Redebeitrag für die Antikriegstagveranstaltung am 1. September 2020 in Hamburg

 

- Sperrfrist: 1.9., Redebeginn: ca 16 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich danke dem Hamburger Forum und dem Verdi Arbeitskreis Frieden sehr herzlich für die Einladung! Gemeinsam mit Euch und vielen anderen Hamburger Friedensaktiven haben wir erreicht, dass sich die Hamburger Bürgerschaft dem ICAN Städteappell angeschlossen hat. Lasst uns überlegen, wie wir gemeinsam weitergehen können. Damit es nicht bei einem gut klingenden Beschluss bleibt, sondern damit aus Hamburg konkrete Impulse ausgehen.

Mit den Stimmen aller Fraktionen außer der FDP und der AFD hatte die Bürgerschaft am 12.Februar diesen Jahres beschlossen: „Als Abgeordnete wirken wir auf die Unterzeichnung und die Ratifizierung des Vertrags für ein Verbot von Atomwaffen hin, da wir die Abschaffung von Atomwaffen als hohes globales öffentliches Gut begreifen und als einen wesentlichen Schritt zur Förderung der Sicherheit und des Wohles aller Völker. ... Die Bürgerschaft teilt die tiefe Sorge über die katastrophalen humanitären Auswirkungen jeglichen Gebrauchs von Atomwaffen und erkennt die dringende Notwendigkeit an, diese unmenschlichen und abscheulichen Waffen zu vernichten.“

Es ist das Wissen über die katastrophalen humanitären Auswirkungen von Atomwaffen das dazu geführt hat, dass eine große Mehrheit der Staatengemeinschaft der Welt am 07.Juli 2017 den Atomwaffenverbotsvertrag beschlossen hat.

Eine einzige moderne Atomwaffe könnte, über einer großen Stadt abgeworfen, sofort über eine Million Menschen töten. Die Temperaturen im Zentrum der Explosion würden das Mehrfache der Sonnenoberfläche betragen, die gigantische Druckwelle würde Feuerstürme erzeugen, die sich mit mehrfacher Hurrikan-Geschwindigkeit über ein Gebiet von vielen Quadratkilometern ausbreiten würden. Menschen, Tiere, Häuser und alles Brennbare würden zu Asche. Ein Großteil der Überlebenden würden in den folgenden Wochen an der akuten Strahlenkrankheit und an Infektionen sterben.

Vor einigen Jahren hatte ich die Gelegenheit, bei einem Gespräch zwischen Überlebenden des Hamburger Feuersturms und Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki dabei zu sein. Was mich besonders erschüttert hat, war die absolute Unerwartetheit, mit der die Katastrophe in den Alltag ganz normaler Menschen eingeschlagen ist: Von der damals 13-jährigen Hamburgerin Lisa Schomburg die im Sommer 1943 mit einer Freundin heimlich mit der S Bahn von Wilhelmsburg nach Hamburg gefahren war um Zigaretten zu kaufen und in der „Operation Gomorrha“ unter dem Pressehaus am Speersort verschüttet wurde, bis zu Setsuko Thurlow, die für ICAN und das Erreichen des Atomwaffenverbotsvertrags den Friedensnobelpreis entgegennahm, weil sie für die Abschaffung von Atomwaffen kämpft, seit ihre große Schwester und deren 4-jähriger Sohn in Hiroshima verbrannt sind.

Es sind die Geschichten der Überlebenden, die das Dogma der Sicherheit durch atomare Abschreckung überwinden können und Atomwaffen als das zeigen, was sie wirklich sind: Waffen, die gebaut wurden um Millionen von Menschen zu töten.

Viele der Überlebenden sind inzwischen gestorben. Deshalb müssen jetzt wir und gerade heute, 75 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges und 81 Jahre nach dem Überfall auf Polen, ihre Geschichten weitertragen und deutlich machen:

  • Das für Unvorstellbar gehaltene kann jederzeit passieren. Solange es Atomwaffen gibt besteht die Gefahr ihres Einsatzes.
  • Wir haben aus der Geschichte gelernt, dass Konformität mit der herrschenden Macht und fehlendes selbstständiges Denken und Handeln zu grausamsten gesellschaftlichen Fehlentwicklungen führen kann.
    Wenn Heiko Maas sagt, wir als Deutsche dürften „nie wieder einen Sonderweg gehen, denn man hätte ja gesehen wohin das führt“ und damit begründet, dass Deutschland nicht dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten kann sondern sich unseren „Partnern“ das heißt den USA und den anderen Atomwaffen und NATO-Staaten anschließen muss, die für ihre Sicherheit auf Atomwaffen setzen, dann müssen wir ihm mit aller Deutlichkeit widersprechen. Der Atomwaffenverbotsvertrag ist Ausdruck des demokratischen Willens der großen Mehrheit der Staatengemeinschaft, die sich nicht länger tagtäglich von wenigen Ländern mit Vernichtung bedrohen lassen wollen. Es sind die Atomwaffenstaaten, die im Namen der Macht die Menschheit mit Angst und Tod und Vernichtung bedrohen, die den Sonderweg eingeschlagen haben.

Hamburg ist das 4. Bundesland, das sich dem ICAN Städteappell angeschlossen hat. Außerdem sind 96 Städte und Gemeinden dabei, darunter alle Landeshauptstädte. Eine aktuelle Umfrage von Greenpeace zeigt, dass 92% der Deutschen den Beitritt zum UN Atomwaffenverbot fordern.

Trotzdem hält die Bundesregierung an ihrer Ablehnung des Atomwaffenverbotsvertrags fest. Als Begründung nennt das Auswärtige Amt, dass die Atomwaffenstaaten das Atomwaffenverbot bisher ablehnen, dass ohne sie jedoch keine Abrüstung möglich sei und dass das Atomwaffenverbot das bestehende Abrüstungsregime schwäche. Diese Argumentation hält einer Prüfung nicht stand: Das bestehende Abrüstungsregime hat weder die Weiterverbreitung von Atomwaffen in immer mehr Länder noch die erneute Aufrüstungswelle verhindert. Zwar wurde die Zahl der Sprengköpfe seit Ende des kalten Krieges verringert; es gibt jedoch immer noch genug Atomwaffen, um die Erde mehrfach zu zerstören. Zwischen den USA und Russland stehen nach wie vor Atomwaffen auf höchster Alarmstufe und sind innerhalb von Minuten abfeuerbereit. Experten halte die Situation heute sogar für noch gefährlicher als zu Hochzeiten des kalten Krieges, da es die Kommunikationskanäle, die nach der Kubakrise zwischen den USA und Russland eingerichtet wurden, größtenteils nicht mehr gibt. Auch die großen Errungenschaften der Entspannungspolitik und der Friedensbewegung sind fast alle nur noch Geschichte: Der ABM Vertrag und der INF Vertrag, der ein Wettrüsten in Europa verhindern sollte und zuletzt auch der Open Skies Vertrag wurden durch die USA gekündigt. Der letzte Vertrag zur Begrenzung des Wettrüstens zwischen den USA uns Russland läuft Anfang nächsten Jahres aus und es ist mehr als fraglich, ob eine Verlängerung verhandelt wird.

Deshalb haben sich die Nicht-Atomwaffen-Staaten zusammengeschlossen um mit dem Atomwaffenverbot eine internationale Ächtung von Atomwaffen zu erreichen. Andere Kampagnen zum Verbot von Massenvernichtungswaffen wie Chemie- und Biowaffen sowie Land- und Streumunition haben bewiesen, dass der Ächtungsprozess funktioniert. Auch hier waren Anfangs nur wenige Staaten dabei, der wachsende Druck hat jedoch dazu geführt, dass sich nach und nach immer mehr Staaten angeschlossen haben.

Und auch in Deutschland soll wieder atomar aufgerüstet werden.

Nur 3 Tage nach dem Peter Altmaier die Aufnahme von 150 Milliarden Euro neuen Schulden zur Bewältigung der Corona-Krise angekündigt hatte, kündigte das Verteidigungsministerium an, für einen zweistelligen Milliardenbetrag neue atomwaffenfähige Flugzeuge in den USA kaufen zu wollen.

Die bisherigen Trägerflugzeuge, die Tornados, sind zu alt und müssen ersetzt werden damit die in Büchel in Rheinland-Pfalz stationierten Atomwaffen demnächst durch die modernsten Atomwaffen der USA, die B61-12 stationiert werden können.

Mit dem Kauf der neuen Flugzeuge würden Fakten geschaffen, die den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland für Jahrzehnte unmöglich machen würden, obwohl dies vor 10 Jahren fast einstimmig vom Bundestag beschlossen wurde. Eine öffentliche Skandalisierung und der Widerstand einiger Politiker führte jedoch zum Glück dazu, dass die Entscheidung vorerst auf die nächste Legislaturperiode verschoben wurde.

Der Abzug der Atomwaffen aus Deutschland wäre die Voraussetzung für den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag. In einigen Nachbarländern wie Belgien und den Niederlanden, in denen ebenfalls NATO Atomwaffen stationiert sind, laufen ähnliche Debatten, wenn ein Land den Anfang macht würden die anderen vermutlich folgen.

Die Entscheidung für oder gegen den Kauf neuer atomwaffenfähiger Flugzeuge bietet uns nach Jahrzehnten des Stillstands ein Zeitfenster: Zum ersten Mal kann die Bundesregierung die nukleare Teilhabe nicht einfach klammheimlich weiterlaufen lassen sondern muss sich aktiv dafür oder dagegen entscheiden und eine öffentliche Debatte führen. In der Greenpeace Umfrage haben sich parteiübergreifend große Mehrheiten gegen den Kauf ausgesprochen.

Lasst uns bis zur Bundestagswahl die Kandidaten um eine öffentliche Positionierung zu dieser Frage bitten, damit sie den Kauf verhindern. Das wäre nicht nur das Ende der Atomwaffen in Deutschland sondern hätte internationale Signalwirkung.

Bereits 168 Bundestagsabgeordnete haben mit der ICAN Abgeordnetenerklärung gelobt, sich für das Atomwaffenverbot einzusetzen. Lasst uns jeden und jede Einzelne von Ihnen daran erinnern dass die Zeit zum Handeln gekommen ist. Lasst uns noch mehr UnterstützerInnen gewinnen. Wer bereits PolitikerInnen kennt, die sich öffentlich positionieren würden kann mich gleich gerne ansprechen.

Und kommt mit uns nach Büchel und unterstützt die Menschen, die dort zivilen Ungehorsam leisten. Abschließend möchte ich aus der Verteidigungsrede der Medizinstudierenden Thuy Linh zitieren, die vor kurzem zu 30 Tagessätzen verurteilt wurde weil sie die Landebahn in Büchel besetzt hat. Ihre Eltern sindals Gastarbeiter nach dem Vietnamkrieg in die DDR gekommen, sie selbst ist in Deutschland aufgewachsen.

„..Die Kriegserfahrung, der Hunger und die Verluste, die meine Eltern erleiden mussten haben mich natürlich zutiefst geprägt. Als ich erfuhr, dass wir hier auf deutschem Staatsgebiet Atomwaffen haben konnte ich das zuerst nicht glauben. Deutschland, das Land, das sich immer wieder rühmt mit seiner tollen Aufarbeitung der Geschichte, mit dem ewigen Satz von Willy Brandt „ von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen – NIE WIEDER“. Ich wurde immer zu Gehorsam erzogen – doch das war eines der ersten Male wo ich dachte –

NEIN, wie kann man hier gehorsam sein?

Vielen Dank.

 

Inga Blum ist aktiv bei der IPPNW.