Bundesweiter Aktionstag der Friedensbewegung am 1. Oktober 2022 in Heidelberg

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,

die heutige Kundgebung findet im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages der Friedensbewegung statt, mit den zentralen Forderungen „Keinen Euro für Krieg und Zerstörung! Stattdessen Milliarden für eine soziale, gerechte und ökologische Friedenspolitik! Stoppt den Krieg! Verhandeln statt Schießen!“ Auch in zahlreichen anderen Städten gehen heute regionale Friedensorganisationen, Gewerkschaften und andere Organisationen für ein Ende des Ukraine-Krieges, für Diplomatie und gegen die Hochrüstungspläne auf die Straße.

Dieser Aktionstag soll dabei nur der Auftakt für verstärkte Aktivitäten gegen die wahnwitzige Politik der Ampelkoalition, der EU und der NATO-Verbündeten sein. Denn wir sehen ja alle, wie sich die Lage auf mehreren Gebieten immer mehr zuspitzt.

So eskaliert in der Ukraine der Krieg seit Russlands völkerrechtswidrigem Einmarsch immer weiter. Moskau hat nun in den Donbass-Republiken und den besetzten Gebieten im Süden Referenden über einen Anschluss an Russland durchführen lassen, die international natürlich nicht anerkannt werden, und diesen Anschluss sofort vollzogen. Auch wenn, wie manche Analysten vermuten, Putin damit evtl, nur Russlands Position im Machtpoker stärken will, so ist dies nun für den Einstieg in Verhandlungen eine schwere Hypothek. Experten hatten jedoch immer wieder davor gewarnt, dass sich das Zeitfenster für Verhandlungsansätze, wie sie im März schon auf dem Tisch lagen, immer mehr schließt, je länger der Krieg andauert, je stärker die NATO in den Krieg eintritt und je mehr Moskau die Kontrolle über die besetzten russisch-sprachigen Gebiete festigen kann. Vor allem Washington und London stemmten sich aber von Anfang an gegen ernsthafte Verhandlungen.

In den Tagen zuvor hatten ukrainische Truppen im Nordosten des Landes unter sehr hohen Verlusten Gebiete zurückerobert. Wie das verbreitete Bildmaterial über die Offensive deutlich zeigt, rückten sie dabei unter dem massiven Einsatz von Panzern und Haubitzen vor, die ihnen frisch aus deutschen, US-amerikanischen und anderen NATO-Beständen zur Verfügung gestellt wurden. Videos belegen auch die Beteiligung von Militärberatern und Ex-Militärs der USA und anderer NATO-Ländern. Es ist somit nicht mehr zu übersehen, dass es längst auch ein Krieg der NATO ist. [Wenn der stellvertretende Chef der russischen Präsidialadministration, Sergei Kirijenko, feststellt, „gegen uns kämpft der vereinigte Westen auf dem Territorium der Ukraine und mit den Händen der Ukrainer“, so wird ihm in Russland nun kaum noch jemand widersprechen.]

Militärexperten wie Johannes Varwick, warnen angesichts der Erfolge der ukrainischen Truppen vor den Sieges-Illusionen, die sich nun in Kiew und westl. Hauptstädten breit machen. Schließlich habe Russland bisher nur beschränkte Kontingente seiner Streitkräfte eingesetzt und könne den Krieg noch erheblich verschärfen. Moskau verfüge noch, so der Fachausdruck, über die volle "Eskalationsdominanz ".

Tatsächlich befahl Putin nun auch eine Teilmobilmachung. Bisher war die russische Kriegsführung von der Brutalität des "Shock & Awe" der USA und ihren Verbündeten in ihren Feldzügen wie im Irak noch ein gutes Stück entfernt, blieb die zivile Infrastruktur der Ukraine bisher beispielsweise weitgehend intakt. Der Druck einflussreicher Falken in Moskau, eine härtere Gangart einzulegen, wächst jedoch massiv und es mehren sich Berichte, dass die russische Armee nun bereits verstärkt zivile Infrastruktur angreift sowie natürlich vor allem alles, worüber Waffen ins Land geschafft werden kann. Wenn nun immer mehr und immer schwerere Waffen in die Ukraine gepumpt werden, [allein die USA wollen Waffen im Wert von 40 Milliarden Dollar liefern,] heißt dies daher nicht nur immer und mehr immer länger Krieg, sondern vermutlich auch einen immer brutaleren ‒ und dies stets verbunden mit der Gefahr einer atomaren Katastrophe durch Bomben und Raketen auf AKWs oder gar den Einsatz von Atomwaffen.

Verhandeln statt Schießen!

Dieser Wahnsinn muss gestoppt werden und das geht nur über Verhandlungen. Auch wenn diese nun erneut schwieriger wurden, führt daran kein Weg vorbei. Wir fordern die deutsche Regierung daher auf, endlich ernsthafte Schritte dazu unternehmen [– wie es einer Forsa-Umfrage zufolge auch 77 Prozent der Bundesbürger verlangen].

Italien hatte im Mai schon sehr realistische Vorschläge unterbreitet, wie man schrittweise, beginnend mit beschränkten Abkommen, z.B. über lokale Feuerpausen, umfassendere Waffenruhen aushandeln könnte, um dann in den eigentlichen Verhandlungsprozess einzusteigen. Dieser wird schwierig sein, aber es gibt durchaus taugliche Vorschläge für Verhandlungsansätze, und auch darüber wie Kompromisslösungen für die abgetrennten Gebiete aussehen könnten. [Wie die Außenministerin Südafrikas, Naledi Pandor, in einem bemerkenswerten ZDF-Interview erläuterte, sieht die restliche Welt den Westen in der Verantwortung, eine politische Lösung zu finden und erwartet, dass die „mächtigen politischen Führer des Westens“ und natürlich auch Russlands dazu fähig sind.]

Die Entscheidung über Verhandlungen ist keineswegs nur eine Angelegenheit der ukrainischen Regierung, wie uns westliche Regierungen weißmachen wollen. Abgesehen davon, dass die Politik Kiews seit 2014 ohnehin stark von den USA und der EU dominiert wird und sie in anderen Konflikten nicht so zimperlich sind so, tragen die NATO-Staaten ja maßgebliche Mitverantwortung. Zum einen liegen zentrale Ursachen des Krieges in ihrer konfrontativen Politik gegen Russland und müssen mitverhandelt werden. Zum anderen könnte Kiew ohne ihre Beteiligung den Krieg nicht länger führen.

Jedem der den Krieg nüchtern beurteilt ist klar, dass er militärisch von keiner Seite entschieden werden kann und am Ende Verhandlungen stehen werden. Warum also nicht gleich?

Die Antwort ist, dass die USA und ihre Verbündeten sich offensichtlich die Gelegenheit, Russland durch einen langen Krieg umfassend schwächen zu können, nicht nehmen lassen wollen.

Wir protestieren daher entschieden gegen eine Politik, die Kiew zum Weiterkämpfen drängt, zu einem Krieg, der auch nach unserer Außenministerin, die auch für die kommende Jahre Panzer und Haubitzen verspricht, jahrelang gehen kann.

Wir fordern den sofortigen Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine. Wir verlangen Verhandeln statt Schießen!

Wirtschaftskrieg und Wirtschaftskrise

Parallel zum militärischen eskaliert auch der Wirtschaftskrieg, den der politische Westen gegen Russland führt. Wie wir alle am eigenen Leibe spüren, ist es ein selbstzerstörerischer Krieg, der nicht nur den Gegner trifft, sondern auch die Wirtschaft der eigenen Länder sowie zudem die der übrigen Welt, die massiv in Mitleidenschaft gezogen werden, obwohl sie die ganzen Embargomaßnahmen durchweg ablehnen.

Die Preise explodieren, nicht nur bei Öl, Gas und Strom. Es drohen Lieferengpässe, Produktionsstillstände, Insolvenzen, Entlassungen uvm.. Und wie immer sind die ärmeren Länder besonders betroffen. Da ihnen die EU-Staaten das letzte Flüssiggas vor der Nase wegschnappen, stehen sie bzgl. Energieversorgung bald gänzlich auf dem Trockenen. Aufgrund des zunehmenden Mangels an Getreide, Dünger etc. drohen in Afrika bereits Hungersnöte.

Sabotage an Nordstream-Pipelines

Und nun erlebten wir eine erneute Eskalation und geografische Ausweitung des Krieges durch die Sabotageakte an den beiden Nordstream-Pipelines. Im Bemühen, auch das den Russen in die Schuhe zu schieben, werden jetzt von westlichen Politikern und Medien die abstrusesten Verschwörungstheorien konstruiert. Dabei ist es offensichtlich, dass sich die Anschläge eindeutig gegen Russland, aber auch gegen Deutschland richten. [Kommentatoren sprechen bereits von einer Kriegserklärung gegen Deutschland und die EU.]
Zwar kam aktuell über keine der Röhren mehr Gas, aber der Druck auf Berlin, angesichts des massiven Engpasses bei der Gasversorgung endlich Nordstream 2 zu öffnen, wuchs massiv.

Diese Alternative wurde nun erst einmal zerbombt, die Gefahr, dass Berlin umfallen könnte aus Sicht der Scharfmacher also auf voraussichtlich längere Sicht gebannt. Und sollten die beiden Pipelines dauerhaft ausfallen, wird hierzulande das Gas auch dauerhaft viel teuer und knapper bleiben und damit das Erfolgsrezept der exportorientierten deutschen Wirtschaft, das zum guten Teil auf dem günstigen Gas aus Russland basiert, zusammenbrechen.

Man muss die Urheber daher unter denen suchen, die tatsächlich ein Motiv haben und auch die Möglichkeit, unbemerkt in einem der strengsten überwachten Gewässer Sprengsätze anzubringen. Auch wenn man Polen und Ukraine starke Motive unterstellen kann, deuten doch die meisten Indizien Richtung Washington. Schließlich hat Biden bekanntlich im Februar unmittelbar damit gedroht, im Falle eines russischen Angriffs Nord-Stream-2 auch gegen den Willen der Deutschen stillzulegen. Wörtlich sagte er „zu einem Ende zu bringen“ und ergänzte auf die Frage von Journalisten nach dem „wie“: „Ich verspreche Ihnen, dass wir in der Lage sind, dies zu tun“.

Und eine gute Gelegenheit unbemerkt fernzündbare Sprengsätze anzubringen, könnte das NATO-Manöver BALTOPS geboten haben. So führten Spezialeinheiten für Minenräumung der US-Marine im Juni vor der Insel Bornholm, d.h. im Gebiet wo die Explosionen stattfanden, Manöver durch, bei denen sie mit unbemannten U-Booten operierten. Wer Minen bergen und entschärfen kann, kann sicherlich auch welche platzieren, die dann später gezündet werden können.

Noch sind dies natürlich nur Verdachtsmomente. [Doch so ungeheuerlich der Gedanke auch für viele sein mag, dass die westliche Vormacht engen Verbündeten die Gaszufuhr wegbombt, und durch Zerstörung einer solch bedeutenden zwischenstaatlicher Infrastruktur einen eklatanten Tabu beging, so ist es ein Skandal, dass diese naheliegende Möglichkeit von Politik und Medien einfach zur Seite geschoben wird und, wie z.B. das ZDF, Vermutungen in diese Richtung als russische Propaganda und Verschwörungsideologie disqualifiziert, obwohl die „als naheliegendste Option“ präsentierte „Beteiligung Russlands“ die beim weiten schrägste Verschwörungstheorie ist.]

Wir verlangen die Offenlegung aller Erkenntnisse, die Deutschland und die Anrainerstaaten aus ihrer Überwachungen haben, sowie die Einsetzung einer unabhängigen, internationalen Kommission zur Untersuchung dieses terroristischen Akts. Dies kann selbstverständlich nicht NATO-Staaten überlassen werden. Wer eine unabhängige Untersuchung nicht unterstützen und nicht ernsthaft ermitteln will, macht sich letztlich zum Komplizen.

Weiterhin fordern wir die volle Unterstützung bei der Reparatur der Pipelines und die Aufhebung aller Blockademaßnahmen die diese behindern.

„Keinen Euro für Krieg und Zerstörung"

Der Aktionstag steht unter dem Motto „„Keinen Euro für Krieg und Zerstörung“. Wir protestieren daher heute vor allem auch gegen die wahnwitzigen Hochrüstungspläne. Wir protestieren gegen das „Sondervermögen“ genannte Schuldenpaket von 100 Mrd. Euro, das ruckzuck zu ihrer Anschubfinanzierung geschnürt wurde. Im Grunde ist es nichts anderes als das moderne Pendant von Kriegskrediten, wie sie vor dem ersten Weltkrieg aufgelegt wurden.

[Wie schon die Geschwindigkeit zeigt, mit der sie beschlossen wurden, sind die gigantischen Rüstungsvorhaben keine Reaktion auf den russischen Angriff. Offensichtlich lagen die Pläne schon lange in der Schublade und bietet die Empörung über Russlands Krieg die Gelegenheit, sie nun ohne größeren Widerstand umzusetzen. Mit ihnen will die ganz große Koalition aus SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU Deutschlands Großmachtrolle weiter ausbauen. Deutschland werde, so verkündete Olaf Scholz stolz, „in Europa bald über die größte konventionelle Armee im Rahmen der Nato verfügen“ und SPD-Chef Klingbeil tönt, dass nach knapp 80 Jahren Zurückhaltung, Deutschland eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem einnehmen und „Führungsmacht“ werden müsse.

Unter deutschen Nachbarn, wie Frankreich oder Belgien, schüren solche Ankündigungen erhebliches Unbehagen. Und da die USA stets bestrebt waren, eine engere Zusammenarbeit Deutschland und Russland zu verhindern, da sie ihre Dominanz in Europa unterminieren könnte, kann Washington solche Bestrebungen natürlich nur dulden, wenn Deutschland seine Verbindungen zu Russland weitgehend kappt. Hier dürfte ein wesentlicher Grund dafür liegen, dass die herrschenden Kreise in Deutschland eine Politik mittragen, die der deutschen Wirtschaft erheblich schadet.]

Was wir erleben ist ja nicht nur der rasanten Sturz in eine ausgewachsene Wirtschaftskrise sondern auch Ansätze einer regelrechten Kriegswirtschaft mit dem Ziel, sich von Russland völlig abzukoppeln und einen Wirtschaftskrieg durchzuhalten, der darauf zielt, wie es unsere unsägliche, bellizistische Außenministerin ausdrückte, „Russland zu ruinieren“

Angesichts dessen reicht es nicht, nur Preisdeckel für Strom und Gas und eine sozialer Abfederung der Preissteigerungen zu verlangen. So wichtig dies ist, müssen wir uns auch entschieden gegen die gesamte Kriegspolitik stellen und die sofortige generelle Aufhebung aller Handels- und Finanzblockaden fordern, die die Preisexplosionen und die Wirtschaftskrise befeuern.

Preisdeckel sind ohnehin keine Lösung für die Spekulation mit Strom, Öl und Gas. Nur die Vergesellschaftung der Energiekonzerne kann das Problem überteuerter Preise grundsätzlich lösen ‒ wir müssen daher die Debatte darüber ebenfalls auf die Tagesordnung setzen.

Wir sagen nein zu denen, die nun verlangen, wir sollen Waschlappen nutzen, statt zu duschen. Wir sagen nein zu denen, die allen, die die Preise zukünftig nicht mehr zahlen können, zumuten wollen, zu frieren und zu hungern, während sich gleichzeitig die Oligarchen in unserem eigenen Land am Krieg bereichern.

Wir sagen nein zu denen, die keinen Verhandlungsfrieden, sondern bis zum letzten Ukrainer Krieg führen wollen!

Wir fordern ganz konkret von Berlin:

  • Statt Waffenlieferungen an die Ukraine, echtes Engagement für Verhandlungen
  • Gegenseitige Sicherheitsgarantien zwischen Russland und der NATO unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Ukraine
  • Schluss mit der Aufrüstung! Keine weiteren Milliarden fürs Militär, sondern Abrüstung und Investition in Soziales, Gesundheit, Bildung, Klima- und Katastrophenschutz
  • Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland und die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags durch die Bundesregierung
  • Stopp der katastrophalen Wirtschafts- und Finanzblockaden, unter denen die Menschen weltweit leiden

Vielen Dank.

 

Joachim Guilliard ist aktiv beim Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg.