ungehaltener Redebeitrag für den geplanten Ostermarsch in Wolfsburg am 11. April 2020

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

exakt heute, am 11.April 1945, wurde die "Stadt des KdF-Wagens" mit ihren etwa 15 000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern von den Alliierten befreit. In diesem 75.Jahr der Befreiung sollten wir auch der 27 Millionen im zweiten Weltkrieg umgekommenen sowjetischen Bürgerinnen und Bürger gedenken und müssen den durch „Defender 2020“ geplanten Aufmarsch an der russischen Westgrenze entschieden ablehnen. Hätte nicht der Corona-Virus und seine enormen gesellschaftlichen Einschränkungen wie Versammlungsverbot unser widerständiges Leben verändert, so hätte ich diese Rede heute am Sarah-Frenkel-Platz gehalten. An diesem Platz spreche ich als VVN-BdA-Vertreterin besonders gerne, denn er ist verbunden mit der NS-Vergangenheit dieser Stadt und enthält das Versprechen ihrer BürgerInnen:

"...Wir versprechen: zu achten und zu verteidigen, was ihnen verwehrt blieb - Freiheit, Frieden, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde. Den Opfern gewidmet – auf Zukunft gerichtet.“ Dieses Mahnmal für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurde von der Zivilgesellschaft erkämpft. Sara Frenkels Schicksal als Zwangsarbeiterin bei Volkswagen begann vor 79 Jahren mit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen.

Nach dem verheerenden verbrecherischen 2. Weltkrieg galt für ‚uns‘: NIE WIEDER KRIEG, NIE WIEDER FASCHISMUS! Ins gesellschaftliche Gedächtnis ist diese Losung mit der leidenschaftlichen Lithografie von Käthe Kollwitz eingegraben.

Die 1945 scheinbar unumstößliche und folgerichtige Forderung „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen“ und damit verbunden das Verbot der Wiederbewaffnung wurden trotz Widerstands schon bald unter Adenauer über Bord geworfen.

Konkret für die VVN in Niedersachsen hieß das 1951: die Geschäftsstelle der VVN wurde durchsucht und geschlossen, weil die VVN sich gegen die Remilitarisierung der BRD eingesetzt hatte.

Musste sich der Corona-Virus ausbreiten, damit unsere Forderung „NEIN zum NATO - Kriegsmanöver Defender 2020“ Wirklichkeit wurde?

Sind wir Traumtänzer, wenn wir fordern, dass die gigantischen Rüstungsausgaben weltweit für humane Vorhaben eingesetzt werden wie

  • Bildung und Gesundheit für alle
  • Wohnen zu bezahlbaren Preisen
  • Arbeit für alle bei gerechtem, gleichem Lohn?

Bitter zeigt sich jetzt, wie fatal

  • die Privatisierung von Kliniken und der aus Profitgründen forcierte Bettenabbau war
  • und wie verwerflich die geringe Bezahlung von AltenpflegerInnen, Krankenschwestern und - Pflegern sowie anderen im Gesundheitswesen Tätigen ist.

„Defender 2020“ hätte politisch, ökologisch und finanziell eine ungeheure Verwüstung angerichtet:

  • politisch Folgen: Schon die Bezeichnung des Großmanövers "Defender 2020" ist eine Unterstellung: 'to defend' heißt verteidigen. Werden wir angegriffen? Müssen wir uns verteidigen? gegen wen?

Die gigantische Größe des NATO-Manövers mit 37.000 SoldatInnen und die Örtlichkeit entlang der Westgrenze Russlands stellte eine massive Provokation gegenüber Russland dar. 75 Jahre nach der Befreiung Europas vom Faschismus vor allem durch die Rote Armee sollten wieder NATO- darunter auch deutsche Soldaten mit Panzern an der russischen Grenze aufmarschieren! Die USA, Großbritannien und Frankreich hätten in diesem Jahr ein geschichtsvergessenes Signal an den ehemaligen Verbündeten aus der Anti-Hitler-Koalition gesendet.

Wir fordern: Entspannungspolitik und politische Konfliktlösungen statt militärischer Konfrontation! Kooperation mit Russland in einem gemeinsamen Haus Europa! Konsequente Abrüstung und Umverteilung der frei werdenden Mittel

  • ökologische Folgen: Abgesehen von der Belastung von Brücken und Straßen sowie Feldern durch Panzerbewegungen und Fahrzeugkolonnen werden durch das Militär der CO2-Ausstoß und weitere schädliche Emissionen dramatisch erhöht.

Vonseiten der Zivilgesellschaft gibt es Planungen für die Umwandlung des größten Europäischen Truppenübungsplatzes in der Lüneburger Heide in ein UNESCO Biosphärenreservat.

  • finanzielle Auswüchse: Ich zitiere aus dem Aufruf der Friedenskooperative: "... Betrug der Verteidigungshaushalt 2014 lediglich 32 Mrd. Euro, ist dieser inzwischen bei 45 Mrd. Euro angelangt. Geplant ist gar eine Erhöhung auf bis zu 70 Mrd. Euro. Dies würde der irrwitzigen NATO-Zielvorgabe entsprechen, 2% des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung auszugeben. Geld, das wir dringend im Gesundheitsbereich und anderen zivilen Bereichen benötigen! Der Bundeshaushalt 2020 verdeutlicht dieses: Die Ausgaben für Verteidigung machen rund 12% (45 Mrd. Euro) aus, die für Gesundheit lediglich 4 % (15 Mrd. Euro)."

Wir treten ein für Rüstungskonversion. Es gibt bereits Konzepte; wenn sie noch nicht weit genug greifen, muss in deren Weiter-Entwicklung Geld gesteckt werden und nicht in die Rüstungsindustrie. - Tatsächlich konnten wir Laien vor Kurzem erfahren, dass bei VW von einem Tag auf den anderen mit 3D-Druckern Schutzmasken hergestellt werden konnten. Warum sollte Ähnliches nicht in Rüstungsfabriken möglich sein?

Wir werden uns nicht an die schleichende Militarisierung der Gesellschaft gewöhnen. Bundeswehrwerbung auf Bussen, an Bushaltestellen, auf Ausbildungsmessen, im Outletcenter und auf Babykleidung lehnen wir ab! Wir möchten uns auch nicht durch
Burger-kauende SoldatInnen in der Bundesbahn den Tag verderben lassen und uns nicht an diesen Anblick gewöhnen!

Wenn überhaupt: SoldatInnen gehören in Kasernen - da sollen sie am besten auch bleiben!

Wir wollen nicht, dass mit unseren Steuergeldern die mörderischen Kriege finanziert werden, die unendliches Leid und lebenslange Traumatisierung der leidenden Bevölkerung hinterlassen. Wir stehen seit Jahrzehnten an der Seite der Geflüchteten hier in Wolfsburg und wissen, wovon wir sprechen.

Wir fordern: Grenzen auf für Menschen auf der Flucht! -Leave no one behind! Holt wenigstens die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen von den griechischen Inseln! Die jetzt lächerlich geringe Zahl von 50 Minderjährigen ist beschämend. Und sie sollen
noch auf die Länder verteilt werden - das kann ja wohl nur ein Anfang sein! Lokal ist - entsprechend der Veröffentlichung des Niedersächsischen Flüchtlingsrates - das Gebot der Stunde: Geflüchtete müssen endlich dezentral in bezahlbaren Wohnungen untergebracht werden!

Man stelle sich vor, dass in einer der Unterkünfte der Corona-Virus jemanden infiziert. Die Neuland, hier in Wolfsburg als fast 100%ige Tochter der Stadt, soll die Mieten von unterschiedlich großen Wohnungen senken.

 

Mechthild Hartung ist aktiv bei der VVN-BdA Wolfsburg.

 

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