Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2021 in Nienburg

 

- Sperrfrist: 1 9.21, Redebeginn: 16 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,

heute, am Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, am Antikriegstag, stehen wir hier, weil sich etwas so Schreckliches wie der Zweite Weltkrieg nie wiederholen darf.

Im letzten Jahr war es 75 Jahre her, dass durch die Kapitulation des „Dritten Reiches“ ein grausamer Krieg beendet wurde, ein Krieg, der ganz Europa in Schutt und Asche legte.
In diesem Jahr ist es 65 Jahre her, dass Deutschland allen Abmachungen zum Trotz wieder militarisiert wurde.

Zu dieser Militarisierung möchte ich einiges sagen.

(„VERTEIDIGUNGSARMEE“)

Als Deutschland 1945 kapitulierte, war man sich einig über eine Entmilitarisierung und den Verzicht auf eine eigene deutsche Armee. Von deutschem Boden sollte nie wieder ein Krieg ausgehen.

Aber bereits zehn Jahre später wurde trotz breiter Proteste wieder eine Armee aufgebaut; und das Grundgesetz wurde schon im Jahr 1956, vor 65 Jahren, um eine Wehrverfassung ergänzt.
1957 wurden die ersten jungen Männer zum Grundwehrdienst einberufen.

Zumindest hieß es damals eindeutig,  dass die Bundeswehr defensiv auszurichten sei. Denn „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig.“ So Artikel 26, Absatz 1 des Grundgesetzes.

Entsprechend war die Bundeswehr bis 1990 als "Verteidigungsarmee" definiert.
 

(ANGRIFFSARMEE)

Das änderte sich gravierend im Jahr 1990. Seitdem ist der Einsatz im Ausland praktisch zur Hauptaufgabe der Streitkräfte geworden.

Die deutsche Armee war seit 1990 im Einsatz ...

  • 1999 im Kosovo
  • 2006 im Seeraum vor Libanon und Somalia
  • 2007 in Darfur
  • 2008 an der Küste vor Somalia und am Horn von Afrika
  • 2011 im Südsudan
  • 2013 in Mali und - ebenfalls 2013 - in der Westsahara
  • seit 2015 im NATO-Einsatz in Afghanistan
  • seit 2015 im Mittelmeer
  • 2018 im Anti-IS-Einsatz in Incirlik/ Türkei

Alle diese  Militäreinsätze waren und sind nach Art.26 GG verfassungswidrig.

(FINANZIELLE AUSWIRKUNGEN)

Die Kosten dieser Einsätze sind immens: Die aktuellen Ausgaben für das Militär betrugen im laufenden Jahr knapp 47 Milliarden Euro. Das ist mehr als der Gesamthaushalt des Landes Niedersachsen.

Oder - ein anderer Vergleich, der uns allen zurzeit sicherlich näher ist: Damit könnte man sämtliche Krankenhäuser in Deutschland grundsanieren, und zwar sehr großzügig  - und man hätte noch Geld, um zusätzliche Pflegekräfte angemessen zu bezahlen.

(KONKRETE FOLGEN DER MILITÄREINSÄTZE)

Wirklich verheerend sind die konkreten Folgen der Militäraktionen. Natürlich und zu allererst wegen der unzähligen Toten und Verletzten - bei der Bevölkerung in den Kriegsgebieten und unter den Soldatinnen und Soldaten selbst - und wegen der schrecklichen Zerstörungen. Aber auch wegen der verheerenden psychischen und gesellschaftlichen Auswirkungen, die solche Kriegseinsätze mit sich bringen.

Sie hinterlassen traumatisierte Menschen, die häufig keinen Ausweg mehr für sich sehen und nicht mehr in ein normales Leben zurückfinden.

Von Befürwortern der Bundeswehr wird des öfteren geäußert, die Friedensbewegung falle "unseren Jungs" in den Rücken und habe kein Mitgefühl. Wenn man sich den Umgang mit zurückgekehrten Soldatinnen und Soldaten ansieht, muss man sich fragen, wer denn eigentlich kein Mitgefühl hat.

Viele von ihnen sind verstört durch das Erleben von Gewalt - Gewalt durch andere und Gewalt, die sie selber ausgeübt haben. Sie kehren zurück in eine Welt, die sie so nicht mehr begreifen - und in der wiederum sie ihre entsetzlichen Erlebnisse nicht begreifbar machen können. Sie kehren zurück in zerstörte Beziehungen und kaputte Ehen. Den meisten von ihnen wird nicht geholfen. Und viele von ihnen enden schließlich durch Suizid.

Einer von ihnen war Oberfeldwebel Florian Biel, 23 Jahre alt, der sich 2009 in Pristina im Kosovo das Leben genommen hat. Er war Ausbilder für den Grundwehrdienst, tätig bei der elektronischen Kampfführung 912, sein Standort war Nienburg /Weser.

 

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,

vieles, was ich heute hier sage, ist durch die aktuellen Ereignisse in Afghanistan überrollt worden. Nach 20 Jahren Militäreinsatz verlassen die westlichen Kräfte fluchtartig ein Land, das sie dem Chaos und der Zerstörung preisgeben.

Wieder einmal bestätigt sich, was zivile Kräfte und was die Friedensbewegung schon immer gesagt haben: Demokratie, Menschenrechte und Humanität lassen sich nicht mit Waffengewalt herbeiführen.

Gewalt fordert immer Gegengewalt heraus; um das System weiter "funktionieren" zu lassen, hätte man diese Gewalt endlos aufrechterhalten müssen. Sobald sie aufgehört hat, ist alles zusammengebrochen. Es hat in einem Desaster geendet.

Ich muss das nicht kommentieren  - mir reichen die Kommentare der anderen:

Die Tagesthemen am 20.08: "man muss sich fragen, ob der Verlust an Menschenleben, die gescheiterten Ehen und die Traumatisierungen sich gelohnt haben …"

Die ARD-Nachrichten am 27.8: "die Taliban, die jetzt zu den am besten ausgestatteten Armeen der Region gehören, da sie die vom Westen gelieferten Waffen der Regierungs-Streitkräfte übernommen haben."

Und bereits am 19.8. in den Nachrichten - und zwar vom Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes höchstpersönlich: "Das ist etwas, das treibt die Soldaten um: dieses WOFÜR? -   War es umsonst?"

Ja – es war umsonst.  Und es wäre nicht nötig gewesen!

Ich will das alles nicht. Ich will keine Bundeswehr mit Auslandseinsätzen –   Auslandseinsätze, die vorherrschende Konflikte nur verstärken; Auslandseinsätze, die unzählige Tote – vor allem in der Zivilbevölkerung –, Zerstörungen, Verletzungen und Traumatisierungen bis hin zum Suizid zur Folge haben. Und die Militärausgaben in Höhe von fast 47 Milliarden Euro erfordern - Geld, das wir gerade jetzt so nötig in anderen Bereichen brauchen.

GEGEN ALL DIES UNSINNIGE UND UNMENSCHLICHE will ich weiterhin am Ziel einer menschlichen Welt festhalten.

Und deshalb möchte ich schließen mit BRECHTS KINDERHYMNE:

Anmut sparet nicht noch Mühe,
Leidenschaft nicht noch Verstand,
daß ein gutes Deutschland blühe,
wie ein andres gutes Land.
Daß die Völker nicht erbleichen
wie vor einer Räuberin,
sondern ihre Hände reichen
uns wie andern Völkern hin.
Und nicht über und nicht unter
andern Völkern wolln wir sein,
von der See bis zu den Alpen,
von der Oder bis zum Rhein.
Und weil wir dies Land verbessern,
lieben und beschirmen wir’s.
Und das liebste mag’s uns scheinen
so wie andern Völkern ihrs.

(Bertolt Brecht)

Vielen Dank!

 

Susanne Politt ist aktiv bei verdi und attac.