Netzwerk Friedenskooperative



Bombodrom Wittstock/
FREIe HEIDe


vom:
Mai 1997


 vorheriger

 nächster
 Artikel

Bombodrom Wittstock/FREIe HEIDe:

  Infos und Meinungen

Gemeinden wehren sich

Helmut Schönberg

(Beitrag vor dem Kreistag):


Die Schießplatzproblematik beschäftigt unsere Menschen nun schon seit 50 Jahren, und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Als die sowjetische Besatzungsmacht mit der Einrichtung eines Schießplatzes begann, ahnten die Menschen dieser Region damals noch nicht, daß damit die Heide für sie auf lange Zeit abgeriegelt werden sollte.

Der Kalte Krieg und der beginnende Ost-West-Konflikt waren der Hintergrund für eine fortlaufende Landnahme durch die sowjetische Besatzungsmacht. In der Heide wurde für den Ernstfall geübt. Die Panzer zerwühlten den Boden und der Lärm der Artillerie und der Bomber, die tausendfach Bomben über das Zielgebiet der Heide entluden, bestimmte den Alltag. Zu Beginn der achtziger Jahre wurden, als Antwort auf die Stationierung von Pershing-II-Raketen in Westdeutschland, SS-20-Raketen mit Atomsprengköpfen in die Heide gebracht. Und wieder brauchten die sowjetischen Militärs mehr Platz. Jetzt wurden sogar weite Teile mit Stacheldraht abgesperrt.

Die Heide war über die Zeit längst zu einem militärischen Faktum im Ost-West-Konflikt geworden. Die Interessen der hier lebenden Menschen blieben dabei auf der Strecke. Das System erlaubte keine Fragen und keinen Widerstand. Erst mit der Auflösung des Warschauer Vertrages und der Beseitigung des Ost-West-Gegensatzes keimte bei den Menschen wieder die Hoffnung auf eine friedliche Heide. Mit dem Vertrag zum Abzug der GUS im Jahre 1990 war das Ende der militärischen Nutzung in Sichtweite gerückt. Spontan bildeten sich Initiativen für eine zivile Nachnutzung: "Rettet den Dranser See" und "Zweckverband der Anliegergemeinden".

So wurde das LSG um den Dranser See von Militärmüll entrümpelt, Militärstellungen eingeebnet, Badestellen angelegt und die Wege um den Schießplatz instand gesetzt. Die Gemeinde Schweinrich hat für Rekultivierungsarbeiten auf dem ehemaligen Schießplatz im Bereich des Dranser Sees in den Jahren 1990-1991 ca. 50tausend DM aufgebracht. Weiterhin waren 8 Bürger 2 Jahre lang in der ABM-Maßnahme "Dranser See" tätig und weitere 10 Bürger ein Jahr in der ABM-Maßnahme "Schießplatzwege". In diesen beiden Maßnahmen wurden Werte in Höhe von 2 Mill. DM geschaffen. Im Jahre 1992 waren diese Aktivitäten deutlich sichtbar geworden: Badestelle bei Griebsee, Wanderweg um den Dranser See, Instandsetzung der Wege zwischen Zempow, Dranse, Schweinrich, Zootzen und Gadow.

 zum Anfang


Bombodrom Wittstock/
FREIe HEIDe
Auf Veranstaltungen wurde über die zivile Nachnutzung diskutiert und Nutzungskonzepte entwickelt Ó Vertreter der Bundeswehr, der GUS-Streitkräfte und der Landesregierung Brandenburg machten uns Mut, für eine zivile Nachnutzung zu wirken. Die Bundeswehr erklärte im Jahre 1991 schriftlich, daß grundsätzlich keine ehemaligen sowjetischen Liegenschaften übernommen werden. Die Ankündigung im Juni 1992, den Platz doch zu übernehmen, stoppte unseren Elan vehement.

Es entwickelte sich eine friedliche Protestkultur, die mit dazu beigetragen hat, daß die militärische Nutzung bislang verhindert werden konnte. Auf über fünfzig Protestveranstaltungen bekundeten ca. fünfzigtausend Bürger ihren Willen gegen eine militärische Nutzung. Bürger beiderseits des ehemaligen Schießplatzes begegneten sich wieder und wir lernten unsere schöne Umgebung auf den Wanderungen neu kennen. Es entstand ein regionales Wir-Gefühl, nach vierzigjähriger Trennung durch den russischen Übungsplatz hatten sich die Menschen wieder etwas zu sagen.

Der ehemalige Landkreis Wittstock reichte eine Klage gegen die militärische Nutzung beim Verwaltungsgericht Potsdam ein, die dann auf den späteren Landkreis OPR erweitert wurde. Weitere Gemeinden, eine Kirchengemeinde und Privatpersonen schlossen sich der Klage an. Obwohl das Verwaltungsgericht unsere Klage teilweise abgewiesen hat, bin ich dem Verwaltungsgericht für die deutlichen Aussagen dankbar. Durch das Verwaltungsgericht wurde für Recht erkannt: "Es wird festgestellt, daß für die militärische Nutzung des Truppenübungsplatzes Wittstock durch die Beklagte (Bundeswehr) zu militärischen Zwecken ein förmliches Planungsverfahren nach Ë1 Abs. 2,3 des Landbeschaffungsgesetzes erforderlich ist. Im übrigen wird die Klage abgewiesen."

In der Urteilsbegründung wurde weiter ausgeführt:

*Die Klägerin (Gemeinde Schweinrich) hat die maßgeblichen Grundlagen geschaffen, um eigenverantwortlich von ihrer Planungshoheit Gebrauch zu machen.

*Das Rechtsverhältnis ist streitig, weil Klägerin und Beklagte den vorliegenden Lebenssachverhalt in rechtlich relevanter Weise abweichend würdigen.

*Die Beklagte ist nämlich nicht berechtigt, derzeit das streitbefangene Gelände auf den Gemarkungsflächen der Klägerin als Truppenübungsplatz zu militärischen Zwecken zu nutzen.

*Wegen der Nähe des unbeplanten Innenbereiches der Klägerin zum streitbefangenen Gelände sind aufgrund des Aufstellungsbeschlusses über den Flächennutzungsplan Standortzuweisungen im Rahmen der Bauleitplanung der Klägerin denkbar, die mit der Nutzung des streitbefangenen Geländes als Truppenübungsplatz unvereinbar sind.

*Das streitbefangene Gelände ist zu militärischen Zwecken nicht (mehr) gewidmet, denn mit der Übergabe durch die sowjetischen Truppen und die Übernahme der Bundesfinanzverwaltung ist die auflösebedingte Entwidmung eingetreten.

*Die Beklagte ist schließlich nicht befugt, das streitbefangene Gelände aufgrund der Zustimmung des deutschen Bundestages zu dem Truppenübungsplatzkonzept des Bundesministers der Verteidigung militärisch zu nutzen.

*Abschließend stellt das Verwaltungsgericht fest, daß die Unterhaltung einer funktionsfähigen militärischen Landesverteidigung durch das geforderte Planungsverfahren nicht gefährdet ist. Angesichts einer verkleinerten Bundeswehr stehe ausreichend Übungsgelände zur Verfügung.

Die Gemeinde Schweinrich hat auf ihrer letzten Gemeindevertretersitzung einstimmig entschieden, in die Berufung zu gehen, weil die mögliche Inbetriebnahme des Luft-Boden-Schießplatzes ein in seinem Umfang noch nicht vorhersehbaren Eingriff in unseren Lebensraum darstellt. Bislang treibt die Bundeswehr mit ihrem Schießplatzkonzept ein Verwirrspiel. So erklärte der Platzkommandant im November 1995 den anwesenden Bürgermeistern das Schießplatzkonzept mit Schießbahnen für Panzer und Artillerie und vor dem Verwaltungsgericht in Potsdam erklärte die Bundeswehr, daß die Schießbahnen für Panzer und Artillerie entfallen.

Zu den Flughöhen gibt es ebenfalls widersprüchliche Informationen. Bislang sollten die Flugzeuge nur auf dem ehemaligen Schießplatzgelände unter 100m fliegen. Mit dem Schreiben der Wehrbereichsverwaltung VII vom 19. 9. 96 teilt die Bundeswehr mit, daß bereits außerhalb des Übungsgeländes eine Flughöhe von derzeit 60m und in naher Zukunft auch 30m erreicht werden kann, und damit die Windkraftanlagen abgelehnt werden. Der Gemeinde Schweinrich wurde mit Schreiben vom 5.1.1996 mitgeteilt, daß die weitere Wohnbebauung 3000m von der Schießplatzgrenze zu planen wäre. Die tatsächliche Gegebenheit sieht jedoch so aus, daß sich die vorhandene Wohnbebauung 200-800m vom ehemaligen Übungsplatz befindet. Diese aufgezeigten Beispiele zeigen, daß genügend Konfliktstoff vorhanden ist, den es gilt, rechtlich zu klären. Auch bezüglich unserer Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen.

Daß Schweinrich als Wohnstandort angenommen wird, zeigt die rege Bautätigkeit der letzten Jahre. Durch Maßnahmen der Dorferneuerung hat sich unsere Gemeinde nach der Wende positiv entwickelt. Die gesamte Schießplatzproblematik wirkt sich jedoch negativ auf die weitere Entwicklung der Gemeinde aus. Zwar sind für die Zukunft noch fünf Baugenehmigungen beantragt bzw. erteilt, doch tragen auch potentielle Interessenten der Ungewißheit Rechnung und weichen zu unserem Leidwesen auf andere Standorte aus.

 zum Anfang


Bombodrom Wittstock/
FREIe HEIDe
Aus diesem Grunde sind wir gefordert, Rechtssicherheit herbeizuführen. Bedauerlicherweise müssen wir uns regelrecht uns zustehendes Recht einklagen, denn die Bundeswehr will uns selbst das vom Gericht geforderte förmliche Planungsverfahren verwehren.

Unverständlicherweise gilt bei diesem Urteil nicht gleiches Recht für alle übrigen Gemeinden. So wurde einigen Gemeinden das Planungsverfahren zuerkannt, anderen dagegen nicht. Die möglichen Belastungen sind allerdings beispielsweise in Frankendorf und Flecken Zechlin ähnlich wie in Schweinrich. Da nicht alle betroffenen Gemeinden vor dem Oberverwaltungsgericht in Berufung gehen können, wäre es zu begrüßen, daß der Landkreis die Interessen aller betroffenen Gemeinden wahrnimmt.


Helmut Schönberg ist Bürgermeister der Gemeinde Schweinrich und Mitbegründer der BI FREIe HEIDe
 zum Anfang

 vorheriger

 nächster
  
Artikel

       
Einige weitere Texte (per Zufallsauswahl) zum Thema
BW-Standorte und Protest
FF 6/97 - FREIe HEIDe
Wittstock: Mord auf Raten
Wittstock Kleine Anfrage
Wittstock: Ökologische Aspekte
Wittstock ND-Artikel
Wittstock - Nordhorn Range

Bereich

 Themen 

Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
         
Netzwerk   F-Forum  Termine  Jugo-Hilfe Aktuell