Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2023 in Wiesbaden

 

- Es gilt das gesprochene Wort! -

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde,

Nie wieder Faschismus - Nie wieder Krieg das ist die Antwort der Gewerkschaften, vieler Antifaschistinnen und Antifaschisten und Aktiven der Friedensbewegung auf das unermessliche Leid, das Nazi-Deutschland über die Welt gebracht hat, als es am 1. September 1939 Polen überfiel. Dieser Überfall war zugleich der Startschuss für den Zweiten Weltkrieg und einen langen geplanten Eroberungs- und Vernichtungskrieg, an dessen Ende die Welt in Teilen in Trümmern lag und über 60 Millionen Tote zu Buche standen. Und es war der Startschuss für einen bis heute unvergleichbaren Zivilisationsbruch: dem systematischen Mord an 6 Millionen Jüdinnen und Juden in Europa sowie die Ermordung von rund einer halben Millionen Sinti und Roma. Nicht zu vergessen hunderttausende Zwangsarbeiter, politische Gegner, Homosexuelle und viele weitere, die nicht in das völkisch-rassistische und antisemitische Weltbild der Nazis passten, und unter ihnen litten oder ermordet wurden.

Es gilt die Erinnerung an diese Verbrechen aufrecht zu erhalten, als Mahnung für die Gegenwart und Zukunft.

Wie wichtig diese Mahnung und das offensive Eintreten für demokratische Grundwerte ist, zeigen der rechte Terror und die Erfolge der AfD in den letzten Jahren. Für uns ist klar: mit der extremen Rechten sind kein Frieden und keine Gesellschaft, in der wir friedlich zusammenleben können, zu machen! Es gilt vielmehr, die extreme Rechte in allen gesellschaftlichen Bereichen zurückzudrängen. Der extremen Rechten, ebenso wie wirren Verschwörungsideologen, die in jüngster Vergangenheit immer wieder auf Friedensdemos versucht haben, Fuß zu fassen, sagen wir an dieser Stelle ganz klar: ihr habt auf unseren Veranstaltungen nichts zu suchen. Denn wir lassen uns nicht aufgrund von Herkunft, Hautfarbe, sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, Religion oder Behinderung spalten.

So wie wir anerkennen müssen, dass der Kampf gegen den Faschismus nicht vorbei ist, müssen wir - nicht erst seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine - feststellen, dass die aktuelle Weltlage geprägt ist durch Kriege, Unsicherheit und Instabilität. Wir sind nicht nur Zeuge, wie ein neuer Aufrüstungswahn um sich greift, sondern sehen uns auch mit der Gefahr einer neuen nuklearen Bedrohung konfrontiert. Wir sagen deutlich: Jeder Krieg ist ein Angriff auf die Menschheit und die Menschlichkeit.

Wir leben in einer Zeit, in der das Engagement gegen die zunehmende Kriegsbereitschaft besonders gefordert ist. Das zeigen seit Februar vergangenen Jahres vor allem die Entwicklungen infolge des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine.

Und um das an dieser Stelle noch einmal deutlich zu sagen: nichts, aber auch rein gar nichts, legitimiert diesen Angriffskrieg, der zehntausende Tote gefordert hat und über die Ukraine Leid und Trauer gebracht und große Teile des Landes in Trümmer gelegt hat. Es ist ein Krieg, der von Putin und seiner Gefolgschaft fadenscheinig begründet wird: aufgrund einer gefühlten Bedrohung durch die NATO-Staaten und der vermeintlich notwendigen Befreiung der Ukraine, die von Nazis regiert werde. Es ist jedoch Putin gewesen, der mit völkisch-nationalistischer Rhetorik die Ukraine als Teil Russlands definiert hat und der seine eigenen Großmachtbestrebungen voranbringen will.

Wir fordern die russische Regierung auf, den Krieg durch den Rückzug ihrer Truppen zu beenden und die territoriale Integrität der Ukraine wiederherzustellen. Das in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegte Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung steht für uns außer Frage.

Gleichwohl warnen wir aber vor einer Eskalation des Krieges. Ein diplomatischer Weg muss im Sinne der vom Krieg betroffenen Menschen immer die erste Wahl sein. Hier sind alle Beteiligten gefordert, ihr Handeln deutlich stärker auf friedliche Ansätze zur Konfliktlösung zu fokussieren. Die Waffen müssen endlich schweigen! Nicht nur in der Ukraine – sondern auch in allen anderen Kriegsgebieten.

Das Ziel muss eine Rückkehr zu einer weltweiten Abrüstung der Staatengemeinschaften sein. Zumal jeder Euro, der für Aufrüstung ausgegeben wird, an anderer Stelle fehlt. Die Finanzierung militärischer Friedenssicherung darf nicht auf Kosten der Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaates gehen und damit die soziale Ungleichheit in unserem Lande verschärfen. Doch ihre Prioritäten legt die Bundesregierung derzeit anders: Während in aller Kürze 100 Milliarden Euro als Sondervermögen für die Bundeswehr aufgelegt wurde, einigte man sich nach langem Streit auf gerade einmal 2,4 Milliarden, um gegen Kinderarmut vorzugehen. Die aktuelle militärische Aufrüstung darf zudem nicht mit dem Verzicht auf Zukunftsinvestitionen bezahlt werden. Auch der für die Bekämpfung des Klimawandels erforderliche Umbau unserer Wirtschaft und dessen sozial gerechte Gestaltung wird nur gelingen, wenn dafür ausreichend öffentliche Mittel bereitstehen. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, von einer – wie es die NATO fordert – weiteren Aufstockung des Rüstungsetats auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes abzusehen und sich mit ihren EU-Partner*innen und im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft für neue nukleare Rüstungskontrollabkommen und eine Eindämmung von Rüstungsexporten stark zu machen.

Doch gleichwohl müssen wir uns gerade mit Blick auf den Krieg in der Ukraine auch grundsätzliche Fragen stellen: Was wäre passiert, wenn die Ukraine nicht militärisch aufgerüstet worden wäre? Der Krieg wäre möglicherweise vorbei. Das Land jedoch wäre nun besetzt und vermutlich wären tausende Ukrainer*innen gleichwohl getötet oder in Gefängnisse gesteckt worden. Und was tun, wenn sich Russland trotz diplomatischer Bemühungen nicht verhandlungsbereit zeigt und sich zurückzieht?

Oder: Wie hätte man, wenn nicht militärisch, damit umgehen sollen, als der faschistische, selbsternannte „Islamische Staat“ im Irak einen Völkermord an den Jesiden beging. Als er Menschen abschlachtete und Frauen systematisch vergewaltigte? Was wäre passiert, wenn die autonome kurdische Verwaltung in Rojava in Nordsyiren nicht militärische Unterstützung gegenüber den Angriffen des IS erhalten hätte? Vermutlich würde es das wohl fortschrittlichste Autonomieprojekt in der Region nicht mehr geben. Die dort erkämpften Rechte von Frauen wären endgültig passe´ und stattdessen herrsche dort ein patriarchaler und fundamentalistischer Gottesstaat.

Die Antworten hierauf können wohl am besten die Menschen in den betroffenen Gebieten geben. Wir, die nicht davon betroffen sind, sollten es uns nicht zu einfach machen. Ein einfaches Gut-Böse-Denken schadet nur zielführenden Diskussionen über das komplexe und oft widersprüchliche Weltgeschehen. Gegebenenfalls müssen wir auch alte Gewissheiten hinterfragen und darüber streiten, welches der richtige Weg zu einer friedlicheren Welt ist. Entscheidend ist jedoch, dass wir diesen Fragen gemeinsam und solidarisch nachgehen – statt konfrontativ und polarisierend, wie es leider zu häufig geschieht. Denn nur mit Respekt und Solidarität untereinander können wir unsere Ziele gemeinsam erreichen.

Die Welt braucht Frieden! Stehen wir gemeinsam dafür ein.

 

Sascha Schmidt ist DGB-Gewerkschaftssekretär in Wiesbaden.