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Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2021 in Nienburg
- Sperrfrist: 1 9.21, Redebeginn: 16 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -
Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor genau 40 Jahren habe ich das erste Mal an einer DGB-Kundgebung zum Antikriegstag teilgenommen. Sie fand statt auf dem sowjetischen Kriegsgefangenenfriedhof in Hörsten bei der KZ Gedenkstätte Bergen-Belsen. 20.000 sowjetische Soldaten sind dort in Massengräbern bestattet, weitere 30.000 befinden sich auf den nicht weit entfernten Friedhöfen der Kriegsgefangenenlager Oerbke und Wietzendorf.
Ob ich das Ausmaß dieses Kriegsverbrechens damals verstanden habe, kann ich heute gar nicht sagen. Es hat danach auch noch Jahrzehnte gedauert, bis die Gedenkstätte Bergen-Belsen sich dieses Verbrechens gewidmet hat – aber: Inzwischen gibt es eine Dauerausstellung, die ihr euch anschauen solltet.
Trotzdem ist es ja nicht so, dass das Wissen über den von deutscher Seite verbrecherischen Zweiten Weltkrieg zu Konsequenzen für die heutige Politik geführt hätte. Im Gegenteil: Auschwitz wurde und wird hierzulande instrumentalisiert, um Kriege zu rechtfertigen.
Der Redner vor 40 Jahren war Hasso Düvel. Ältere Kolleginnen aus der IG Metall werden sich an ihn erinnern. Er forderte damals in seiner Rede, dass der Verteidigungshaushalt zusammengekürzt werden sollte – und zwar um 10 Prozent pro Jahr.
Heute erleben wir das genaue Gegenteil. Seit 2014 hat sich der Verteidigungshaushalt fast um ein Drittel erhöht - von 32 Mrd. auf 47 Mrd. Euro. Und es soll ja so weitergehen. Wenn CDU oder FDP in der nächsten Bundesregierung sitzen, bleibt es beim Ziel, zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für die Bundeswehr auszugeben.
Das ist fast nichts gegen die Kosten von Kriegen. Laut Süddeutscher Zeitung hat das Pentagon für den Afghanistan-Krieg 825 Milliarden Dollar ausgegeben. Zusammen mit der zivilen Hilfe, die in das Land geflossen ist, liegen die Kosten des Krieges weit über zwei Billionen Dollar.
Kaum Erwähnung fanden in den letzten Tagen die über 240.000 Toten in diesem 20jährigen Krieg.
Und wofür? Der Westen hat es nicht geschafft, seine „Werte“ zu importieren und die Herrschaft der Taliban zu beenden. Letztere sind, nachdem sie ursprünglich ja schon durch die USA aufgerüstet wurden, zusätzlich noch in den Besitz enormer Mengen an Rüstungsgütern gelangt.
Heute findet auch in Celle eine Fahrraddemo zum Antikriegstag statt. Wir haben uns dafür mal in unsere Archive begeben. Wir sind auf ein Flugblatt vom Autonomen Frauenhaus gestoßen, aus dem ich zitieren möchte:
Ein anderer Weg, der damals hätte beschritten werden können, findet sich in einem Flugblatt des Celler Autonomen Frauenhauses. Ich zitiere:
„Langfristig kann Terrorismus nur durch Maßnahmen bekämpft werden, die mehr Gerechtigkeit schaffen, Armut bekämpfen und Menschenrechten Geltung verleihen. Der wirtschaftlichen und politischen Krise in Afghanistan kann in Zusammenarbeit der Vereinten Nationen und noch existierenden zivilgesellschaftlichen Organisationen, insbesondere unabhängiger Frauenverbände im koordinierten Wiederaufbau des Landes entgegengewirkt werden.“ [Zitat Ende]
Irgendwie sind wir nach 20 Jahren Krieg fast genau wieder an diesem Punkt. Was können wir tatsächlich lernen?
Das Wichtigste, das wir tun können, ist: Überall auf diesem Planeten diejenigen zu unterstützen, die sich für Gerechtigkeit und gleiche Rechte für alle Menschen einsetzen, für Klimagerechtigkeit und gegen all die anderen Verheerungen, die der Kapitalismus anrichtet.
Und ja – Frauenrechte gehören an oberster Stelle dazu. Die Konsequenz, die daraus zu ziehen wäre: Es muss ein eigenständiges Recht auf Asyl für Frauen geben, weil sie als Frauen Unterdrückung erfahren.
Ihr habt mich aber eingeladen, damit ich von einer Kampagne berichte. Und zwar von „Rheinmetall entwaffnen“. Im Landkreis Celle gibt es den Rheinmetall-Standort Unterlüß. Neben den Produktionshallen, in denen Waffensysteme und Munition hergestellt werden, verfügt Rheinmetall an diesem Standort über das mit 50 qkm größte private Test- und Versuchsgebiet in Europa – oder kurz: einen Schießplatz. Rheinmetall ist der größte rein deutsche Rüstungshersteller. Und deshalb ein bedeutender Rüstungsexporteur. Deshalb steht der Konzern schon lange im Fokus von friedenspolitischen Initiativen wie „Ohne Rüstung Leben“, „Urgewald“ oder den „Kritischen
Aktionär:innen“.
Mit „Rheinmetall entwaffnen“ ist vor drei Jahren ein neues Bündnis entstanden. Die neue Qualität besteht darin, vor Ort – also in Unterlüß – präsent zu sein. Und zwar bisher vor allem in Form von zwei einwöchigen Camps, die jeweils mit überregionalen Demonstrationen abgeschlossen wurden.
Das Aktionsformat des „Friedenscamps“ gab’s vorher schon unter dem Motto „Krieg beginnt hier“ gegen das Bundeswehr-Gefechts-Übungs-Zentrum Altmark, das übrigens von Rheinmetall entwickelt wurde.
Es geht dabei – mal theoretisch gesprochen – um: Theorie und Praxis, es geht um Vernetzung und Austausch. Und – wenn es denn gelingt – auch um den Austausch und die Konfrontation mit den Menschen vor Ort und da heißt auch: den Beschäftigten. Das letzte ist vielleicht das Schwierigste. Denn selbstverständlich erleben die Menschen, die bei Rheinmetall vergleichsweise gut bezahlte Jobs haben, uns als Gegner:innen. Und die Leute, die in Unterlüß leben, sehen in uns Störenfriede. Und ja: Wir wollen den „Frieden“ stören, der hinnimmt, dass Produkte von Rheinmetall eben Waffen sind, die z.B. im Krieg im Jemen eingesetzt werden, die eingesetzt werden im Krieg der Türkei gegen die Kurd:innen.
Wir hatten und haben das Glück, dass mit Charly Braun und Paul Stern zwei ehrenamtliche DGB-Kreisvorsitzende aus dem angrenzenden Heidekreis und Celle an unserer Seite standen und stehen. Sie haben den Aspekt „Konversion“ in die Diskussion eingebracht. Denn selbstverständlich müssen wir uns auch der Frage stellen, was in Deutschlands Rüstungsschmieden alternativ hergestellt werden könnte. Aber wir stehen
ja insgesamt vor gewaltigen Veränderungen in unserer Gesellschaft. Durch die Energiewende, die Wärmewende, die Mobilitätswende gibt es einen Innovationsbedarf, der auch viele neue Geschäftsfelder öffnet.
Die Diskussionen mit den Kolleg:innen der IG BCE waren – wie ich hörte – sehr kontrovers, aber möglich.
Schwieriger war es mit Teilen der dörflichen Bevölkerung. Aus dem Camp heraus wurde 2019 ein in Unterlüß lange verdrängtes Kapital der NS-Geschichte thematisiert. Für Rheinmetall war ein Außenlager des KZ Bergen-Belsen errichtet worden, aus dem heraus Frauen in der Endphase des Krieges Munition im Werk herstellen mussten. An dieses sogenannte „Tannenberg“-Lager wurde mit einer Gedenkaktion erinnert:
Der Weg vom Lager zum Rheinmetall-Werkstor wurde entlang einer weißen Linie mit Baumbinden mit den Namen von Zwangsarbeiterinnen markiert. Auch wurde mit großen Bannern mit Fotos und Zitaten aus Briefen von überlebenden Zwangsarbeiterinnen und mit dem Hinweis „Zwangsarbeit bei Rheinmetall – Weg der Erinnerung“ mit Schablonen hingewiesen.
Wenige Tage später war alles zerstört.
Eigentlich ist es unfassbar, dass es immer noch Menschen gibt, die eine Erinnerung und Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus nicht aushalten. Und deshalb ist es auch sinnvoll, Gedenktage wie heute den Antikriegstag offensiv mit kritischen Inhalten zu besetzen.
Ein kleines Fazit zu „Rheinmetall entwaffnen“:
Ich denke, es kann sehr sinnvoll sein, sich mit dem zu befassen, was in der jeweiligen Region passiert. Eben keinen Bogen zu machen um Bundeswehr und Rüstungsbetriebe, sondern sich – gemeinsam mit möglichst vielen anderen – klar zu machen, was ein Slogan wie : „Krieg beginnt hier“ tatsächlich bedeutet. Und sich dann auch die Frage zu stellen, wie wir ihn „hier“ schon beenden können.
Die diesjährige Erklärung des DGB zum Antikriegstag benennt aus meiner Sicht ganz klar, was gerade ansteht. Ich will am Ende auf einen Aspekt eingehen.
Die Erderwärmung wird immer mehr Menschen auf allen Kontinenten um ihre Lebensgrundlagen bringen. Mit der Konsequenz von massiven Verteilungskonflikten. Und wie wir wissen, werden die in der Regel nicht gewaltfrei gelöst. Das heißt: Wir stehen vor einer Phase von Klimakriegen.
Unsere Aufgabe in einem früh-industrialierten Land besteht deshalb darin, uns für Klimagerechtigkeit einzusetzen. Klimagerechtigkeit bedeutet im Kern zweierlei: Erstens – und darauf hat das Bundesverfassungsgericht hingewiesen – geht es intergenerationelle Gerechtigkeit. Unsere Lebensweise müssen wir also danach ausrichten, dass dieser Planet auch für künftige Generationen ein freundlicher Platz sein könnte.
Zweitens geht es um intragenerationelle Gerechtigkeit, also um die Bedürfnisse aller aktuell lebenden Menschen. Wir wissen, dass unser Lebensstil auch auf Kosten und dem Rücken vieler Menschen auf anderen Kontinenten hergestellt wird.
Beides lässt sich nur lösen mit dem Wissen und dem bemühen um das, wovon wohl niemand mehr weiß als die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung: Solidarität.
Darum geht es – mehr denn je.
Und deshalb geht es auch um genau das, was dieses jahr in der Erklärung des DGB steht:
Es ist höchste Zeit, das Ruder herum zu reißen! Wir benötigen die Rüstungs-Milliarden dringend für andere Zwecke.
Vielen Dank.
Reinhard Rohde ist aktive bei "Rheinmetall entwaffnen" in Celle.