ungehaltener Redebeitrag für den geplanten Ostermarsch in Offenbach am 13. April 2020

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

seit Anfang der 1960er Jahre demonstrieren Bürgerinnen und Bürger dieses Landes für Frieden und Abrüstung, gegen Kriege und neue Waffen. Auch in Offenbach gehen wir seit Jahrzehnten auf die Straße, seit 1980 – also vor 40 Jahren – als Offenbacher Friedensinitiative, und marschieren am Ostermontag gemeinsam zur Abschlusskundgebung auf dem Frankfurter Römerberg. Das fällt heute aus.

In diesem Jahr 2020 wurden bundesweit diese Demonstrationen verboten, während die Kriege aber trotz der Ansteckungsgefahr fortgesetzt werden. Keine Rede davon, den Aufruf des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, António Guterres, für einen globalen Waffenstillstand zu respektieren.

Mit unserem Engagement für den Frieden wollen wir das Recht auf Leben verteidigen und schützen, und da wäre es schon ein arger Widerspruch, wenn wir die Sorge der Menschen um die eigene Gesundheit und die ihrer Angehörigen und Freunde nicht ernst nähmen. Dass die Gefahren durch das Virus SARS-CoV-2 und die Infektionskrankheit CoViD-19 noch nicht hinreichend erforscht, die statistischen Zahlen widersprüchlich und die Prognosen unsicher sind, kann kein Grund dafür sein, auf Vorsichtsmaßnahmen zu verzichten.

Obwohl die Sorge um die Gesundheit im Mittelpunkt der Begründung steht, mit der die Stadt Offenbach unsere heutige Friedensaktion untersagt hat, müssen wir Kritik anmelden: Wir haben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „der Ostermarsch in seiner üblichen Form dieses Jahr nicht stattfinden“ kann, und wir unsere Aktion „in einer Form, die die Corona-Krise gebietet“ durchführen wollen, insbesondere mit „einem Abstand von 2 Metern“ zwischen den Teilnehmern. Mangelndes Problembewusstsein und Verständnis für die aktuelle Lage kann uns also nicht unterstellt werden. Wenn die Kunden bei Aldi oder Rewe mit entsprechendem Abstand einkaufen können, wieso nimmt die Stadt an, dass die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen von uns nicht zu erwarten sind – die wir doch gerade eher nicht durch Ignoranz gesellschaftlicher Problemlagen auffallen?

„Das Virus ändert alles“, nur Eines offenbar nicht: das Feindbild und die Stoßrichtung der USA, der NATO und ihrer Mitglieder. Kriege werden fortgesetzt, sagte ich, und auch Deutschland führt Krieg – jeden Tag. Deutschland ist derzeit an 13 Interventionskriegen, u.a. im Rahmen der NATO beteiligt. Der Kriegswillen der Regierenden zur Sicherung von Ressourcen, Militär überall in der Welt einzusetzen, nimmt zu. Vor uns liegt der 8. und der 9. Mai, die wir als Tag der Befreiung und als Tag des Sieges über Faschismus und Krieg begehen. Dieses Datum jährt sich 2020 zum 75. Mal. Die USA und die NATO haben eine eigene Vorstellung, wie solch ein Jahrestag begangen werden soll: mit dem US-Manöver „Defender Europe 20“, bei dem fast 50.000 Soldaten den „schnellen Sprung“ an Russlands Grenzen üben sollten. Ende letzten Jahres verkündete die Bundeswehr stolz: „Wenn die Amerikaner mit Defender Europe 20 die Verfahren zur Verlegung von umfangreichen Kräften aus den USA nach Osteuropa üben, wird Deutschland aufgrund seiner geostrategischen Lage im Herzen Europas zur logistischen Drehscheibe.“

„Deutschland wird zur logistischen Drehscheibe“ muss man mindestens zweimal lesen. Sie bedeutet nämlich nichts weniger, als dass Deutschland im Ernstfall zur Zielscheibe wird, zum Ziel eines atomaren Gegenschlags Russlands, bei dem zuerst die Stationierungsorte der NATO und ihre Nachschubwege ausgeschaltet werden.

Inzwischen wurde die Kriegsübung zwar „wegen Corona“ bis auf Weiteres „eingefroren“, aber das „Defender“-Manöver im Pazifik gegen China steht für Herbst weiterhin im Kalender.

75 Jahre Befreiung und die Bahn – Soldaten und Mordwerkzeug für immer mehr Manöver müssen irgendwie an die russische Grenze geschafft werden. Ab 2020 hat endlich das Militär Vorfahrt auf den Gleisen, vor der „Zivilgesellschaft“ – und sensationell: erstmals wieder seit 1945!

Die Umfragen zeigen seit Jahren stabile Mehrheiten: die Bevölkerung will Frieden mit Russland, Deutschland soll kein Aufmarschgebiet gegen Russland sein. Wir unterstützen die Forderung nach Abzug der US-Atomwaffen vom Fliegerhorst Büchel und nach Schließung der Kriegsdrehscheibe Air Base Ramstein. Wir fordern den Abzug aller ausländischen Truppen durch Kündigung des Stationierungsabkommens.

Mitten in der Krise und angesichts der sich abzeichnenden scharfen Rezession appelliert der NATO-Generalsekretär Stoltenberg, nicht bei der weiteren Steigerung der Kriegsausgaben nachzulassen. Das sind genau die Gelder, die gerade für Beatmungsgeräte fehlen, deshalb ist ein Austritt aus der NATO in vielerlei Hinsicht eine lebensrettende Maßnahme.

Statt weiterer Milliarden für die Rüstung fordern wir: investiert dieses Geld endlich für die Daseinsvorsorge, in das kaputtgesparte Gesundheitswesen. Wer die „Corona-Krise“ wirklich ernst nimmt, muss das medizinische Personal in Kliniken, Arztpraxen, Altenheimen und Pflegediensten endlich mit sämtlichem notwendigem Material versorgen.

In welche Lage auch das angeblich vorbildliche Krisenmanagement der Bundesregierung das Gesundheitssystem gebracht hat, zeigt sich daran, dass inzwischen der aus der Kriegsmedizin stammende Begriff „Triage“ (auslesen, sortieren) ins zivile Gesundheitswesen Einzug gehalten hat. Im Fall einer „Überlastung“ soll entschieden werden, wer noch beatmet wird und wessen Behandlung nicht mehr „lohnt“, also eine „schnelle Sterbebegleitung“ mit Opiaten und Schlafmitteln erhält. Diese schiefe Bahn führt in die Nähe des Missbrauchs der Euthanasie durch die Nazis.

Dank und Anerkennung für die im Gesundheits- und Pflegebereich tätigen Menschen heißt für uns: wir unterstützen die Forderung, sie endlich besser zu bezahlen, die Arbeitsbedingungen zu erleichtern, mehr Personal einzustellen, genügend Schutzausrüstung und Arbeitsmaterial zur Verfügung zu stellen. Wir unterstützen die Kämpfe aller Berufsgruppen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen für diese Ziele. Als Krisenprofiteurin will die Kriegsministerin Kramp-Karrenbauer die aktuelle Lage nutzen, indem sie uns den Bundeswehreinsatz im Inneren unter Corona-Vorwand schmackhaft zu machen versucht. Trotz Corona lässt die NATO einen Kriegsschiffsverband im Schwarzen Meer aufkreuzen. Die Orientierung auf „Regime Change“ in „ungehorsamen“ Ländern wird fortgesetzt, wie die Kanonenboot-Politik gegen Venezuela oder erneut verschärfte Sanktionen gegen den Iran zeigen.

Deshalb unterstützen wir den Offenen Brief des Friedensrates der USA an US-Präsident Trump und UNO- Generalsekretär Guterres, in dem es u.a. heißt: „Die globale Ausbreitung von COVID-19 hat die illegale und unmoralische Praxis der einseitigen und zwingenden wirtschaftlichen Sanktionen durch die Regierung der Vereinigten Staaten gegen mehr als dreißig Nationen aufgedeckt. Die Regierung der Vereinigten Staaten nutzt nun die durch die Pandemie verursachte öffentliche Ablenkung, um ihre militärischen Aktionen gegen die Zielnationen zu verstärken.

Der ökonomische Krieg gegen diese Nationen hat bereits vor dem Ausbruch der COVID-19 Pandemie unvorstellbares Leid über die Bewohner der Zielnationen gebracht. Mit der Zerstörung durch die globale Pandemie, wird es für die Zielnationen – insbesondere Venezuela, Kuba, Iran, Syrien und Zimbabwe – angesichts der fortlaufenden globalen Notlage ungeheuer schwierig, die Leben ihrer Bürger zu schützen und zu retten. Diese Sanktionen stellen ein Verbrechen gegen die Menschheit dar.“
Wir ergänzen: Auch die Bundesregierung muss die selbst verhängten Sanktionen beenden und sich aktiv gegen die mörderischen Zwangsmaßnahmen gegen Iran, Syrien, Russland, Kuba und Venezuela einsetzen. Auch in Deutschland kann und soll man eine solche Petition im Internet unterstützen: „Alle Sanktionen aufheben, die den Kampf gegen die Pandemie behindern“.

Für den Frieden und das Überleben brauchen wir Völkerverständigung, keine feindbildverknallte Hetze gegen Russland und China. Wir brauchen die partnerschaftliche internationale Zusammenarbeit, diskriminierungsfreien Handel und den freien wissenschaftlichen Austausch auf Grundlage des Völkerrechts, der Anerkennung der Souveränität und Gleichberechtigung aller Länder.

Unseren Protest gegen die Kriegstreiber und für unsere Forderungen werden wir so bald wie möglich auch wieder auf die Straße tragen. Wir werden nicht zulassen, dass das Demonstrationsrecht ausgehebelt, die Grund- und Menschenrechte einschließlich der sozialen Rechte dauerhaft außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden.

In diesem Sinne bekräftigen wir auch 75 Jahre nach dem 8./9.Mai 1945: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ und unsere Forderung „Abrüsten statt Aufrüsten!“

Wir lernen aus der Krise: Dauerhafte Quarantäne für das Militär!

 

Klaus Hartmann ist Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes und Mitbegründer der Offenbacher Friedensinitiative.

 

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