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Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2022 in Stuttgart
- Es gilt das gesprochene Wort! -
Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,
keine Maschine, keine Anlage in unseren Fabriken, wo einem nicht gleich der berühmte „Rote Knopf“, der „Not-Halt“ ins Auge springt. Auf den haben die genialen Konstrukteure der gefährlichsten Maschinerie, der Kriegsmaschinerie bewusst verzichtet. Nun fliegen uns die Fetzen um die Ohren. Dieser gottverdammte Krieg scheint nicht mehr zu stoppen und wird von Tag zu Tag explosiver. Er kostet Abertausenden auf beiden Seiten das Leben, walzt Dörfer und Städte platt, treibt Menschen massenhaft in die Flucht und zieht die ganze Welt hinein in einen tödlichen Strudel. Er nimmt den Hungernden das Brot und stürzt auch bei uns immer mehr Menschen in die Armut und Not. Krachend brechen Staatshaushalte in sich zusammen, Milliarden von Volksvermögen werden nun auch bei uns für Rüstung verpulvert. Die Kriegsverbrecher bomben uns um Jahrhunderte zurück. Ein Funke, eine irregeleitete Rakete, ein Blindgänger genügt, und der Krieg springt auf uns alle über. Dann wird die Welt zu einem flammenden Inferno. Wer glaubt, im Atomzeitalter seien Kriege noch zu gewinnen, ist schon von seltsamer Blindheit geschlagen.
Und darum heute unser Appell: Stoppt diesen Wahnsinn, stoppt die Wahnsinnigen, die ihn verbrochen haben, und zwar sofort! „Not-Halt“ - ohne Wenn und Aber. Und das bedeutet: Sofortige Feuerpause, Waffenstillstand und Verhandlungen! Daher muss Schluss damit sein, die Ukraine weiterhin bedingungslos mit Waffen zu fluten. Wenn überhaupt, dann nur noch, wenn jede Kiste mit einem konkreten Friedensschritt quittiert wird. Ansonsten wird die Lieferung verweigert. Wie war das zu Beginn des Krieges? Da war man noch bereit, die Annexion der vorerst einmal hinzunehmen, über einen Sonderstatus im Donbass nachzudenken und auf eine Mitgliedschaft in der NATO zu verzichten. Davon ist heute nichts mehr zu hören. Selbst ehemalige Bundeswehr- und NATO-Generale fordern nun statt einer militärischen eine diplomatische Großoffensive. Seit Monaten „Tote Hose“. Dabei besteht die hohe Kunst der Diplomatie gerade darin, Gesprächsverweigerer wie Putin zum Sprechen zu bringen. Aber das muss politisch gewollt sein und kostet freilich mehr Hirnschmalz, als mit Kanonen und Raketen aufeinander einzudreschen. Schade, dass unsere Regierung aufgrund ihrer Waffenlieferungen gar nicht mehr vermitteln kann. Sie ist selbst zur Kriegspartei geworden. Wie sagte ein Spitzenpolitiker dieser Tage? Dieser Krieg würde auf dem „Schlachtfeld“ entschieden. „Schlachtfeld“, man muss sich dieses Wort einmal auf der Zunge zergehen lassen: Todesgeschrei, zerfetzte Gliedmaßen, Verletzte, die sich im Blut wälzen, Leichenberge, Massengräber. Was für ein erbärmliches Armutszeugnis!
Albert Einstein, leidenschaftlicher Pazifist und zum Schluss seines Lebens todunglücklich, dass seine Formel den Bau atomarer Vernichtungswaffen ermöglicht, versenkte 19 Jahre vor seinem Tod im Hausfundament seines Verlegers diese Botschaft: „Liebe Nachwelt! Wenn ihr nicht gerechter, friedlicher und überhaupt vernünftiger werdet als wir, so soll euch der Teufel holen.“
Der ist bereits unterwegs. Bei so viel Dummheit lässt er sich nicht lange lumpen. Schon heute klagen uns die Toten dieses Krieges an, dass uns wieder nichts Besseres einfällt, als Gewalt mit Gewalt zu vergelten und Feuer mit Benzin zu löschen.
Heute am „Anti-Kriegstag“ fordern wir: Dieses Scheusal Krieg muss vom Erdboden verschwinden. Krieg kennt nur Verlierer, Waffen bringen nur Tod und Verderben. Der Krieg ist politisch eine Null – schlimmer noch: Er ist der Bankrott der Politik. Ein Rückfall ins Un-Menschliche, an Schamlosigkeit und Dekadenz nicht zu überbieten. Jeder Krieg kitzelt die niedrigsten Instinkte im Menschen wach, daher ziehen marodierende Truppen immer eine Schleppe von Tod und Gewalt hinter sich her. Friede ist erst, wenn die Waffen schweigen und man sich endlich über Massengräbern und Schuttbergen verständigt. Man langt sich ans Hirn: Ginge das nicht auch ein bisschen früher? Mir wird immer klarer: Wenn die Menschheit nicht endlich gewaltfreie Strategien zur Konfliktbewältigung entwickelt und durchsetzt, ist ihr Ende besiegelt und nur noch eine Frage der Zeit.
In den Gewerkschaften sind wir gewohnt, hinter die Kulissen zu blicken. Vielleicht dämmert Euch wie mir schon lange ein furchtbarer Verdacht: Wer hat denn Interesse, dass sich der Krieg in die Länge zieht und der Schrecken kein Ende nimmt? Und siehe da: Während in der Ukraine täglich die Sargdeckel zuklappen, knallen in den Rüstungsbuden die Sektkorken.
Kürzlich kam ich ins Stutzen: Mitten im schlimmsten Kanonendonner trafen sich Vertreter aus 26 Regierungen zu einer „Geberkonferenz“ und machten schnell mal ein paar Milliarden für den Wiederaufbau der Ukraine locker. Nicht zu fassen: Statt endlich eine internationale Friedenskonferenz auszurufen, ging es – mitten im Krieg – um den Wiederaufbau. Es scheint: Je mehr Infrastruktur zerschossen wird, um so sattere Gewinne winken danach. Der Wiederaufbau der Ukraine gibt das Geschäft des Jahrhunderts. Keine Rede davon, was mit den traumatisierten Kindern geschieht, die in Mariupol über Leichen gestolpert sind, wie man vergewaltigte Frauen auffängt und therapiert. Von Invaliden, Kriegskrüppeln und Soldaten ganz zu schweigen, die für ihr Leben an Leib und Seele geschädigt sind. Keine Programme, wie man jungen Menschen, die nun um ihre Zukunft betrogen wurden, zum Leben verhilft. Und da soll man nicht auf unanständige Gedanken kommen: Ist der Krieg im Kapitalismus vielleicht ein Geschäftsmodell? Dann holt uns wirklich der Teufel. Dann erweist sich ein weiteres Mal: Kapitalismus ist Sünde!
Unser „Anti-Kriegstag“ muss zu einem „Pro-Friedenstag“ werden! Als Gewerkschaften und Kirchen sind wir kompetent. Mein Leben lang schon bewundere ich als Betriebsseelsorger die Friedensarbeit der Gewerkschaften. Wie Ihr es versteht, dem Kapitalismus in harten und schweren Auseinandersetzungen, aber mit friedlichen Mitteln hartnäckig das abzutrotzen, was den Arbeitenden gehört. Wie Ihr in den Betrieben Frieden schafft durch Gerechtigkeit, durch menschenwürdigen Umgang und im Kampf um humane Arbeit. Ich glaube, ein paar gewiefte Tarifpolitiker kämen als Unterhändler schneller zu einem Verhandlungsfrieden als die Kriegsherren. Vielleicht sollte man die mal mit einer erfahrenen Kita-Leiterin in einen Stuhlkreis setzen. Die hat nämlich mehr Friedenskompetenz als alle Betonköpfe samt ihren Beratern zusammen.
Ich möchte uns Friedenswilligen in dieser Verzweiflung Mut machen:
Lasst uns weiterhin und noch lauter als bisher klagen, anklagen, demonstrieren, protestieren gegen den Krieg und gegen die Kriegsverbrecher. Gegen den weltweiten Rüstungswettlauf, denn Rüstung tötet schon ohne Krieg.
Wir werden uns der Kriegsopfer annehmen, der geflüchteten Frauen und Kinder aus der Ukraine, aber auch aller anderen Kriegsgebiete.
Wir werden auf Verhandlungen drängen und auch unsere Regierung an ihre Friedensmission erinnern: Tut endlich was für den Frieden, für den Krieg habt ihr genug getan. Waffen schaffen keinen Frieden.
Und der wichtigste Ratschlag zum Schluss: Versuchen wir doch im eigenen Leben, gewaltfrei zu agieren. In jedem Krieg verdichtet sich der Unfriede in der Welt in den Knallköpfen kranker Gehirne. Wenn der Krieg ganz unten beginnt, dann auch der Friede. Schaffen wir Frieden im eigenen Herzen, Friede mit den Menschen um uns herum. Wie soll in der großen Welt Friede sein, wenn wir uns in der eigenen, kleinen Welt die Köpfe einschlagen?
Wo ist der „Aus-Knopf“ in diesem Krieg? Für mich als Christ ist es die Gewaltlosigkeit, die den Schalter umlegt und den tödlichen Kreislauf Gewalt-Gegengewalt unterbricht. „Finsternis kann keine Finsternis vertreiben, das gelingt nur dem Licht“, predigte einst der unvergessene Pastor Martin Luther King und fährt fort: „Hass kann man nicht mit Hass besiegen, das gelingt nur der Liebe. Hass vervielfältigt den Hass, Gewalt mehrt die Gewalt – in einer ständigen Spirale der Vernichtung. Die Kettenreaktion des Bösen muss unterbrochen werden. Sonst stürzen wir alle in den Abgrund der Vernichtung“.
Ich bin „Jesuaner“ und glaube daran: Man kann das Böse nur durch das Gute überwinden. Und das bedeutet: „Frieden schaffen ohne Waffen!“
Paul Schobel ist Betriebsseelsorger im Ruhestand und lebt in Böblingen.