Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2021 in Engerhafe

 

- Sperrfrist: 1.9.21, Redebeginn: 18 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Selten wurde in den letzten Wochen ein Satz aus einer Predigt so oft zitiert wie der von Margot Käßmann, damals Ratsvorsitzende der Ev. Kirche in Deutschland, vor 11 Jahren am Neujahrstag: „Nichts ist gut in Afghanistan“. 20 Jahre lang waren deutsche Soldatinnen und Soldaten mit im Krieg in Afghanistan. Lange hat es gedauert, bis das Wort „Krieg“ nicht mehr tabu war für das, was da passierte.

2004 oder 2005, ich war Pastorin in Hamburg, kam eine junge Frau aus Afghanistan zu mir. Sie wollte sich taufen lassen. Im Laufe unserer Gespräche gab es eines, in dem sie an ihre schmerzhaften Erinnerungen rührte und mir erzählt hat vom Krieg in Afghanistan, von den Mudschahidin und den Taliban, von Angst und Gewalt, mit Tränen in der Stimme. Nichts war gut in Afghanistan und sie ist mit ihrer Familie nach Deutschland geflüchtet. Die Familie saß oft bei uns in der Kirche, halb muslimisch, halb christlich. Der Krieg zuhause ist ein dunkler Schatten über ihnen geblieben.

Als ich Pastorin in Arle war, hatten wir Besuch aus Uganda. Sie erzählten vom Terror der Lord’s resistance army, dem Bürgerkrieg in Nord-Uganda, den Kindersoldaten, von Angst und Gewalt und die ihnen zuhörten, hatten Tränen in den Augen. Nichts war gut in Uganda.

Nichts ist gut in Syrien, im Irak, in Mali und überall, wo Krieg herrscht und Leben bedroht und zerstört wird. Nichts ist gut, wenn Menschen vor dieser Gewalt ihr Zuhause verlassen und sich auf den Weg machen – weg vom Krieg. Wenn sie den Weg über das Mittelmeer, dem Massengrab vor der Grenze Europas, auf sich nehmen, weil sie sich nach Sicherheit und Frieden sehnen.

Nichts ist gut am Krieg und Krieg lässt sich nicht rechtfertigen. Auch das lehrt uns Afghanistan.

„Nie wieder Krieg!“ - Ja, das wollen wir alle. Aber das ist leicht gesagt und schwer getan. Wo fängt es an? Vielleicht schon in der Sprache –

  • wenn ich mich gegen jemanden positionieren muss,
  • wenn wir über Nebenkriegsschauplätze reden,
  • wenn ich Menschen, die anders sind, abwerte, mich rassistisch, antisemitisch, frauenfeindlich äußere,
  • wenn ein Vergeltungsschlag der Amerikaner erfolgreich war, weil „das Ziel“ getötet wurde.

Wie gewaltfrei verhalte ich mich im Alltag, im Verkehr (mit dem Sonntagsfahrer vor mir), im Kollegenkreis, in der Schule, an der Supermarktkasse? Was mache ich mit der Wut in mir?

Habe ich nicht schon als kleines Kind gelernt, dass ich mich wehren muss? Haben wir nicht mit einem Kribbeln im Bauch um die beiden Jungs herumgestanden, die sich auf dem Schulhof geprügelt haben – und haben dabei den einen oder den anderen angefeuert: Hau ihn!?

Ich habe dann später im Konfirmandenunterricht von diesem jungen Juden aus Nazareth gehört, dass wir unsere Feinde lieben sollen. Ich habe vielleicht in der Schule von Rosa Parks gehört, die im Bus sitzen geblieben ist und ihren Platz nicht frei gemacht hat für einen weißen Fahrgast. Das war ein Anfang, als die schwarzen Amerikaner die gleichen Bürgerrechte gefordert haben wie die weißen. Ich habe von Martin Luther King und Mahatma Gandhi und Nelson Mandela gehört. Sie haben angefangen, Unrecht zu benennen und in ihrem Land für mehr Gerechtigkeit zu kämpfen, aber anders – ohne Gewalt, mit Hartnäckigkeit und Überzeugungskraft. Aber wie weit trägt gewaltloser Widerstand? Ist Versöhnung möglich?

Alle Länder dieser Erde, auch die ärmsten, verfügen über Waffen. Waffen sind ein großes Geschäft. Der Einsatz von Waffen ist teuer. Unser Land hat sich den Bundeswehreinsatz in Afghanistan 12,5 Milliarden Euro kosten lassen. Das Argument ist Verteidigung: Wehr dich! Irgendwann kommen keine anderen Argumente mehr in den Sinn und zu Wort. Krieg scheint vernünftig und unumgänglich zu sein.

Wir sind hier an einem Ort, der uns deutlich macht, was Krieg aus Menschen macht: Der Friedhof von Engerhafe. Da drüben war das KZ. Mitten auf dem Weg standen die Baracken, umgeben von Schule, Pfarrhaus, Kirche und Gulfhof. Da waren die Häftlinge mit den gelben Kreuzen auf dem Rücken. Feinde waren sie, Fremde die meisten von ihnen, Nummern. Gefangenenmaterial, benutzt für den Bau des Panzergrabens, der Aurich vor Feinden schützen sollte. Wenn aus Menschen erst Feinde und dann Nummern werden, bleiben Mitgefühl und Menschlichkeit auf der Strecke. Krieg macht aus Mitmenschen Feinde. Gegen die muss man sich verteidigen. Da geht es nicht mehr darum, wer sie sind, wie es ihnen geht, was sie denken und fühlen. Es geht nicht darum, dass sie krank sind und Hunger haben, dass sie Frauen und Kinder und Eltern und Geschwister haben, die Angst um sie haben.

Wer sich dann doch berühren lässt von dem Leid und ein Stück Brot verschenken will, begibt sich in Lebensgefahr.

In 2 Monaten sind 188 Menschen hier gestorben und in Massengräbern begraben worden – man konnte es sehen, man konnte es wissen. Der Krieg war in Engerhafe angekommen. Das war 1944, als nichts gut war in Engerhafe.

Als dann Frieden war, haben einige nicht vergessen wollen. Leute aus der Kirchengemeinde und vom VVN, der Vereinigung von Verfolgten des Naziregimes, haben sich hier getroffen zum Gedenken an diese 188 Männer und alle, die hier gelitten haben. Sie wollten nicht, dass alles in Vergessenheit gerät und Gras drüber wächst. Aber genau das ist dann passiert. Nur ein paar hartnäckige Mahnerinnen und Mahner haben immer wieder an die Wunde von Engerhafe gerührt. Schließlich ist aus diesem Engagement heraus der Verein Gedenkstätte KZ Engerhafe gegründet worden. Das ist erst gute 10 Jahre her. Eine Gedenkstätte ist ein Ort, der aufrüttelt und weh tut. Sie ist ein Ort, der aufdeckt, was mal möglich war und was wieder möglich sein kann. Deshalb ist sie auch ein Ort, der in die Zukunft weist. Hier möge uns die Tragweite des „Nie wieder Krieg!“ von Käthe Kollwitz klar werden, vor allem im Angesicht der vielen Kriege, die auf unserem Globus toben seit 1924, als sie dieses uns allen bekannte Plakat gemacht hat. Solange wir es zulassen, dass aus Mitmenschen Feinde werden, solange wir Grenzen schließen, solange das Geschäft mit den Waffen boomen kann, solange Mitgefühl nur für die gilt, die die gleiche Staatsangehörigkeit wie ich haben, solange Versöhnung und Gewaltlosigkeit nicht als Mittel der Konfliktlösung ernstgenommen werden, solange wird es Kriege geben. Mit allem, was sie aus Menschen machen.

Nichts ist gut am Krieg! Die Alternative ist Frieden.

Vielen Dank.

 

Hilke Osterwald ist Ev. Pastorin im Ruhestand und 1. Vorsitzende des Vereins "Gedenkstätte KZ Engerhafe".