Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2021 in Bremen

 

- Sperrfrist: 1.9.21, Redebeginn: 17 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich danke dem Bremer Friedensforum und dem DGB sehr herzlich für die freundliche Einladung. Es ist mir eine besondere Ehre, hier vor euch und mit euch sprechen zu dürfen. Mein Name ist Jasper von Legat. Ich bin nun seit 2 Jahren Pastor im Steintorviertel in der Friedensgemeinde und ich seit Anfang des Jahres Friedensbeauftragter der Bremischen Evangelischen Kirche. Seit dem habe ich Vieles kennenlernen und viele Menschen treffen dürfen. Nun steh ich hier. Ich weiß, dass viele von euch, sich seit Jahren für den Frieden einsetzen. Ich weiß, welche Energie und Kontinuität in der Friedensbewegung hier seit Jahrzehnten vorhanden ist. Davor habe ich aller größten Respekt.

Seit 1957 ist der Antikriegstag am 01. September ein Tag des Mahnens und des Erinnerns. Wir erinnern uns jedes Jahr daran, dass Nazi-Deutschland 1939 unsere Nachbarn in Polen überfallen hat und die Welt in einen unbeschreiblichen Abgrund führte. Dieser Krieg hat unermessliches Leid über die Menschen gebracht, Hass und Terror in Gesellschaften getragen und kostet am Ende 60 Millionen Menschen das Leben. 60 Millionen Seelen! Was sind das für Ausmaße?

Vor 35 Jahren – im Juni 1986 – begann ein Streit, der in den Zeitungen ausgetragen wurde, und als Historiker-Streit bekannt geworden ist. Der Historiker Ernst Nolte schrieb öffentlich über den Krieg und die Shoa und kam zu dem unsäglichen Schluss, dass der von den Faschisten begangene Völkermord und Auschwitz ein Resultat vorher passierter Verbrechen gewesen sei. Er sprach von einer „Vergangenheit, die nicht vergehen will!“. Das klingt nach Schuldkult, nach „Denkmal der Schande“. Dieses Denken wurde damals – vor 35 Jahren – nicht hingenommen und wir dürfen es heute nicht hinnehmen. Der Antikriegstag ist unser Aufstehen für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ Das ist unsere gemeinsame Grundlage, auf der wir stehen. Dafür setzen wir uns ein.

Wir müssen es hinbekommen, diese Welt friedlicher zu machen. Das sind wir uns allen untereinander schuldig. Denn Kriege töten nicht nur, Kriege zerstören nicht nur Städte, Dörfer und die Umwelt. Sie zerstören seelisch, ohne dass vielleicht vor Ort Kugeln fliegen. Und auch nach einem Krieg, tobt er weiter in den Köpfen der Menschen, in den Familien, in den Freundeskreisen. Er lebt weiter und geistert durch die Gedanken, macht das Leben hart und schwer. Krieg hinterlässt Narben und Wunden. Es dauert, dauert und dauert, bis die Scherben gesammelt sind. Das alles – die Jahre zwischen 1914 und 1918, 1933-1945, die Berichte aus Kriegsgebieten von den Menschen, die zu uns gekommen sind, das alles muss uns sagen lassen: Wir müssen jetzt anfangen, Weichen für eine sichere und friedliche Zukunft zu stellen.

Denn die militärische Sicherheitslogik führt nicht weiter. Zu sagen: Wir brauchen mehr Rüstung, mehr Waffen, damit wir sicher sind, das geht nicht! Fragen wir uns: Hat die derzeitige militärgestützte Sicherheitspolitik dauerhafte Sicherheit gebracht oder nicht eher ständige neue Unsicherheiten? Waren Auslandseinsätze der Bundeswehr seit dem Jahr 2000 erfolgreich? Was ist überhaupt „Erfolg“ in diesem Zusammenhang? Wie kann man im Krieg von Erfolg sprechen?

Gerade jetzt wird uns allen das ziemlich brachial vor Augen geführt. Die Bilder der Menschen auf dem Flughafen in Kabul sind entsetzlich und kommen doch gleichzeitig nicht überraschend. Wie wurde der Einsatz der Bundeswehr in den ersten Jahren doch noch gedeutet: Verteidigung unserer Freiheit am Hindukusch oder auch Brunnenbau-Mission der Bundeswehr. Das war er nicht. Das war ein 20 jähriger Krieg, der offiziell so nicht benannt werden durfte. Von Anfang an war es Krieg. Dieser Krieg hat nicht nur über zwei Billionen US-Dollar gekostet, sondern das Leiden der Menschen in Afghanistan verstärkt, Hass gesät und Konflikte unter den Volksgruppen Afghanistans weiter angeheizt. Was da jetzt die letzten Tage geschieht, ist die Ernte von zwanzig Jahren, in denen man meinte, Toleranz, Akzeptanz grundlegender Menschenrechte und Demokratie durch Gewehre und Drohnen erzwingen zu können. Das ist keine erfolgreiche Mission gewesen. Und der Truppenabzug ist auch nicht Ausdruck eines besonders gearteten Pazifismus gewesen. Es ist ein Scherbenhaufen. Und die Menschen in Afghanistan werden wieder allein gelassen.

Was ist also mit den negativen Folgen militärischer Sicherheitspolitik? Das sind die Opferzahlen, Traumatisierungen der Zivilbevölkerung und der Soldat*innen, Verhinderung des Entstehens demokratischer Gesellschaften, Zerstörungen, auch Umweltkatastrophen. Die militärische Sicherheitslogik bringt weder Sicherheit noch Frieden!

Zum Glück gibt es kluge Menschen (z.B. in der badischen Landeskirche oder an verschiedenen Friedens- und Konfliktforschungsinstituten an Universitäten), die in den vergangenen Jahren mehrere Szenarien entwickelt haben, wie die Bundeswehr zb. bis 2040 in eine nicht-militärischer Organisation überführt werden. Ganz klar geht es dabei um eine Konversion der Armee und der Rüstungsindustrie. Dazu muss man aber Sicherheit neu denken. Sicherheit kann dann nicht mehr aus vermeintlicher Waffenstärke abgeleitet werden, sondern muss aus der Zivilgesellschaft kommen.

Häufigste Reaktion auf diese Ideen ist: Du bist naiv! Aber ist man wirklich naiv, wenn man Abrüstung und Rüstungskonversion fordert?

Als naiv ist doch eher der Glaube zu bezeichnen, durch militärische Interventionen von außen einen konstruktiven Beitrag zur Lösung von Konflikten leisten zu können. Die militärischen Interventionen von außen mit dem Ziel eines Regimewechsels, mit dem Ziel des Aufbaus stabiler Demokratien beispielsweise in Afghanistan, im Irak und in Libyen. Die sind allesamt gescheitert.

Es gibt aber Studien zur Wirksamkeit von zivilem Widerstand gegen Besatzer. Diese Studie befasst sich mit solchen Phänomenen in der Zeit zwischen 1900 und 20151. Und sie kommt zu einem ziemlich interessanten Ergebnis: Gewaltfreier Widerstand ist im Durchschnitt doppelt so erfolgreich wie gewaltsamer Widerstand. Gewaltsame Mittel zum Ziel eines Regimewechsels und/oder der Vertreibung von Besatzern weisen eine fast dreimal so hohe Misserfolgsquote aus. Zudem haben sie mehr Todesfälle und anschließende Bürgerkriege zur Folge. 10 Mal höher liegt aber die Wahrscheinlichkeit, 5 Jahre nach einem Konflikt eine stabile Demokratie zu etablieren, wenn unbewaffneter und ziviler Widerstand geübt wurde.

Wir müssen also ein Denken entwickeln, mit dessen Hilfe es möglich ist, Frieden zu schaffen, eben nicht aus einem Gegeneinander, sondern aus der Kooperation, aus einem Miteinander. Nur so, gemeinsam, kommen wir da raus. Das ist dann keine militärische Sicherheitslogik, sondern das ist „Friedenslogik“.

Dazu braucht resiliente Demokratie. Wehrhafte Demokratie. Das umfasst die nachhaltige Stärkung der Widerstandsfähigkeit einer Gesellschaft und des demokratischen Staates gegen Freiheitseinschränkungen. Das bedeutet unter anderem Friedensbildung, aber auch Teilhabe.

Resiliente Demokratie hat vor allem eine soziale Frage. Denn das alles funktioniert nur, wenn unsere Gesellschaft aufhört auseinander zu fliegen. Das bedeutet, dass wir die Ungleichheiten in diesem Land, die Ungerechtigkeiten und die Verteilungsfragen angehen müssen. Und wir dürfen es nicht hinnehmen, wenn die nächste Bundesregierung zu diesen Themen schweigt. Denn Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sind die Grundpfeiler für ein sicheres und friedliches Zusammenleben. Ohne das alles wird kein wirklicher Frieden werden.

Wir müssen hören wie der Zusammenhalt unserer Gesellschaft gefestigt werden soll, wie die Geschlechtergerechtigkeit vorangetrieben werden soll, wie Chancengleichheit gefördert und die Demokratie in Deutschland gestärkt und Europa wieder zu einem Friedensprojekt gemacht werden soll. Wir müssen hören wie die reichsten 1% in diesem Land sich adäquat an den Kosten der Corona-Krise beteiligen werden. Wir müssen hören, dass junge Menschen auch in 50 Jahren ohne Angst vor totaler Klimakatastrophe in diesem Land leben können. Und wir müssen hören, dass alte Menschen nach einem langen Berufsleben in Würde altern können ohne Angst haben zu müssen, dass die Rente nicht reicht.

Die Debatte über die Rüstungsausgaben ist dabei eine Entscheidende. Denn während Kriege, Gewalt, Klimakrise, Corona-Pandemie sowie soziale Ungleichheiten das Leben auf der Welt gefährden und die Entwicklungsmöglichkeiten von Menschen einschränken, werden weiterhin Geldsummen in Milliardenhöhe für Rüstung eingeplant und ausgegeben. Auch weil bewaffnete Konflikte Probleme wie Hunger, fehlende Zugänge zu Bildung und Gesundheitsversorgung verschärfen, ist eine Umschichtung von Geldern aus militärischen in zivile Bereiche notwendig.

Der deutsche Verteidigungshaushalt steigt auch für das Jahr 2021 weiter an. Während er 2017 noch 37 Mrd. Euro betrug, liegt er vier Jahre später fast 10 Mrd. Euro über diesem Wert bei 46,9 Mrd. Euro. Nach NATO-Kriterien (das sog. 2% Ziel) liegen die deutschen Verteidigungsausgaben im Jahr 2021 sogar bei 53 Milliarden Euro.

Einige Vergleiche zeigen beispielhaft, was mit dem Geld für militärische Zwecke im sozialen Bereich machbar wäre.

Der Stückpreis für ein Kampflugzeug des Waffensystems Eurofighter beträgt ungefähr 145 Mio. Euro. Dies ist mehr als das Doppelte der jährlichen Ausgaben für den Zivilen Friedensdienst. Für die Kosten einer Flugstunde mit dem Eurofighter in Höhe von 67.000 Euro könnte bereits eine Sozialwohnung gebaut werden. Für den Nachfolger des Kampfpanzers Leopard 2 werden 100 Milliarden Euro in die Entwicklung gesteckt. Wohlgemerkt für die Entwicklung. Dann fährt noch nicht ein einziges dieser Dinger. Für 50 Milliarden Euro – also die Hälfte – könnten wir alle (!) Hochschulen in diesem Land sanieren.

Wie eine Recherche von ICAN und IPPNW Germany zeigt, könnten mit dem geplanten Kauf von 45 F-18-Kampflugzeugen (geschätzte 7,47 Mrd. Euro), 100.000 Intensivbetten, 30.000 Beatmungsgeräte, 60.000 Pflegekräfte und 25.000 Ärzt*innen für ein Jahr finanziert werden.

Das ist doch Wahnsinn liebe Freundinnen und Freunde. Da komme ich nicht mehr mit. Und da mach ich nicht mehr mit.

Das alles sind Zukunftsthemen, die in 25 Tagen zur Wahl stehen und die nötig sind, um die Zivilgesellschaft zu stärken und dadurch Frieden ohne Waffen zu schaffen. Ihr kennt die Programme der Parteien. Ihr kennt die Aussagen der Spitzenkandidat*innen. Ihr wisst, mit welchen Parteien diese Themen anzugehen sind und mit welchen Parteien das nicht gehen wird.

Wir müssen Sand im Getriebe sein, wenn Menschenrechte bedroht sind, wenn sich Ungleichheit breitmacht. Wir müssen schauen, dass wir rauskommen aus einer Aufrüstungsspirale hin zur echten Abrüstung. Denn nur dann können wir wirklich in Sicherheit und in Frieden leben.

Abrüstung ist das Gebot der Stunde!

Es wird Zeit!

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.

 

Pfrarrer Jasper von Legat ist Friedensbeauftragter der Bremischen Ev. Kirche.