ungehaltener Redebeitrag für den geplanten Ostermarsch in Bonn am 11. April 2020

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

jedes Jahr versammeln sich Menschen in ganz Deutschland zu Ostern, um für den Frieden zu demonstrieren. Mal sind es mehr, mal weniger. Leider sind es zu wenige angesichts der massiven Spannungen und Eskalationen, die seit 2014 an Dynamik enorm zu genommen haben. 

Machen wir uns nichts vor: Auch vor 2014 gab es Spannungen zwischen dem Westen und Russland. Ich erinnere an die fortgesetzten NATO-Osterweiterungen, die sich in einem vom Westen angeheizten geopolitischen Machtkampf ganz deutlich gegen Russland richten. In den letzten Tagen ist die Republik Makedonien dem NATO-Bündnis beigetreten. In wieweit dies ganz freiwillig oder mit „sanftem Druck“ aus Brüssel und Washington geschah, darüber mag man spekulieren – ist aber weder abwegig und schon gar nicht verschwörungstheoretisch.

Jedenfalls stellen NATO- und EU-Osterweiterung eine klare Konfrontationsstrategie gegen Rußland dar. Der immer wieder gern formulierte Glaubenssatz: „Sicherheit für Europa ist nur mit Russland und nicht gegen Russland möglich“, ist kaum noch zu ertragen. Denn genau diejenigen, die diesen Glaubenssatz formulieren, handeln operativ genau gegenteilig. Dieser Glaubenssatz dient als Beruhigungspille für die Öffentlichkeit. Es wird damit auch suggeriert, man tue im Westen alles, um mit Russland eine gemeinsame Sprache zu finden. Doch verlassen wir die rein deklarative Politik und schauen auf die realen politischen Handlungen westlicher Außen- und Sicherheitspolitik: 

  • Fortsetzung der NATO-Osterweiterung
  • Fortsetzung der Östlichen Partnerschaftsprogramme der EU mit osteuropäischen und post-sowjetischen Staaten, um die von Russland initiierte Eurasische Wirtschaftsunion zu sabotieren
  • Fortsetzung des 2 Prozentziels Militärausgaben für alle NATO-Staaten (in der Bundesregierung gerne euphemistisch als „finanzielle Trendwende“ formuliert) - und dies ungeachtet der Corona-Krise und die damit aufkommenden Kosten zur Rettung und Heilung des Gemeinwesens
  • Fortgesetzter Propagandakrieg zwischen dem Westen und Russland
  • Fortgesetzter Cyber- und Handelskrieg zwischen dem Westen und Russland
  • Fortgesetzter Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und Russland in Syrien und Libyen auf Kosten der dortigen Gesellschaften.

All diese Maßnahmen sind das exakte Gegenteil eines Sicherheitskonzeptes von gemeinsamer Sicherheit. Es geht nach wie vor um primitive Machtpolitik wie im 19. und 20. Jahrhundert. Um ein Politikverständnis, dass in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwei Katastrophen erzeugte. Und dieses Politikverständnis dominiert in der Politik der deutschen Parteien immer stärker. Begriffe wie Vertrauensbildung, De-Eskalation, Frieden, Ausgleich, Abrüstung sind zu Fremdworten verkommen, die bestenfalls ein müdes Lächeln in der politischen Klasse erzeugen.

Nein, diese Bundesregierung und die Oppositionsparteien des Mainstreams, d.h. Grüne und FDP unterstützen die Konfrontation gegen Russland. Und neuerdings auch gegen China. Und die AFD? Sie spielt ein doppeltes Spiel. Wer glaubt, diese rechtsradikale Partei setze auf Frieden und Verständigung mit Russland, ist wenig informiert. In dieser Partei dominieren die transatlantischen Kräfte. Diese wollen weder eine Verständigung mit Russland, noch die NATO abschaffen. Die AFD will deutsche Interesse über die NATO auf Augenhöhe mit den USA verfolgen. Zwar gibt es in dieser Partei Kräfte, die Frieden mit Russland wollen, diese sind aber in der Minderheit, dürfen aber nach außen werben, um russland-deutsche Wähler zu binden.

Abgesehen von ihrem Rassismus, ihrem völkischen Denken und das rabaukenhafte Auftreten, passt die AFD wirtschafts- sowie außen- und sicherheitspolitisch in den parteipolitischen Mainstream.

Kalter Krieg 2.0?

Es wird immer wieder darüber spekuliert, ob wir uns in einem Kalten Krieg 2.0 befinden?

Ich vertrete die Auffassung, der Kalte Krieg hat niemals wirklich aufgehört. Er war in den 1990er Jahren nur weitgehend unbemerkt, da Rußland schwach und widerstandslos die imperialistische Politik der US-geführten NATO und der EU hingenommen hat. Dies änderte sich mit der Rede des russischen Präsidenten Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007. Auf dieser Konferenz kritisierte er die unilaterale, selbstherrliche und rechtsnegierende Politik des Westens. Diese Rede, ich erinnere mich nur zu gut an die Äußerungen von Teilnehmern, wurde als Kriegserklärung an die westliche Dominanz verstanden. Russland hat es gewagt, dem Westen zu widersprechen und Gleichberichtigung eingefordert. An diesem Tag wurde der Kalte Krieg reaktiviert, von den transatlantischen Falken, die bis heute nicht akzeptieren wollen, dass auch für den Westen das Völkerrecht gilt. 2008 kam es zum Georgienkrieg. Dieser Krieg war der erste heiße Krieg im Rahmen des reaktivierten Kalten Krieges. 2013/14 dann der vom Westen unterstützte gewaltsame Putsch auf dem Kiewer Maidan, die Antwort Russlands mit der völkerrechtswidrigen Integration der Krim, der Stellvertreterkrieg in Syrien all dies zeigt, dass der Kalte Krieg nicht nur wieder existent ist, sondern auch, dass er eine gefährliche Dimension angenommen hat, die manche an die Cuba-Krise oder der Krise Anfang der 1980er Jahre erinnern lässt.

Eines ist klar: Die Frage von Krieg und Frieden darf nicht der politischen Klasse und ihren Thinktanks in Berlin allein überlassen werden. Diese verspielen sehenden Auges den Frieden. Wer glaubt, und diese Vertreter gibt es in Berlin, Brüssel und Washington, ein Krieg gegen Russland ließe sich regional auf Osteuropa oder Gesamteuropa begrenzen, der hat die Eigendynamik des Krieges nicht begriffen. 

Ich fordere eine Demokratisierung der Außen- und Sicherheitspolitik. Diese Forderung ist aber nicht nur eine Forderung an die Regierung, sondern auch und vor allem an die Millionen Menschen in diesem Land, sich endlich für den Frieden zu bewegen.

 

Dr. Alexander Neu ist Mitglied des Deutschen Bundestages (MdB) für die Partei Die Linke.

 

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