ungehaltener Redebeitrag für den geplanten Ostermarsch in Cottbus am 13. April 2020

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreude,

marschieren wir gegen den Osten nein, marschieren wir gegen den Westen nein – wie oft in den letzten Jahren, ja Jahrzehnten haben wir es gesungen und gerufen und – ausgerechnet zum 60. Geburtstag der Ostermärsche marschieren wir nicht.

Und es ist richtig, dass wir nicht marschieren. Ich wünsche allen Kranken gute Besserung und uns, bleiben wir gesund – weltweit!

Uns muss die Gesundheit, das Leben eines jeden über alles gehen, deswegen engagieren wir uns für den Frieden und das Leben ist durch den Virus bedroht. Wir vergessen auch nicht die Millionen, ja Milliarden Menschen dieser Erde, die unter noch viel komplizierten Bedingungen diesem Virus trotzen müssen – ihnen gilt unsere Solidarität.

Auch für sie, für die globale Gerechtigkeit in Frieden werden wir 2021 zu Ostern sicher wieder auf den Straßen der Republik sein.

Aber wir sehen Maßnahmen der Regierungen durchaus kritisch und in einem größeren Rahmen, zu dem auch die Erkenntnis gehört, dass die ökonomische Rezession uns schon 2019 erreichte. Kam den Regierenden diese Virus Krise vielleicht gerade recht? Das Schüren von Angst und Verunsicherung hat auch etwas von Kriegshysterie, von Vermeidung einer rationalen kritischen Debatte. Die massiven und autoritären Einschnitte in elementare Freiheits- und Grundrechte bedeuten, die Grundlagen unseres zivilisierten Zusammenlebens, lange erkämpfte Freiheitsrechte, Selbstbestimmungsrechte, Minderheitenrechte zu zerstören.

Wir sehen einen rasanten Abbau demokratischer Rechte und Freiheiten und neue noch undemokratischen Gesetzesvorhaben.  Wir lehnen einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren grundsätzlich ab. Erst wird das Gesundheitswesen kaputt gespart, werden die MitarbeiterInnen in diesem so wichtigen gesellschaftlichen Bereich bis auf die Knochen ausgebeutet, bei schlechter Bezahlung, so dass sie entweder verzweifeln oder krank werden und dann wird uns die Bundeswehr als einzige Alternative zum Gesundheitsschutz und zur Rettung des Gesundheitswesens verkauft. Auf diesen dummen Trick der neoliberalen Ideologie fallen wir nicht herein. Erst alles ruinieren und dann nach dem Militär schreien.

Müssen als erstes nicht all die abtreten, die die jetzige Situation im Gesundheitswesen zu verantworten haben – Frau Merkel, Frau von der Leyen und Herr Spahn. Der Bertelsmann Stiftung mit seiner geradezu verbrecherischen Krankenhausstudie muss umgehend die Gemeinnützigkeit aberkannt werden.

Was wir jetzt sehen, ist das endgültige – unübersehbare und weltweite Desaster des neoliberalen Kapitalismus. Er zerstört die Gesellschaft, das humane Zusammenleben von Menschen, das Soziale, das Klima, die Umwelt, die Demokratie und den Frieden. Wir haben keinen Augenblick die 15 Kriege und die über 190 gewaltsamen Konflikte auf der Erde vergessen.

Wir wissen aus der Geschichte und aus unseren eigenen Erfahrungen: Kapitalismus in der Krise ist doppelt bedrohlich, verstärkt er doch Militarismus nach Innen und nach Außen. Dies gilt erst recht in einer weltweiten Krisensituation: das alte System mit der weltweiten Dominanz Europas und seiner Ausgründung in Amerika, besonders die USA, ist endgültig und unwiderruflich zu Ende. Das kann durch die Interventionskriege vielleicht aufrechterhalten aber nicht mehr gestoppt werden.

Diese Krise ist aber auch für uns als Friedensbewegte ungeheuer gefährlich bedeutet sie doch einerseits einen umfassenden Abbau grundlegender demokratischer Rechte, die wir wie die Luft zum Atmen brauchen und anderseits verschärfte Kriegsvorbereitung, Kriegseinsätze in der Welt und politische Konfrontation. Sind wir bei uns wirklich noch so weit entfernt von dem, was immer bei den „autoritären“ Staaten angeprangert wird?

Gerade auch nach Corona müssen wir uns auf innen- und außenpolitische Verschärfung einstellen. Das sogenannte Infektionsschutzgesetz in NRW, die permanenten Überwachung Gesetzesvorschläge sind nur erste Anzeichen. Neue erweiterte Notstandsgesetze drohen.

Nach außen wird je selbst bei Corona gehetzt, anders sind die Reden und Publikationen aus offizieller Politik und Medien zu Russland und China nicht zu interpretieren. Wir müssen weder Putin lieben noch das chinesische System für die höchste Entwicklung des gesellschaftlichen Fortschritts halten, als nicht zu wissen: hier wird Feindbildpropaganda getrieben, hier wird Verachtung ja Hass gesät, hier geschieht aktive Kriegsvorbereitung.

Materiell wird das verbale Säbelrasseln untermauert:

  • Durch das Marx sei Dank abgesagte bzw. reduziert Manöver Defender 2020. Dieses Manöver sollte seinen Höhepunkt an der russischen Grenze genau in den Tagen erreichen, in denen die Welt den 75 Jahrestages der Befreiung Europas und Deutschland vom Faschismus feiert. Wie Geschichtsvergessen, angesichts von 27 Millionen toter Bürger*innen und Soldat*innen der Sowjetunion.
  • Durch eine in der Geschichte der Bundesrepublik fast einzigartige. Aufrüstungswelle. 50 Milliarden plus für Rüstung ist eine international negative Spitzenposition und noch keiner aus der Regierung hat davon gesprochen, dass jetzt endlich das 2% Ziel aufgegeben werden muss.
  • Durch eine dramatische Militarisierung Europas. EU-Rüstungsetat, ein europäisches einzigartiges Kampfflugzeug, der neue europäische Panzer, EU- Kleinwaffen und Korvetten, Pesco und Rüstungsforschung. Die Liste der europäischen Rüstungssünden ist riesig und leider tut keiner über Ostern Abbitte dafür.
  • Durch eine immer wieder aufflammende Diskussion um den deutschen oder den europäisch deutschen Griff zur Atombombe. Jetzt endlich beschaffen „wir“ die neuen Bomber Eurofighter und F 18 für die neuen Atombomben auf deutschen Boden. Dieses sind strategische Waffen geeignet allein zum Krieg gegen Russland.
  • Rüstungsexport: Europa ist Platz 3 in der Welt. Die Scham muss einem ins Gesicht kommen, wenn wir überlegen, an welchen Kriegen europäische und deutsche Waffen täglich töten: Jemen sei nur als geradezu widerlichster Hinweis erwähnt.

Ostern 2020 stellt uns alle, persönlich, zwischenmenschlich und politisch vor eine besondere, ja neue Situation.

Wir wissen: viele alte Wahrheiten sind nicht mehr gültig, wir wissen, vieles muss neu entwickelt werden, neue Antworten auf neue Herausforderungen der großen Politik und der kleinen Auseinandersetzung sind gefordert.

Es bleibt aber richtig und wahr: Krieg und Atomwaffen sowie Militarismus lösen keine Probleme, sie beseitigen weder soziale Ungleichheiten, nicht Hunger und Armut.

Rüstung besiegt niemals den Klimawandel, sondern verschärft ihn.

Rüstung tötet täglich, durch Mord und Geldverschleuderung.

Deshalb ist Abrüstung, ist die Bereitstellung der weltweiten 1,8 Billionen US Doller Rüstungsausgaben für Gesundheit, Umwelt, Bildung und Klima die Herausforderung unserer Zeit. Das Teufelszeug Atomwaffen muss verschwinden.

Wir versprechen: Wir kommen wieder, auf die Plätze und Straßen der Republik: Frieden braucht Bewegung, schon im Herbst 2020. Wir sehen uns bei den Ramstein Protesten in Berlin Ende September.
 

Reiner Braun ist Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros (IPB).

 

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