ungehaltener Redebeitrag für den geplanten Ostermarsch in Bremerhaven am 11. April 2020

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, sehr geehrte Damen und Herren,

wegen der Coronakrise muss ich mich digital an euch wenden. In diesen Tagen überschattet das Coronavirus unser Leben in einem Maß, dass bei vielem anderen nicht so genau nachgefragt wird. Zwar hatte das Coronavirus auch Auswirkungen auf die Militärübung Defender Europe 2020, aber völlig abgesagt wurde sie eben nicht.

General Tod Wolters, Kommandeur des U.S. European Command, hat noch in einer Pressekonferenz am 20. März hervorgehoben, dass man mit den 5000 bis 6000 US-Soldaten, die schon nach Europa gekommen waren, möglichst viele der mit Defender 2020 verfolgten Ziele umsetzen will. Er spricht von einer Zielerreichung von 40 %. Zwar bleibt die Truppenstärke damit unter den angestrebten 17000, aber es sind mehr, als bei dem Manöver Atlantic Resolve 2017 nach Europa kamen, das seinerzeit die größte Militärübung seit Ende des (alten) Kalten Krieges war. Und es bleiben Fragen: Wird das Gerät, das über Bremerhaven nach Europa kam, auch wieder zurückgeschafft oder bleibt es hier und vergrößert das Bedrohungspotential gegen Russland?

Wie immer, wenn Militärausgaben oder militärische Interventionen gerechtfertigt werden sollen, brauchen die Regierungen, die sie beschließen, Feindbilder. Der Feind ist dann immer so beschaffen, dass Verhandlungen mit ihm nicht möglich sind. Bei der Schaffung von Feindbildern sind in der Vergangenheit auch Werbeagenturen herangezogen worden, so die einflussreiche amerikanische PR-Firma Ruder Finn, die in den 1990er Jahren das Feindbild der unmenschlichen Serben aufgebaut hat und damit den Einsatz der NATO im Jugoslawienkrieg 1999 propagandistisch vorbereitet hat; so auch die amerikanische PR-Agentur Hill & Knowlton, die von der im Exil befindlichen kuwaitischen Regierung bezahlt worden war, um die Rückeroberung Kuwaits, das 1990 vom Irak besetzt worden war, durch US-Militär propagandistisch vorzubereiten. Erst nach dem Krieg stellte sich heraus, dass die junge Frau, die im Fernsehen unter Tränen berichtet hatte, sie sei als Hilfskrankenschwester Zeugin geworden, wie irakische Soldaten Neugeborene aus Brutkästen genommen hätten, um sie zu töten, dass diese junge Frau die fünfzehnjährige Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA war. Ihr Bericht war frei erfunden und die Jugendliche hatte dort nie gearbeitet. Übrigens nachzulesen bei Wikipedia unter „Brutkastenlüge”.

Wer sich daran erinnert, fragt vielleicht auch nach, was es mit den Feindbildern Russland und China auf sich hat und ob es nicht für das Messen mit zweierlei Maß spricht, wenn die NSA die ganze Welt ausforscht, aber Huawei wegen der Spionagegefahr vom Ausbau des G5-Netzes ausgeschlossen werden soll oder wenn die USA fast 1000 Militärstützpunkte überall auf der Welt unterhält, aber darüber Klage führt, dass die chinesische Militärpräsenz im Chinesischen Meer zugenommen habe.

Zur Frage, wie erfolgreich militärische Interventionen im Sinne ihrer proklamierten Ziele wirklich waren, wird man allerdings wenig finden. Ist Libyen jetzt demokratischer als zu der Zeit, als es von Gaddafi regiert wurde, geht es den Menschen dort jetzt besser? Und wie sieht es im Irak oder in Afghanistan aus? 

Der sich anschließenden Frage, warum trotz dieser Misserfolge weiter Aufrüstung betrieben wird, kommt man näher, wenn man sich ansieht, um welche Umsätze der Rüstungsindustrie es geht. Ohne Kriege und ohne Feindbilder gäbe es keinen Waffenhandel – und der ist ein gutes Geschäft. Für 2017 schätzt SIPRI, das Stockholmer Friedensforschungsinstitut, den Umfang des weltweiten Waffenhandels auf 95 Milliarden US-Dollar. Davon entfällt rund ein Drittel auf die Rüstungskonzerne der USA. Und dazu noch aus einem Bericht des Center for International Policy vom Juli 2019: Auf die vier Firmen Raytheon, Lockheed Martin, Boeing, und General Dynamics entfallen 90 % der Waffenverkäufe an Saudi-Arabien im Gesamtwert von mehr als 125 Milliarden Dollar. Eine weitere Erhöhung der Rüstungsausgaben, wie sie ja mit der 2 %-Forderung verbunden ist, würde den Umfang des Waffenhandels noch weiter steigern und damit auch die Umsätze insbesondere der US-Rüstungskonzerne, die natürlich auch an der Ausrüstung der US-Army verdienen.

Etwa 1,5 Milliarden Euro sollten 2019 vom Bund für Wehrwissenschaftliche Forschung ausgegeben werden. Darüber hinaus finanziert der Bund Waffenforschung, die die Rüstungsindustrie betreibt, indem er ihr die Waffensysteme abkauft. Demgegenüber stehen 1,3 Milliarden die der Bund für Geisteswissenschaften, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ausgibt. Da Friedens- und Konfliktforschung davon mitbezahlt werden, kann man sagen, dass für Militärforschung deutlich mehr ausgegeben wird als für Friedens- und Konfliktforschung – dass also eine Forschung, die hilft, das Recht des Stärkeren durchzusetzen, höher dotiert wird als eine Forschung, die die Ursachen von Konflikten untersucht und auf Interessenausgleich angelegt ist.

Was das Recht des Stärkeren betrifft: In der Bundeswehr lassen sich Rechtsradikale an Waffen ausbilden. Ich finde das angesichts von deren Gewaltbereitschaft ausgesprochen gefährlich. Die über 500 Verdachtsfälle, die kürzlich genannt wurden, mögen bezogen auf die Gesamtstärke der Truppe nicht viel sein, aber ich vermisse Vollzugsmeldungen – wie viele wurden aus der Truppe entfernt, wie viele rehabilitiert oder auch wie viele neue Verdachtsfälle sind hinzugekommen.

Eines hat die Corona-Krise gezeigt: Die gesundheitliche Bedrohung ist viel größer als die militärische. Insofern waren die Prioritäten falsch gesetzt. Und man sieht, wie berechtigt die Forderung in unserem Ostermarschaufruf ist:

  • Wir fordern eine massive Reduktion der Rüstungsausgaben und stattdessen höhere Investitionen in Klimaschutz, Bildung, Gesundheit und Soziales 

Und sie hat auch gezeigt, dass viele Betriebe in der Lage sind, ihre Produktion so zu ändern, dass sie bei der Bekämpfung der Gefahr durch Corona-Viren hilft. Schon in der Vergangenheit gab es Ideen für Konversionen in der Rüstungsindustrie:

  • Wir fordern das Verbot des Waffenexports, die Umwandlung der Rüstungsproduktion in eine sinnvolle zivile. 

Ich zitiere zum Schluss die weiteren Forderungen unseres Ostermarschaufrufs:

  • Wir fordern respektvolle Entspannungspolitik und Beendigung des Kalten Krieges gegen Russland und China 
  • Wir fordern Beendigung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr 
  • Wir fordern den Abzug der US-Atomwaffen aus Büchel und die Unterzeichnung des UN- Atomwaffenverbots durch Deutschland.

Unser Aufruf schloss mit dem Appell:

Macht Bremerhaven zu einem Hafen des Friedens: Verbot der Waffen–, Munitions- und Militärtransporte über die Häfen in unserer Stadt.
Wir fordern die Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven und die Bremer Bürgerschaft auf, sich hierfür einzusetzen. 

Wir rufen auch andere Hafenstädte auf, unsere Initiative aufzugreifen. 

 

Werner Begoihn ist aktiv bei der Bremerhavener Initiative "Mut zum Frieden".

 

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