ungehaltener Redebeitrag für den geplanten Ostermarsch in Ellwangen am 11. April 2020

[Redebeitrag als Video siehe hier]

 

Liebe Menschen in Nah und Fern,

wir schreiben das Jahr 2045. Unendliche Freude. Die Atommächte verkünden bei der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag feierlich, ihre letzten jeweils 10 Atomsprengköpfe in ihrem Besitz im Laufe des Jahres zu verschrotten. Das Ende des Atomzeitalters ist endgültig eingeläutet. Mit dabei: ein paar Veteranen der internationalen Friedensbewegung, die bereits über 50 Jahre auf diesen Schritt hingearbeitet haben.

Damit ist das umgesetzt, was die UNO in ihrer allerersten Resolution Hundert Jahre zuvor eingefordert hat: die Abschaffung aller Atomwaffen. Seit dem UN Beschluss zum Verbot von Atomwaffen 2017 und dem Friedensnobelpreis für die internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen ICAN hatte es eine nicht aufzuhaltende Dynamik gegeben.

Nur wenige Jahre zuvor hat Deutschland in Kooperation mit anderen Ländern komplett umgestellt auf eine nachhaltige zivile Sicherheitspolitik.

Es wurde wochenlang getanzt, gelacht. Ein Meer voll Liebe und Freude. Was auch die Geburtenrate steigen ließ.

Vorausgegangen war die einschneidende Erkenntnis in allen Teilen der beteiligten Gesellschaften, dass die weltweiten ökologischen, politischen und sozialen Herausforderungen und Konflikte sich mit militärischen Mitteln nicht nachhaltig lösen ließen.

Während einer langen Phase des Innehaltens 2020, ausgelöst durch die Pandemie des Corona Virus, konnte die Bildungskampagne „Sicherheit neu denken“ mit vielen Organisationen der Zivilgesellschaft immer mehr Menschen in Deutschland davon überzeugen, dass wir statt einer stärkeren militärischen Durchsetzung unserer Interessen einen Umstieg in jeder Form benötigen würden. Von militärischer zu ziviler Sicherheitspolitik.

Dieser massive Bewusstseinswandel kam nicht von irgendwo her.

2020 war nicht nur ein Jahr des Innehaltens sondern auch der Rückbesinnung.

150 Jahre Beginn des deutsch-französischen Krieges in Zeiten ständig neuer Kriege in Europa.

75 Jahre Ende des zweiten Weltkrieges.

75 Jahre Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki.

75 Jahre Gründung der UNO.

Mit einer klaren in der Präambel niedergeschriebenen Überzeugung:

"Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen,
künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat,
unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen,
Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können,
den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern“

Ende Zitat Präambel.

5 Jahre Beschluss der Sustainable Development Goals, der Nachhaltigkeitsziele, der UN.

2020 wurde zum unverrückbaren Wendepunkt. Die vielen Zeugnisse all jener im Ohr, die ihre leidvollen Erfahrungen von Krieg und (atomarer) Gewalt eindringlich und tagtäglich berichten konnten. Und nichts mehr dabei verdeutlichten als die tiefe Sehnsucht nach Frieden und Sicherheit für alle Menschen auf diesem wunderbaren Planeten.

In diesen Monaten der Einschränkungen setzte sich die Erkenntnis durch, dass uns die Magie des Frühlings so viel Kraft und Halt geben würden. Dass wir viel mehr starke Menschen brauchten, die noch viel mehr Fragen stellen und sich vernetzen würden, anderen den Rücken stärken, die Achtung von Mensch und Natur ins Zentrum allen Tuns stellen. Und damit eine neue Zeitenwende vorbereiten, in der das Mitgefühl und die Solidarität, die Liebe und das Vertrauen im Mittelpunkt stehen. Die aktive Gewaltfreiheit und absolute Nachhaltigkeit.

Aus wenigen Aktiven und etlichen Sensibilisierten wurde eine starke Bewegung für notwendige Veränderungen auf allen Ebenen. National wie international.

Für die Priorisierung und damit auch finanziellen Stärkung der Gesundheits- Sozial- und Umweltprogramme sowie dem Ausbau nachhaltiger, digitaler Bildung. Bei gleichzeitiger Reduzierung der Militärausgaben.

Endlich setzte sich die Erkenntnis durch, dass Europas Aufgabe und Chance es sei, die Struktur und Kultur ziviler, gemeinsamer Sicherheitspolitik in die globalen Beziehungen zu tragen.

Die notwendigen Schritte und Etappen auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die auf Gewaltprävention und Kooperation setzt, wurden klar skizziert:

1. Entwicklung einer starken Demokratie, die Krisen zivilisiert bewältigt,

2. ökologisch, sozial und wirtschaftlich gerechte Außenbeziehungen,

3. Förderung nachhaltiger Entwicklung der EU-Anrainerstaaten,

4. Investitionen in eine starke UNO und OSZE-Präsenz statt in die Bundeswehr,

5. Konversion von Bundeswehr und Rüstungsindustrie.

Auf einmal standen nicht mehr die ständigen Kriege im Mittelpunkt der Aufklärung sondern die wichtigen und weitaus prägenderen Erfahrungen gewaltfreier Konfliktbearbeitung und zivilen Lösungen. Sowie den Vorbildern, die in den 2.000 Jahren zuvor in vielen Bereichen als Symbolfiguren dafür einstanden, u.a.:

  • Jesus;
  • Bertha von Suttner als erste Frau, die den Friedensnobelpreis erhielt;
  • der württembergische Pfarrer Otto Umfrid, der 1914 für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde und dessen 100. Todestag 2020 begangen wurde;
  • Mahatma Gandhi, dessen Enkel Arun in jenem Jahr mit einer Deutschlandreise für Furore sorgte;
  • Martin Luther King („I have a dream“);
  • John Lennon („Imagine there´s no countries. It isn´t hard to do. Nohting to kill or die for and no religion too. Imagine all the People living life in peace“);
  • Joan Baez;
  • die BürgerrechtlerInnen in Osteuropa der 1980er Jahre;
  • der Dalai Lama;
  • die ICAN Direktorin Beatrice Fihn.
  • Und viele Menschen jeweils an ihrer Seite.

Im März 2020 forderte der UN Generalsekretär Gutierrez angesichts des Virus einen weltweiten Waffenstillstand und sorgte damit für großes Aufsehen. Er ergänzte: „Beendet die Seuche namens Krieg und bekämpft die Krankheit, die unsere Welt verwüstet. Bringt die Waffen zum Schweigen, stoppt die Artillerie, beendet die Luftangriffe.“

Entwicklungen in der Menschheit brauchen ihre Zeit. Es braucht Geduld, Zuversicht, Hoffnung, den unbedingten Glauben und Willen zur Veränderung, Leidenschaft, die ansteckt, und einen langen Atem.

Gemeinsam hat die weltweite Zivilgesellschaft bereits so viel erreicht, trotz aller Rückschläge.

Ostern lädt traditionell zur Umkehr ein, heuer in ganz besonderer Weise.

Lasst uns den Fokus auf uns und unsere Kraft, die Ermutigungen und den Glauben richten, was wir mit selbstbewusster Gewaltfreiheit und Vernunft alles erreichen können. Lasst uns an das scheinbare Unmögliche glauben, wie ich es aus Sicht des Jahres 2045 beschrieben habe. Lasst uns bereit stehen, als Mensch und Gemeinschaft dieses scheinbar Unmögliche vorzubereiten und zu leben. Eine Welt ohne Atomwaffen, eine Welt ohne Rüstung und Krieg ist möglich.

Danke.

 

Roland Blach ist Geschäftsführer DFG-VK Baden-Württemberg.

 

[Archiv der ungehaltene Reden]
[zurück zum virtuell Ostermarsch]