ungehaltener Redebeitrag für den geplanten Ostermarsch in Heidelberg am 11. April 2020

 

Hilfe statt Sanktionen ‒ Wirtschaftsblockaden ächten

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Eine internationale Krisensituation, wie die Corona-Pandemie kann sehr entlarvend sein. Sie deckt nicht nur schonungslos die Defizite im Gesundheitswesen auf, die durch die rigiden Sparmaßnahmen und Privatisierungen entstanden sind, sie entlarvte auch gründlich den Charakter der EU. Von Solidarität gegenüber dem besonders betroffenen Italien war nichts zu sehen, Die Partner schotteten sich ab und verweigerten sogar die Lieferung dringend benötigtes medizinischen Material. Neben China waren es dann Russland, Kuba und Venezuela, die Material und medizinisches Personal in die Corona-Hotspots in Norditalien entsandten.

Damit erwiesen sich Länder solidarisch mit einem westlichen Land, die gleichzeitig ‒ trotz Corona-Krise und internationaler Appelle ‒ weiter durch westliche Wirtschaftsblockaden terrorisiert werden.

Wir reden in diesem Zusammenhang natürlich nicht von gezielten und beschränkten Maßnahmen gegen Länder, wie dem Ausschluss von Sportveranstaltungen und schon gar nicht von Waffenembargos ‒ schließlich lehnen wir Rüstungsexporte ohnehin ab. Es geht vielmehr um umfassende Beschränkungen im Bereich Handel, Finanzen, Finanztransaktionen, Transport etc., die gegen immer mehr Länder verhängt werden und in vielen Fällen den Charakter von Wirtschaftskriegen annehmen.

Erpresserische Zwangsmaßnahmen

Die USA und in geringerem Maße die EU haben gegen insgesamt 39 Länder einseitige, mehr oder weniger schwerwiegende „Sanktionen“ verhängt. Die Wirtschaftsblockaden gegen Iran, Russland, Kuba und Venezuela sind bekannt. Die verheerenden Auswirkungen von Maßnahmen gegen bereits völlig verarmte Länder wie Nicaragua, Mali, Simbabwe oder Laos haben jedoch nicht einmal Menschenrechtsgruppen auf ihrem Radar.

Wobei die Bezeichnungen „Sanktionen“ oder gar „Strafen“ völlig irreführend sind. Denn nichts und niemand gibt den USA oder der EU das Recht, irgendwelche Strafmaßnahmen zu verhängen. Dazu ist allein der UN-Sicherheitsrat legitimiert.

Tatsächlich handelt es sich um unilaterale erpresserische Zwangsmaßnahmen, die in vielfältiger Weise gegen internationales Recht und Abkommen verstoßen. Auch wenn sie in der Regel mit humanitären, menschenrechtlichen etc. Gründen gerechtfertigt werden, sind es Akte der Willkür, die per se nur dominierende Großmächte verhängen können und auch fast ausschließlich von den USA und ihren Verbündeten verhängt werden. Gleichzeit können sie sicher sein, selbst bei schlimmsten Verbrechen, wie den Kriegen gegen Jugoslawien, Irak oder Libyen, Folterungen in Guantánamo und Drohen-Morden im Nahen Osten, nicht selbst Ziel solcher Maßnahmen zu werden.

Für Unterordnung und „Regime Change"

Unabhängig davon, ob die Vorwürfe gegen betroffene Staaten ‒ zumindest teilweise ‒ auch gerechtfertigt sind, und auch unabhängig davon, wie sehr beteuert wird, dass sich die Maßnahmen doch nur gegen die jeweilige Regierung, das jeweilige Regime, richtet, treffen sie, sobald sie Export-, Import und Transaktionen effektiv einschränken, stets in erster Linie die Bevölkerung.

Wirtschaftsblockaden sind eine Form der Erpressung, mit der die Regierungen der betroffenen Länder zur Unterordnung unter die Politik der westlichen Mächte gezwungen werden sollen. Oft, wie im Fall Kuba, Syrien, Iran oder Venezuela werden damit darüber hinaus offen ein „Regime Change“ angestrebt, in dem die Bevölkerung durch die drastische Verschlechterung der Lebensbedingungen zum Aufstand genötigt werden. Mit anderen Worten werden alle Bürger des Landes als Geiseln genommen.

Heimtückischste Form moderner Kriegsführung

Grundsätzlich seien „Wirtschaftssanktionen“ vergleichbar mit der "mittelalterlichen Belagerungen von Städten", die zur Kapitulation gezwungen werden sollten, so der Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrates für Lateinamerika, Alfred De Zayas.

Die Sanktionen des 21. Jahrhunderts versuchen aber nicht nur eine Stadt, sondern souveräne Länder in die Knie zu zwingen. Im Unterschied zum Mittelalter, würden die Blockaden des 21. Jahrhunderts von der Manipulation der öffentlichen Meinung durch 'Fake News', einer aggressiven PR-Arbeit sowie einer Pseudo-Menschenrechtsrhetorik begleitet ... , um den Eindruck zu erwecken, dass das 'Ziel' der Menschenrechte kriminelle Mittel rechtfertigt.

Tatsächlich ist diese heimtückischste Form moderner Kriegsführung mittlerweile auch die am häufigsten angewandte. Sie kann weitgehend unbemerkt und unangefochten eingesetzt werden und wird von US-Politkern offen als günstigere und nebenwirkungsärmere Alternative zu militärischen Interventionen gepriesen. Doch auch deren Angriffe sind zerstörerisch und machen in den betroffenen Ländern Jahrzehnte des Fortschritts in den Bereichen Gesundheitsversorgung, sanitäre Einrichtungen, Wohnungsbau, grundlegende Infrastruktur und industrielle Entwicklung zunichte.

Wirtschafsblockaden können Massenvernichtungswaffen werden

Auch wenn Nahrung, Medizin etc. meist offiziell nicht unter die Blockaden fallen, sind Versorgungsengpässe vorprogrammiert. Aufgrund der Sanktionsdrohung gegen alle Unternehmen, die sich nicht daran halten, haben die betroffenen Länder Probleme, Lieferanten, Transport- und Finanzierungsmöglichkeiten zu finden. Auf Grund der Blockade von Exportgütern fehlen auch die nötigen Devisen. Die Blockade von Dual Use-Gütern wird auch die Eigenproduktion von Maschinen, Ersatzteilen bis hin zu Pflanzendünger und Medikamenten stark beeinträchtigt.

Moderne Industriegesellschaften beruhen auf einem zerbrechlichen Netz unentbehrlicher Infrastruktur und Technologien. Wenn Pumpen und Abwasserleitungen, Aufzüge oder Generatoren aus Mangel an einfachen Ersatzteilen nicht mehr funktionieren, können ganze Städte von Sümpfen überflutet werden. Wenn Bauern Saatgut, Dünger, Werkzeuge und Maschinen vorenthalten werden oder Lebensmittel, Medikamente und lebenswichtige Ausrüstung aufgrund von Finanzblockaden nicht mehr ausreichend importiert werden können entstehen lebensbedrohliche Notlagen.

Wirtschaftskriege können daher mehr Opfer fordern als militärische, besonders dann, wenn die USA und ihre Verbündeten ihre Gegner durch vollständige Blockaden zu strangulieren suchen und dabei, in Mafiamanier, Drittländer durch Androhung von Sanktionen zwingen, sich ihnen anzuschließen.

Wirtschafsblockaden können zu Massenvernichtungswaffen werden. So kostete das umfassende Embargo gegen den Irak von 1990 bis 2003, einer Untersuchung des UN-Kinderhilfswerks UNICEF zufolge, wahrscheinlich 500.000 Kindern das Leben. Insgesamt starben mehr als eine Million Iraker an dessen Folgen.

Der „stille Tod“

Auch wenn die aktuellen Handels- und Finanzblockaden gegen Länder wie Syrien, Iran, Venezuela oder Kuba sicherlich nicht ‒ oder genauer noch nicht ‒ so extrem wirken, wie das Irakembargo, so töten ohne Zweifel auch bereits sie: In Venezuela forderten nach Schätzungen eines Washingtoner Forschungsinstituts (Centre for Economic and Policy Research CEPR) die US- und EU-Sanktionen bereits zwischen 2017 und 2018 ungefähr 40.000 Menschenleben.

Die Situation in Syrien ist noch wesentlich schlimmer. Dem UN-Sonderberichterstatter Idriss Jazairy, zufolge sind hier die Auswirkungen der Wirtschaftsblockaden der USA und der EU auf die Bevölkerung mittlerweile schlimmer als die des Krieges. Ihre Opfer sterben nur „einen stillen Tod“, so der algerische Diplomat, Menschenrechtsexperte und Gründungsmitglied des UN-Menschenrechtsrates. Der oft vorgebrachten Rechtfertigung, Sanktionen seien eine gewaltlose Alternative zum Krieg, entgegnete er: „Diese Menschen sterben still. Ist das besser und gnadenvoller, wenn Menschen still sterben als durch eine Bombenexplosion?“ Auch die Folgen von Wirtschaftsblockaden seien eine Tragödie.

Die von Jazairy besetzte Stelle des „Sonderberichterstatters über negative Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf die Gewährleistung von Menschenrechten“ war vom UN-Menschenrechtsrat geschaffen worden, weil innerhalb der Vereinten Nationen eine Mehrheit der Ansicht ist, so Jazairy, dass die Anwendung solcher Maßnahmen „gegen internationales Recht, das humanitäre Völkerrecht, die Charta der Vereinten Nationen und die Normen und Grundsätze für friedliche Beziehungen zwischen Staaten verstoßen“ könne.

Durch die Blockierung des Außenhandels eines Landes, das für sein Überleben auf diesen angewiesen ist, so das gängige Urteil von Völkerrechtlern und UN-Gremien, wird das Leben der Zivilbevölkerung als Ganzes bedroht. Umfassende Sanktionen sind daher unabhängig von ihrer Begründung, schwere Menschenrechtsverletzungen. Sie beinhalten insbesondere die Missachtung des Rechts auf Leben, sowie auf angemessene Ernährung und Gesundheitsversorgung. Umfassende Sanktionen sind zudem eine Form kollektiver Bestrafung, die in völligem Gegensatz zu den Grundprinzipien des Rechts steht.

Blockaden in Zeiten von Corona ‒ ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Die weltweite Verbreitung von COVID-19 hat die völkerrechtswidrige und unmoralische Praxis der einseitigen Wirtschaftsblockaden so deutlich wie nie ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Den betroffenen Ländern, insbesondere Venezuela, Iran, Syrien, Kuba und Simbabwe wird durch sie massiv erschwert, Schutzmaßnahmen zu ergreifen und ihr Gesundheitssystem für die Zunahme von Erkrankungen zu wappnen. Zahlreiche Länder, internationale Institutionen und Persönlichkeiten, wie u.a. die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, fordern seit Wochen, die „Sanktionen“ wenigstens währen der Pandemie auszusetzen. Auch UN-Generalsekretär António Guterres, hat vor dem G-20-Sondergipfel am 26. März von Washington und der EU verlangt, die Zwangsmaßnahmen gegen Drittländer auszusetzen, um ihren „Zugang zu Nahrung, zur notwendigen Gesundheitsversorgung und zu medizinischer Covid-19-Hilfe sicherzustellen“: „Jetzt ist Zeit für Solidarität, nicht für Ausschluss“.

Doch ungeachtet dieser Aufrufe und allen eigenen Bekundungen zur internationalen Solidarität in Zeiten von Corona zum Trotz, halten die Regierungen der USA und der EU-Staaten unbeirrt an ihren Blockademaßnahmen fest. Sie stellen in dieser Situation eindeutig ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.

Die „Gruppe der 77 und China“, ein internationales Gremium mit Sitz bei der UNO, das 134 Entwicklungsländer vertritt, will sie daher endlich vollständig beseitigen und fordert daher „die internationale Gemeinschaft auf, dringende und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um den Einsatz einseitiger wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen gegen Entwicklungsländer zu verhindern.“

Auch der UN-Menschrechtsrat hat die „einseitigen umfassenden Zwangsmaßnahmen“ mehrfach verurteilt und ihr Ende gefordert.

Wir schließen uns diesen Resolution und ähnlichen lautenden Appellen von Menschenrechtsorganisation an und fordern:

1. die Wirtschaftsblockaden sofort zu beenden.

2. Vermögenswerte und Bankkonten der Zielländer freizugeben, damit diese die zur Bekämpfung der Pandemie erforderlichen Nahrungsmittel, Medikamente und medizinischen Geräte und Ausrüstungen kaufen und erhalten können.

3. alle militärischen Drohungen und Aktionen gegen die Zielländer einzustellen

5. den Aufruf des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, António Guterres, zu einem weltweiten Waffenstillstand zu respektieren.

 

Joachim Guilliard, Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg.

 

[Archiv der ungehaltene Reden]
[zurück zum virtuell Ostermarsch]