Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2022 in Berlin

 

- Es gilt das gesprochene Wort! -

 

Liebe Freundinnen unf Freunde,
83 Jahre ist es her, als das faschistische Deutschland Polen überfiel und damit den Zweiten Weltkrieg begann. Seit Beginn der 50er Jahre ist der 1. September ein Tag, der in der DDR als Weltfriedenstag gefeiert wurde. Am 1. September 1957 rief auch der DGB in der BRD zum ersten Mal zum Aktionstag unter der Losung „Nie wieder Krieg“. Schon damals war es nicht mehr als ein frommer Wunsch.

Ja selbst 1924, nach dem ersten Weltkrieg, als die Kampagne gleichen Namens „Nie wieder Krieg“ von der Deutschen Friedensgesellschaft unter Bertha von Suttner und dem Bund Neues Vaterland ins Leben gerufenen wurde, war der Frieden nur von kurzer Dauer. Heute ist diese Losung ein verzweifelter, ungehörter Ruf in der Wüste, wie es scheint. Und dennoch hören wir nicht auf, genau das immer wieder einzufordern, wir, die wir uns als Friedensbewegung verstehen: Nie wieder Krieg! Nicht hier und auch nicht anderswo!

Heute findet ein Krieg in der Ukraine statt. (Und es ist nicht der erste in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, auch wenn das gerade jetzt immer wieder gerne behauptet wird.) Dieser Krieg ist nicht so weit weg wie die unzähligen Kriege in Afrika und im Nahen Osten. Wir fühlen uns plötzlich persönlich bedroht.

Es stimmt, dass auf unsere Köpfe, hier in Deutschland, in den letzten 77 Jahren keine Bomben gefallen sind. Was nicht stimmt, ist, dass wir es verdient haben, bisher verschont worden zu sein, weil wir uns immer so friedlich verhalten haben.

Nein, spätestens seit der Wiedervereinigung hat Deutschland die Scham verloren, die Scham, an zwei Weltkriegen schuld zu sein und allein im zweiten die Verantwortung für 60 Millionen Toten zu tragen. Nein, seit der Wiedervereinigung hat sich Deutschland Schritt für Schritt zurückgekämpft in die Liga der Hetzer und Aufrüster und Weltbestimmer, unterstützte klandestin oder auch ganz offen Militäreinsätze, die nicht dazu dienten, das deutsche Vaterland zu beschützen.

Nein, es waren und sind Einsätze, die vitalen deutschen Interessen dienen. Welche Interessen sind damit gemeint? Als gleichberechtigter fairer Partner angesehen zu werden? Die Schätze der Welt für alle nutzbar zu machen? Dafür zu sorgen, dass niemand mehr Angst vor Deutschland haben muss? Wohl eher nicht. Mit vitalen Interessen sind gemeint: die Welt gnadenlos zum eigenen Nutzen auszubeuten, Bodenschätze zu rauben, statt dafür einen fairen Preis zu bezahlen, die eigenen „Wert“vorstellungen zur Richtschnur für die ganze Welt zu machen.

Anstatt alle Kräfte darauf zu verwenden, in diesem Ukraine-Krieg eine Vermittlerrolle einzunehmen, deeskalierend zu wirken, schüttet unsere Regierung Öl ins Feuer. Sieschickt der Ukraine Waffen und führt einen Wirtschaftskrieg gegen Russland. Sie missbraucht diesen Krieg für ihre eigenen militärischen Interessen.

Ja, sie nutzte die Empörung, Bestürzung, Verunsicherung in der Bevölkerung nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine dazu, ein schon lange geplantes gigantisches Aufrüstungsprogramm durchzudrücken, Ansprüche zu formulieren, neben der wirtschaftlichen Führungsmacht in Europa auch die militärische zu beanspruchen. Und sie löst dabei ohne Rücksicht auf Verluste einen sozialen Tsunami aus, der einen großen Teil der Bevölkerung in Armut stößt.

Nein, wir wollen das alles nicht. Wir wollen tatsächlich nie wieder Krieg. Und wir wollen, dass hier und heute alles dafür getan wird, die Kriege in der Welt zu beenden, statt sie zu verlängern.

Von unserer Regierung verlangen wir, ihren Amtseid ernst zu nehmen, Schaden vom Volk abzuwenden. Das geht aber nicht, wenn man einen Nuklearkrieg riskiert, oder auch nur einen atomaren Unfall, sondern, indem man sich für Verhandlungen, Kooperation, Dialog stark macht.

Wir haben die Verantwortlichen auf unserer Fahrraddemo besucht – wir waren beim Verteidigungsministerium, Finanzministerium und Außenministerium, beim Willy-Brandt-Haus, bei der Deutschen Bahn als Erfüllungsgehilfen des Militärs und beim Springer-Haus stellvertretend für die Presse, die heute kaum noch voneinander in der Berichterstattung zu unterscheiden ist.

Wir haben ihnen unsere Forderungen mit guten Begründungen übergeben. Und wir werden nicht nachlassen. Der September soll hier in Berlin ein Friedensmonat sein. Wir haben mit unserem Flyer versucht, einen kleinen Überblick über bevorstehende
Veranstaltungen zu geben. Weitere Termine werden sicher folgen.

Am 1.10. sind wir dann hoffentlich alle vereint und zahlreich auf der Straße. Am bundesweiten dezentralen Aktionstag, der unter der Losung steht: „Keinen Euro für Krieg und Zerstörung! Statt dessen Milliarden für eine soziale, gerechte und ökologische Friedenspolitik! Stoppt den Krieg! Verhandeln statt Schießen!“.

Bitte kommt zahlreich, werbt für diese Demonstration, bringt jeder 100 andere mit! Wir treffen uns in Berlin um 13.00 am Neptunbrunnen.

 

Jutta Kausch-Henken ist Schauspielerin, Kabarettistin und Theaterpädagogin, seit 42 Jahren aktiv in der Friedenskoordination Berlin.