen bewegt sich in der Größenordnung einige Millionen DM. Das bedeutet, daß Tag für Tag jeder Einwohner der Bundesrepublik etwa 1 Euro für das Militär ausgibt. Wenn man nur die direkten Zuwendungen der BRD an die OSZE in Höhe von - ich glaube - 25 Millionen DM dem gegenüberstellt, dann sind es 7 Jahre, bis wir auf diesen Betrag von 1 Euro kommen. Selbst wenn man indirekte Ausgaben zu Gunsten der OSZE in gleicher Größenordnung unterstellt, dann sind es immer noch Jahre um auf den Tagesbetrag der Ausgaben für das Militär zu kommen.

Doch wie gesagt, es geht nicht um die Menschen in fremden Ländern, schon gar nicht mehr geht es um die "Landesverteidigung", es geht um die Normalität der deutschen Kriegsbeteiligung. Diese wird Stück für Stück vorangetrieben, das war unter Adenauer so, das war unter Kohl so, (um aus der bundesdeutschen Geschichte nur die beiden dauerhaftesten Regierungschefs zu benennen), und das ist auch jetzt unter Schröder so.

Schauen wir uns doch an, was der Freund der Gräfin Pilati, der fahrradfahrende Kriegsminister Scharping in seiner Zwischenbilanz vom 24.10.2000 schreiben läßt:

Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik hat wesentlich zu den Weichenstellungen von NATO und EU .. beigetragen, .. u.a.: die Entscheidung der EU zur Aufstellung von Krisenreaktionskräften in einer Größenordnung von 50 - 60.000 Mann sowie entsprechender Luft- und Seestreitkräfte. Die Bundeswehr beteiligt sich an der Umsetzung des "European Headline Goal" mit einem Beitrag von bis zu 18.000 Soldaten.

In der Bestandsaufnahme im gleichen Papier heißt es, daß "Auftrag, Umfang, Ausrüstung und Mittel der Bundeswehr aus der Balance geraten" sind. Kein Wort der Kritik an der Änderung des Auftrags. Kritik nur an Ausrüstung und Mitteln.

Die Erneuerung der Bundeswehr gewährleistet, daß "die in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr erkannten Fähigkeitsdefizite beseitigt werden können", so der Wortlaut der Bestandsaufnahme an anderer Stelle.

Diese Auslandseinsätze werden hier auch benannt:

 Überwachung der von Milosevic eingegangenen Verpflichtungen im Rahmen einer OSZE Mission 1998

 Stationierung einer verstärkten Kompanie im Rahmen der "Extraction force" in Mazedonien 1999

 500 Einsätze der Luftwaffe bei "Luftoperationen" gegen Jugoslawien

 Minenräumen in der Adria

 Bei KFOR als "Lead-Nation" mit der Führung der multinationalen Brigade Süd

 Entsendung von über 70 SanitätssoldatInnen nach Ost-Timor (Oktober 99- Februar 2000)

 Teilnahme an einer UN-Mission in Georgien

 Bewältigung an der Hochwasserkatastrophe in Mosambik März 2000 mit über 100 SoldatInnen

Bei der Forderung nach moderner Ausrüstung sollen schwere Waffensysteme abgebaut werden, "Abstands- und Präzisionsfähigkeit verbessert werden".

Über das neue strategische Konzept der NATO wird geschrieben, daß es "unverkennbar deutsche Handschrift" trägt. Die kollektive Verteidigung soll - immerhin - "Hauptaufgabe" bleiben.

Im Absatz über das gewünschte Fähigkeitsprofil der Bundeswehr der Zukunft heißt es wörtlich: "Deutsche Streitkräfte sollen im gesamten Aufgabenspektrum, von Hilfeleistung, Partnerschaft und Kooperation über Einsätze zum Krisenmanagement bis hin zur kollektiven Verteidigung verwendbar, dabei auf einen umfassenden Einsatz vorbereitet und für die wahrscheinlichsten Einsätze rasch verfügbar sein.

So weit die Auszüge aus der Zwischenbilanz, die frei verfügbar im Internet ist. Das Kriegsministerium macht also kein Geheimnis aus seinen Planungen, den GG-Artikel 87a zu brechen, in dem es wörtlich und ungekürzt heißt: "Der Bund stellt Streitkräfte zur Landesverteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben."

Haarsträubend eine Rede von Scharping vom 10.7.01 die er als Verteidigungsminister vor dem Kooperationsforum Wirtschaft und Wissenschaft hielt: "Wohin Überbevölkerung zu führen vermag, werden wir bald studieren können, denn die Bevölkerung Nordafrikas wird sich in überschaubar kurzer Zeit verdreifachen." Im nächsten Absatz seiner Rede heißt es (wieder wörtlich): "Ich will Ihnen damit deutlich machen, daß eine Verengung der Außen- und Sicherheitspolitik auf traditionelle Kriterien und Maßstäbe ganz und gar unzureichend bei der Bewältigung zukünftiger Herausforderungen ist."

Ich frage: Will er demnächst 2/3 der Afrikaner durch die Bundeswehr erschießen lassen?

Interessant außerdem, daß gerade der Verteidigungsminister zur Frage der sozialhilfeempfangenden jungen Menschen äußert, die er zwangsverpflichten will: Höre ich da die Nachtigall trapsen, daß die Wehrpflicht abgeschafft werden soll zugunsten von leichter verheizbaren BerufssoldatInnen?

Liebe Freundinnen und Freunde, bleiben wir mißtrauisch, welche Farbe auch immer Regierungspolitik hat, sei es schwarz-gelb oder rot-grün, lassen wir uns unsere Skepsis nicht mit vermeintlicher Solidarität unseren ehemaligen MitstreiterInnen gegenüber abkaufen, die noch Anfang der 90er Jahre gemeinsam mit uns forderten: "Kein Blut für Öl". Oder - ich zitiere wörtlich aus einem Plakat der Grünen - "Frieden jetzt! Krieg ist keine Lösung. Weder die Lieferung von Waffen noch der Einsatz von Soldaten beenden das Morden und die Zerstörung der Natur: Sofortiger Waffenstillstand! Stoppt den Krieg am Golf!"

Danke für Eure und Ihr Geduld.



E-Mail:   felix_o.@t-online.de
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