Redebeitrag für die Antikriegstagveranstaltung am 1. September 2020 in Stuttgart

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir stehen heute hier an diesem Mahnmal für die Opfer des Faschismus um an das bisher größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte zu erinnern: Den II. Weltkrieg, den der deutsche Faschismus am 1. September mit dem Überfall auf Polen planvoll begann - lange und gezielt vorbereitet als Vernichtungs und Eroberungskrieg und im vollen Bewußtsein der Monstrosität des geplanten Verbrechens.

Es forderte schließlich 60 Millonen Todesopfer, und Millonen verstümmelte, zerbrochene und verzweifelte Menschen und unfassbare Zerstörung.

Dieser Krieg müsste eigentlich der Menschheit für alle Zeiten jeden Gedanken an Krieg und Militär ausgetrieben haben.

Hat er aber nicht.

Wir haben eben von Host Schmitthenner erfahren, dass Krieg und Kriegsvorbereitung in der internationalen Politik Konjunktur haben und wir erfahren es täglich beim Blick in die Nachrichten.

Es sind nicht oder nicht immer die „anderen“, die Krieg vorbereiten und führen, nicht die „Schurkenstaaten“, „autoritäre Regimes“, „Diktatoren“, „Autokraten“ „Machthaber“ oder wie unfreundlich sie auch immer genannt werden.

Nein, Das größte und mächtigste und militärisch aktivste Kriegsbündnis dieser Welt heißt NATO. … 900 Milliarden Euro gaben die Staaten der sogenannten „westlichen Wertegemeinschaft“ 2018 für Militär und Waffen aus. 71 % davon allein die USA. Das ist viermal soviel wie Russland und China zusammen.

Es sind auch nicht nur diese gigantischen Ausgaben für Krieg und seine Vorbereitung, die uns für soziale Aufgaben, die Umwelt, zur Bekämpfung von Krankheit und Armut, für Bildung und die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft fehlen.

Es sind vor allem die politischen Taten dieses Kriegsbündnisses und seiner Mitgliedsstaaten, die uns Angst machen.

1999 begann die sogenannte NATO-Osterweiterung. Seither wurden 3 Staaten der ehemaligen Sowjetunion, 5 Staaten des ehemaligen Warschauer Vertrages, und 5 Staaten der Balkanhalbinsel also insgesamt 13 neue Staaten in die NATO aufgenommen. Damit ist sie – entgegen aller früheren Versprechen - unmittelbar an die russische Grenze expandiert.

Das reicht wohl noch nicht: Die aktuellen Beitrittskandidaten zur NATO sind Bosnien, das Kosovo, (und wer am Sonntag den Tatort aus Wien gesehen hat, der merke auf!) Serbien, (das vor 21 Jahren förmlich auf den Weg zur NATO gebombt wurde), die Ukraine und Georgien.

Die letzte dann verbleibende Lücke zwischen NATO und Russland ist dann Belarus. Dort steht seit der Wahl, die nicht so ausgegangen ist oder nicht so ausgezählt wurde, wie erhofft ein Regimewechsel auf der Tagesordnung.

Seit 2004 hat die EU Sanktionen gegen dieses Land verhängt, die jetzt verschärft wurden. 53 Millionen stellt sie ab sofort für die dortige Zivilgesellschaft zur Verfügung.

Ein Schuft sei, wer dabei an die Farbrevolutionen in Serbien, in Georgien, in der Ukraine, wer an westliche Geheimdienste oder gar an die dort vorausgehenden oder nachfolgenden Kriege und Bürgerkriege denkt!

Etwa seit der Zeit, in der die Einkreisung Russland durch die NATO begann, wurden und werden nach und nach alle bisher bestehenden Rüstungskontrollverträge von den USA gekündigt oder in Frage gestellt.

Bereits im Jahre 2001 der ABM Vertrag zum Verbot der Raketenabwehr, der das sogenannte „Gleichgewicht des Schreckens“ bewahren, also jeden Atomwaffeneinsatz mit dem Risiko des eigenen Untergangs verbinden sollte.

2019 folgte der INF-Vertrag, der die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen verbot. Eine mächtige europäische Friedensbewegung hatte sich dafür in den 80er Jahren stark gemacht, weil die geplante Stationierung einen auf Europa begrenzbaren Atomkrieg führbar machen sollte.

In diesem Jahr wurde der Open Sky Vertrag, der gegenseitige Luftüberwachung zur Vertrauensbildung ermöglichte, von den USA gekündigt.

Der allerletzte Vertrag eines früheren Rüstungskontrollsystems ist der NEW Start Vertrag

Er begrenzt die Zahl der einsatzbereiten atomaren Interkontinentalwaffen der beiden mit Abstand größten Atommächte Russland und USA. Der Vertrag läuft 2021 aus.

Zu befürchten steht, dass seine von Russland gewünschte Verlängerung an der US Forderung scheitert, auch China in den Vertrag einzubeziehen.

China ist das zweite große Land, die zweite Atommacht, die derzeit Opfer dieser globalen, aggressiven Einkreisungsstrategie ist.

Auch dabei geht es nicht nur um Sanktionen, Wirtschaftsblockaden und Wirtschaftskriege. Die sind in ihren Folgen für die betroffenen Bevölkerungen schon schlimm genug.

Es geht auch bei China um einen militärischen Aufmarsch.

Das Manöver Defender 20 bei dem in diesem Jahr der Aufmarsch einer kompletten US-Panzerdivision vom Atlantik an die russische Grenze geübt wurde ist nicht komplett, aber zu großem Teil der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen. Gut so!

Aber dieses Manöver sollte nur der Auftakt sein, für künftig jährliche globale Militärmanöver. Ihr Schwerpunkt soll im jährlichen Wechsel mal an der russischen Grenze, mal im und um das südchinesische Meer liegen.

Auch wenn es nicht in Deutschland und Europa stattfindet, lasst uns uns auch diesem Manöver entgegen stellen.

Diese offen aggressiven konventionell militärischen Aufmärsche, das laufende Modernisierungsprogramm für alle Arten von Atomwaffen – die USA haben dafür in den nächsten 30 Jahren 1,2 Billionen Dollar vorgesehen - und die Kündigung der atomaren Rüstungskontrollverträge stehen in einem engen Zusammenhang:

Um ihren bedrohten Status als dominierende Weltmacht zu verteidigen, setzen die USA und die mit ihnen verbundene westliche Wertegemeinschaft, auf das, was sie vor allen wirtschaftlichen Konkurrenten auszeichnet: ihre konkurrenzlose Militärischen Fähigkeiten.

Oder anders gesagt: Wir stehen wieder da, wo wir in den 80iger Jahren standen:

Nämlich vor der Aufgabe zu verhindern, dass ein Atomkrieg wieder als begrenzbar, führbar und damit gewinnbar gedacht und vorbereitet werden kann.

 

Liebe Freundinnen und freunde,

lasst mich noch ein paar Worte zu Stuttgart sagen Die USA haben angekündigt 12000 Soldaten aus Deutschland abzuziehen. Die Stuttgarter US- Komandozentrale EUCOM soll zum Natohauptquartier nach Belgien und das Africom an einen noch unbekannten Ort verlegt werden.

Wir wissen, dass dies keine Abrüstungsmassnahme ist, sondern eine strategische Umgruppierung.

Rhetorisch wird dies als Strafmassnahme gegen den NATO-Verbündeten Deutschland ausgegeben, weil dieser angeblich nicht genug Geld für die Rüstung aufbringt.

Das ist auch ein Kompliment an uns die Friedensbewegung: Schließlich haben wir einiges dafür getan, dass der deutsche Rüstungshaushalt nicht wie von vielen gewollt und geplant in noch größere Höhen schießen kann.

Die Schließung von Eucom und Africom ist eine große Freude und Chance für Stuttgart: Damit werden erschlossene Flächen für bezahlbare Wohnungen endlich frei.

Beschämend ist nur, dass sich Gemeinderat und Oberbürgermeister nie getraut haben, die Schließung dieser Mordzentralen zum Wohle Stuttgarts und der Welt zu fordern.

Wie haben sie die US Militärs hofiert, wie haben sie sich geziert, sich der Forderung der Friedensbewegung nach Auflösung von EUCOM und Africom anzuschließen.

Was für ein Affentanz. Jetzt stehen sie blamiert da. Den US Militärs geht die beschworene Verbundenheit mit der Stadt Stuttgart mitsamt OB und Gemeinderat einfach am Arsch vorbei.

Aber die Truppenreduzierung in Deutschland bedeutet keine Erleichterung für Europa und die Menschheit: Das Africom wird weiterhin Drohnenmorde steuern, Das EUcom wird weiterhin Atom – und andere Kriege planen. Und ob der atomare Gegenschlag nun als erstes in Stuttgart oder Brüssel oder Mons einschlägt bedeutet nur einen kurzen Unterschied beim Todeszeitpunkt.

Zeit also, dass OB Kuhn, der erfreulicherweise den ICAN – Städteappell zum Beitritt Deutschlands zum Atowaffenverbotsvertrag unterschrieben hat und zu Majors for peace gehört, diese von ihm eingegangene Verpflichtung ernst nimmt und öffentlich dazu steht. Jetzt gilt es den Atomwaffen Verbotsvertrag zu unterzeichnen und durchzusetzen.

Für Stuttgart, Für Europa, für die Welt!

Das sei auch seinem demnächst zu wählenden Nachfolger mit auf den Weg gegeben und Euch allen mit ins Wahllokal!!

 

Liebe Freundinnen und Freunde

Die Friedensbewegung steht angesichts dieser bedrohlichen Situation vor einer großen Herausforderung:

Nach allen Umfragen befürwortet eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland ihre wichtigen Forderungen für Frieden Abrüstung. Diese Forderungen sind in Köpfen, – aber nicht oder bei weitem nicht ausreichend auf der Strasse.

Dagegen sehen wir mit staunendem Entsetzen wie sich die Straßen mit Menschen füllen, die ihre Unzufriedenheit über die Corona Pandemie und den Umgang mit ihr teilen mit Menschen, die schon mal die Reichs-kriegs-flagge auf den Stufen des Reichstags schwenken.

Dieses Mahnmal für die Opfer des Faschismus hier gebietet uns zweierlei:

Nie wieder Krieg!

und:

nie wieder ein menschenfeindliches System das auf Rassismus, Unterdrückung und Gewalt setzt um grenzenlosen Profit abzusichern.

Die Ereignisse allein der letzten Monate: in Hanau, Halle und Kassel, aber auch die Enthüllungen über rassistisch - faschistische Vernetzungen und Aktivitäten bei Polizei und vor allem der Bundeswehr machen deutlich:

Der Kampf für Frieden ist nicht zu trennen vom Kampf gegen Faschismus.

Deshalb noch eine kurze Bemerkung in quasi eigener Sache:

Solange ich in der Friedensbewegung aktiv war – und das ist sehr lange – war ich aktiv in der VVN-Bund der Antifaschisten.

Immer hat diese, meine Organisation die Friedensbewegung und den Kampf für Frieden, Abrüstung und Verständigung vorbehaltslos und selbstlos unterstützt und mitgetragen und sie wird es weiter tun.

Jetzt hat das Finanzamt Berlin der Bundesvereinigung der VVN die Gemeinnützigkeit entzogen.

[Das ist in den achtziger Jahren schon mal in Baden Württemberg geschehen: Damals wurde der VVN vorgehalten, dass sie den Kampf gegen die Stationierung Atomarer Raketen an der Seite der Friedensbewegung unterstütze.

Damals konnte dieser Angriff aufgrund breiter, sehr breiter Solidarität und Unterstützung auch und besonders durch Mitglieder der SPD, der Grünen und Gewerkschaften zurück gewiesen werden. ]

Wie es aussieht, ist der heutige Angriff auf die VVN politisch geduldet und letztlich also gewollt – sowohl vom Bundesfinanzministerium, das vom SPD Kanzlerkandidaten Scholz verantwortet wird, als auch vom Berliner Senat, einer Koalition aus Grünen, SPD und der Linken.

Was aber politisch gewollt ist, kann politisch auch verhindert werden.

Ich bitte Euch, in dieser Sache erneut um Unterstützung: Wo immer ihr politisch aktiv seid: fasst Beschlüsse der Solidarität, wendet Euch an Eure Abgeordneten, an die oberen Gremien Eurer Organisationen, macht einfach soviel politischen Wirbel wie möglich. und unterschreibt selbst die Petition, die hier am Infotisch ausliegt.

Danke.

Es bleibt dabei:

Nur gemeinsam können wir etwas bewegen.

Macht die Friedensbewegung stark.

Oder um es mit Bertold Brecht zu sagen:

Und doch wird nichts mich davon überzeugen, dass es aussichtslos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen.

Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen,

damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde!

Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!

Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.

 

Dieter Lachenmayer ist aktiv bei der VVN-BdA BaWü in Stuttgart.