ungehaltener Redebeitrag für den geplanten Ostermarsch Sachsen-Anhalt in Gardelegen am 13. April 2020

 

"Weltweite Solidarität statt internationale Kriege“

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

weltweite Solidarität statt internationale Kriege - Welche ein aktuelle Forderung als Motto des diesjährigen Ostermarsches, hier in Gardelegen. 

Gegenwärtig scheint die Entwicklung in unserer Welt, in Europa leider eine andere zu sein. Berichte über gewaltsame militärische Auseinandersetzungen haben ihren festen Platz in den Nachrichten. Die Gewalt in Syrien scheint kein Ende zu nehmen. Mehr und mehr Waffen fließen ins Land mit katastrophalen Folgen für die dort lebenden Menschen. Eine Befriedigung des Konfliktes in Mali ist nicht trotz des Einsatzes von rund 12.000 SoldatInnen in Sicht. Die militärische Auseinandersetzung im Osten der Ukraine bringt nun schon seit Jahren für viele Menschen unendlich viel Leid.

Großangelegte Manöver in Europa. Sowohl Russland, als auch die Nato scheinen aktuell auf das Zeigen militärischer Stärke zu setzen. Gegenseitige Abschreckung und Provokation von beiden Seiten. Dabei wäre es angesichts der gegenwärtigen Konfliktlagen umso wichtiger, ein gegenseitiges Hochschaukeln, Missverständnisse und Drohgebärden zu vermeiden. 

Doch auch Blick an die Grenzen unserer Europäischen Union lässt mich erschrecken. Militärgüter werden zur Flüchtlingsabwehr eingesetzt. Mit Gewalt, Wasserwerfern und Tränengas werden vor Krieg und Gewalt fliehende Menschen gehindert bei uns Schutz zu suchen. Diejenigen, welche es nach Europa schaffen werden zum Teil unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern festgehalten. Traurige Berühmtheit erlangte das  Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos. Unter katastrophalen Bedingungen müssen geflüchtete Menschen extrem leiden. Die Folgen von Krieg und Gewalt sind hier ganz deutlich spürbar. Doch von Solidarität ist kaum etwas zu erleben. 

So möchte ich heute von meiner Trauer sprechen, welche ich  gemeinsam mit vielen gutwilligen Menschen zurzeit durchlebe. Das Europa, wie wir es noch bis vor wenigen Monaten kannten scheint sich aufzulösen. Bis vor kurzem hatte ich mir ein derart ausgrenzendes, sich abschottendes und unsolidarisches Europa – so wie wir es heute angesichts des hunderttausendfachen Leides an unseren Außengrenzen erleben – nicht vorstellen können. Natürlich war unser Europa nicht perfekt. Ja, die Zugangsmöglichkeiten für Geflüchtete und Verfolgte wurden in den vergangen Jahren immer weiter eingeschränkt. Doch die große Solidarität des Jahres 2015 machte Hoffnung. So hielt ich ein solidarisches und offenes Europa, welches Verfolgten und Heimatlosen Schutz bietet, für möglich. 

Doch diese Hoffnung schwindet. Die Mauern um Europa werden höher. Wir erleben eine nie gekannte Aufrüstung an unseren Außengrenzen. Der Beschaffungsetat von Frontex wächst, die Rüstungsindustrie freut sich. Ein Milliardengeschäft auf dem Rücken der Schwächsten. 

Es wächst die Angst vor dem Fremden. Eine Angst, die bewusst geschürt und instrumentalisiert wird. Populisten scheinen in Europa viele Menschen für sich gewinnen zu können: in England, in Polen, in Ungarn… auch bei uns. Nur wenn wir mehr Waffen haben und mehr Gewalt androhen können, als andere, leben wir sicher. Nur wenn wir die „Anderen“ draußen halten können wir weiterhin in unserem Wohlstand leben. Was für falsche Parolen! Und doch lassen sich viele Menschen von diesen menschenverachtenden Parolen einfangen. 

So stellt sich die Frage: Was tun? Wie werden wir die Hoffnung auf eine solidarische Europa offenhalten? Werden wir uns denjenigen, die „schickt-sie-zurück“ rufen in den Weg stellen?

Wenn wir unsere Gesellschaft zum Frieden wandeln wollen, in der Solidarität gelebt wird, müssen wir alle Kraft in die Friedensbildung stecken. Wir müssen anderen Menschen und insbesondere unseren Kinder vorleben, Fremde willkommen zu heißen. Wir müssen zeigen, dass es ganz selbstverständlich ist, Fremden in unserer Mitte freundlich zu begegnen, wer immer sie sind und wo immer sie herkommen. Wir dürfen angesichts eines wachsenden Rassismus nicht schweigen. 

Aus der Bibel kennen wir große Erzählungen von der Freundlichkeit und Barmherzigkeit gegenüber Fremden. Die Geschichte vom Barmherzigen Samariter lehrt uns nicht nur Barmherzigkeit. Sie lehrt uns auch, dass unser Nächster derjenige ist, den wir fürchten sollten. Den wir nicht an uns heranlassen sollten. Zu Jesu Zeiten waren die Samariter schließlich die Feinde der Juden. Mit ihnen hatte man besser nichts zu tun. In unserer Gesellschaft – uns – würde Jesus heute nicht die Geschichte vom Barmherzigen Samariter erzählen, sondern vom guten Afghanen, vom barmherzigen Syrer, vom guten Somali. Er würde fragen, wen wir zu unserem Nächsten machen? Gehen wir an den Geschlagenen, an den Opfern von Krieg und Gewalt achtlos vorbei? Halten wir den Ruf nach mehr Waffen, mehr Abschreckung für die bessere Lösung, um nicht selbst unter die Räuber zu fallen? Oder glauben wir an die Kraft des Guten? Üben wir tätige Nächstenliebe und wenden uns den Opfer zu? Stehen wir ein für Solidarität und Mitmenschlichkeit?

Lassen Sie uns den Ruf zur Nächstenliebe immer wieder aktualisieren. Gerade in der heutigen Zeit sind wir aufgerufen ein Zeugnis der Liebe und Menschenfreundlichkeit gegenüber allen Menschen zu geben. Lassen Sie uns für ein solidarisches Miteinander einstehen, hier bei uns, in Europa, in der Welt. 

Lassen wir uns nicht von der Angst und Furcht vor dem Fremden überwinden, sondern die Fähigkeit  zum  Guten und zur Barmherzigkeit in uns wecken. Eine Fähigkeit, die in uns allen steckt. Sie ist ein Potential zum Besseren. Ein Potential, dass es zu nutzen gilt. 

Fühlen wir uns der Menschenfreundlichkeit verpflichtet! Treten wir ein für Gerechtigkeit und Solidarität. Verstärken wir so die Stimmen derer, die am Rand stehen! Wenn wir dies tun, wenn wir anderen darin ein Vorbild sind und sie dafür gewinnen, es und gleich zu tun, wenn Nächstenliebe, Mitmenschlichkeit und Solidarität für unsere Kinder etwas ganz normales wird, dann würden keine Waffen mehr erhoben, um Opfer von Krieg und Gewalt von uns fernzuhalten. Dann wäre  es  ganz selbstverständlich, sich den in Not geratenen, den Schwachen, den Ausgegrenzten zuzuwenden. Ein echtes Gegenmittel gegen das Gift des Hasses und der Angst wäre gefunden. Und niemand würde mehr gegeneinander in den Krieg ziehen wollen. 

 

Jens Lattke ist Friedensbeauftragter der Ev KIrche in Mitteldeutschland (EKM).

 

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