Redebeitrag für die Antikriegstagveranstaltung am 1. September 2020 in Esslingen

 

- Sperrfrist: 6.8., Redebeginn: ca 17 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

ich bedanke mich ganz herzlich für die Einladung in die schöne Neckarstadt Esslingen. Zumal ich weiß, welch Energie und Kontinuität in der Friedensbewegung hier seit Jahrzehnten vorhanden ist.

Wir sind heute an einem besonderen Tag zusammen gekommen.

Heute vor 81 Jahren entfesselte NaziDeutschland den zweiten Weltkrieg, der vor 75 Jahren mit Millionen Toten endete und traumatischen Auswirkungen bis heute nach sich zieht.

Jeder einzelnen Person dieses Grauens, getötet, verstümmelt, gefoltert, traumatisiert gilt es, kurz innezuhalten. Ihr Schicksal ist unser Antrieb. Wie alle Opfer von Krieg, Hass und Gewalt der Menschheitsgeschichte.

Mit diesem Innehalten will ich uns auf eine Zeitreise mitnehmen.

Wir schreiben das Jahr 2045. Unendliche Freude. Die Atommächte verkünden bei der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag in New York feierlich, ihre letzten jeweils 10 Atomsprengköpfe in ihrem Besitz im Laufe des Jahres zu verschrotten. Das Ende des Atomzeitalters ist endgültig eingeläutet. Mit dabei: ein paar Veteranen der internationalen Friedensbewegung, die bereits über 50 Jahre auf diesen Schritt hingearbeitet haben.

Seit dem UN Beschluss zum Verbot von Atomwaffen und dem Friedensnobelpreis für ICAN hatte es weltweit eine nicht aufzuhaltende Dynamik gegeben.

Nur wenige Jahre zuvor hat Deutschland in Kooperation mit anderen Ländern komplett umgestellt auf eine nachhaltige zivile Sicherheitspolitik.

Vorausgegangen war die einschneidende Erkenntnis in allen Teilen der beteiligten Gesellschaften, dass die weltweiten ökologischen, politischen und sozialen Herausforderungen und Konflikte sich mit militärischen Mitteln nicht nachhaltig lösen ließen.

Damit einher gingen unter anderem die endgültige Abschaltung aller Atomkraftwerke in Deutschland Anfang der 20er Jahre, der endgültige Verzicht auf fossile Energieträger zur Energiegewinnung 2030, eine 100% erneuerbare Energieversorgung bis 2035, eine massive Kehrtwende der Landwirtschaft hin zu mehr Regionalität und Biolandbau sowie eine Verkehrswende, die immer mehr auf lange umweltfreundliche Transportwege verzichtet.

2020 konnte die Bildungskampagne „Sicherheit neu denken“ mit vielen Organisationen der Zivilgesellschaft immer mehr Menschen in Deutschland davon überzeugen, dass wir statt einer stärkeren militärischen Durchsetzung unserer Interessen einen Umstieg in jeder Form benötigen würden. Von militärischer zu ziviler Sicherheitspolitik.

Dieser massive Bewusstseinswandel kam nicht von irgendwo her.

2020 war auch ein Jahr der Rückbesinnung, was Krieg für Mensch und Umwelt anrichtet:

150 Jahre Beginn des deutsch-französischen Krieges in Zeiten ständig neuer Kriege in Europa.

75 Jahre Ende des zweiten Weltkrieges.

75 Jahre Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki.

75 Jahre Gründung der UNO.

Mit einer klaren in der Präambel niedergeschriebenen Überzeugung:

„Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen,

künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat,

unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen,

Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können,

den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern“

Ende Zitat Präambel.

5 Jahre Beschluss der Sustainable Development Goals, der Nachhaltigkeitsziele, der UN.

2020 wurde zum unverrückbaren Wendepunkt. Die vielen Zeugnisse all jener im Ohr, die ihre leidvollen Erfahrungen von Krieg und (atomarer) Gewalt, Umweltzerstörung und Flucht eindringlich und tagtäglich berichten konnten. Und nichts mehr dabei verdeutlichten als die tiefe Sehnsucht nach Frieden und Sicherheit für alle Menschen auf diesem wunderbaren Planeten.

Endlich wurde intensiv und breit, auch innerhalb der Parteien, über die Gefahren und die Zusammenhänge durch Hochrüstung und Klimawandel in Zeiten von militärischem Säbelrasseln, Handelskriegen und Vertragskündigungen, ständigen Wetterkapriolen und Demokratiemüdigkeit diskutiert und gleichzeitig Hoffnung geschöpft. Denn die doomsday clock wurde damals auf 100 Sekunden vor Zwölf gestellt und trieb immer mehr Menschen an. Die Gefahr eines Weltuntergangs war damit so groß wie noch nie seit dem Ende des zweiten Weltkrieges! Selbst zu Zeiten der sehr bedrohlichen 80er Jahre stand der Zeiger auf Drei vor Zwölf.

Es setzte sich endlich durch, dass wir die Achtung von Mensch und Natur ins Zentrum allen Tuns stellen. Und damit eine neue Zeitenwende vorbereiten, in der das Mitgefühl und die Solidarität, die Liebe und das Vertrauen im Mittelpunkt stehen. Die aktive Gewaltfreiheit und absolute Nachhaltigkeit.

Aus wenigen Aktiven und etlichen Sensibilisierten in der Friedensbewegung wurde eine starke gemeinsame Bewegung für notwendige Veränderungen auf allen Ebenen, zusammen mit der Klimaschutz- und Ökologiebewegung, den vielen Engagierten im Bereich der Demokratie, der Einen Welt, den Gewerkschaften und Kirchen. National wie international. Für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung.

Für die Priorisierung und damit auch finanziellen Stärkung der Gesundheits- Sozial- und Umweltprogramme sowie dem Ausbau nachhaltiger, digitaler Bildung. Bei gleichzeitiger Reduzierung der Militärausgaben.

Endlich setzte sich die Erkenntnis durch, dass Europas Aufgabe und Chance es sei, die Struktur und Kultur ziviler, gemeinsamer Sicherheitspolitik in die globalen Beziehungen zu tragen.

Die notwendigen Schritte und Etappen auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die auf Gewaltprävention und Kooperation setzt, wurden klar skizziert:

1. Entwicklung einer starken Demokratie, die Krisen zivilisiert bewältigt,

2. ökologisch, sozial und wirtschaftlich gerechte Außenbeziehungen,

3. Förderung nachhaltiger Entwicklung der EU-Anrainerstaaten,

4. Investitionen in eine starke UNO und OSZE-Präsenz statt in die Bundeswehr,

5. Konversion von Bundeswehr und Rüstungsindustrie.

Endlich wurden die Zusammenhänge von Klima und Krieg fundamental und dauerhaft miteinander verwoben.

Es wurde klar gemacht

  • dass durch den Klimawandel und deren Folgen die Lebensbedingungen für viele Menschen sich verschärfen würden, die zu noch mehr Flucht und Verteilungskämpfen führen. Als Ursache weiteren Unfriedens, Hass, Gewalt, Krieg.
  • dass der Kollaps und das Chaos, das mit extremen Klimaveränderungen einhergeht, praktisch alle Aspekte des modernen Lebens destabilisiert.
  • dass die gesamte Kette der Nutzung der Atomenergie, zivil wie militärisch, menschen- und naturverachtend ist. Ein Irrweg zur Rettung des Klimas und eine ständige Bedrohung für den Erhalt von Mutter Erde.
  • dass der Zugang zu fossilen Brennstoffen oftmals ein wichtiges wirtschaftliches Ziel bei Kriegen darstellt – folgend die Transportwege eine militärische Absicherung erfordern.
  • dass das klimaschädliche Militär unter anderem dafür eingesetzt wird, um mehr fossile Brennstoffe verbrennen zu können.
  • dass durch den menschengemachten Klimawandel und unsere umweltschädliche wachstumsorientierte, neoliberale Wirtschaftsweise die beschränkten Ressourcen knapper werden: mineralische Rohstoffe, Öl, Erdgas und andere.
  • dass die Bundeswehr und weitere Militärapparate von Klimakriegen, Kriegen um Wasser und fruchtbare Böden sprechen.
  • dass für „unsere“ Sicherheit hier in Deutschland die Bundesregierung mehr Steuergelder in den Ausbau der Bundeswehr stecken wollte, um „unseren“ Wohlstand zu garantieren.
  • dass der Irrsinn hinter dieser Argumentation immer deutlicher zum Vorschein kam.
  • dass wir keinen militärisch gesicherten „Wohlstand“ brauchen, der diesen Planeten in den Ruin treibt.
  • dass dieser Planet und seine menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebewesen „unser“ Wohlstand sind, den es zu schützen gilt.
  • dass die Ressourcen, die wir haben, endlich sind und wir nicht eine weitere Tonne Stahl für die Herstellung von Zerstörungsgeräten verschwenden sollten und nicht einen Liter Kerosin nutzen, um Kampfjets in den Himmel zu schicken.
  • dass die Abschaffung der Bundeswehr und aller Militärapparate nicht nur ein bedeutsamer Schritt für den Aufbau eines solidarischen Zusammenlebens wäre, das sich nach den Bedürfnissen der Menschen und der Umwelt richtet, sondern auch ein logischer und erforderlicher Schritt für den Klimaschutz.

Im März 2020 forderte der UN Generalsekretär Gutierrez angesichts des Virus einen weltweiten Waffenstillstand.

Im April 2020 schrieb der ehemalige sowjetische Präsident Gorbatschow eindrucksvoll:

"Was wir jetzt dringend brauchen, ist ein Umdenken des gesamten Sicherheitskonzepts.

... Das übergeordnete Ziel muss die menschliche Sicherheit sein: Bereitstellung von Nahrungsmitteln, Wasser und einer sauberen Umwelt sowie Pflege der Gesundheit der Menschen. Um dies zu erreichen, müssen wir Strategien entwickeln, Vorbereitungen treffen, Reserven planen und schaffen. Aber alle Bemühungen werden scheitern, wenn die Regierungen weiterhin Geld verschwenden, indem sie das Wettrüsten befeuern.

Ich werde nie müde zu wiederholen: Wir müssen die Weltpolitik, die internationale Politik und das politische Denken entmilitarisieren.“

Im Juli forderte der UN Generalsekretär in diesem Geiste nichts mehr als eine neue Weltordnung.

Entwicklungen in der Menschheit brauchen ihre Zeit. Es braucht Geduld, Zuversicht, Hoffnung, den unbedingten Glauben und Willen zur Veränderung, Leidenschaft, die ansteckt, und einen langen Atem.

Gemeinsam hat die weltweite Zivilgesellschaft bereits so viel erreicht, trotz aller Rückschläge.

Lasst uns den Fokus auf uns und unsere Kraft, die Ermutigungen und den Glauben richten, was wir mit selbstbewusster Gewaltfreiheit und Vernunft alles erreichen können. Lasst uns an das scheinbare Unmögliche glauben, wie ich es aus Sicht des Jahres 2045 beschrieben habe. Lasst uns bereit stehen, als Mensch und Gemeinschaft dieses scheinbar Unmögliche vorzubereiten und zu leben. Eine Welt ohne Atomwaffen, eine Welt ohne Rüstung und Krieg, eine Welt ohne Ausbeutung von Mensch und Natur ist möglich.

Danke.

 

Roland Blach ist Geschäftsführer DFG-VK Baden-Württemberg.