Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2023 in Berlin

 

- Es gilt das gesprochene Wort! -

 

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

ich freue mich, dass ihr hierhergekommen seid, um für Frieden einzutreten. An diesem historischen Tag, dem 84. Jahrestag des Überfalls Nazi-Deutschlands auf Polen und damit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, diesem beispiellosen und barbarischen Vernichtungsfeldzug. Und ich möchte vor allem der Friko danken, die unermüdlich gegen ALLE Kriege und für Verständigung streitet – egal wie rau die Zeiten sind und wie viele Steine in den Weg gelegt werden. Danke dafür! Wirklich, ihr leistet Großartiges!

Und immer rauer werden die Zeiten allemal.

„Und die, die hier mit Friedenstauben rumlaufen, sind deshalb vielleicht gefallene Engel, die aus der Hölle kommen, weil sie letztlich einem Kriegstreiber das Wort reden“ – so Bundeskanzler Olaf Scholz am 19.08. auf einer Wahlkampfrede in München.

Nein, Herr Bundeskanzler! Nicht wir reden einem Kriegstreiber das Wort. Sie selbst haben sich, nachdem Sie zu Beginn dieser Phase – und ich sage ganz bewusst „dieser Phase“ – des schon viel länger andauernden Kriegs noch einen besonneneren Eindruck als andere machten (trotz „Zeitenwende“ und Sondervermögen), Sie selbst haben sich zum Protagonisten der Eskalation machen lassen. Sie lassen sich treiben von einer kriegslüsternen Koalition, allen voran die einst als pazifistische Partei gegründeten Grünen und die Strack-Zimmermanns von der FDP.

Ja, dieser Krieg ist furchtbar. Er kostet Leben und beraubt unzählige Menschen ihrer Heimat und ihrer Existenz. Sie werden gnadenlos geopfert auf dem Altar eines Stellvertreterkriegs, den die Ukraine nicht gewinnen kann. Dafür verantwortlich sind auch all diejenigen, die einem Siegfrieden weiter das Wort reden. Kommen Sie endlich zur Vernunft! Setzen Sie alles daran, das sinnlose Gemetzel auf diplomatischem Wege zu beenden!

Aber, das möchte ich auch ganz deutlich sagen:

die unsägliche Diffamierung des Bundeskanzlers all derjenigen, die der eindeutigen Verpflichtung unseres Grundgesetzes Folge leisten, nämlich: „dem Frieden der Welt zu dienen“. Sie tut lange nicht so weh wie die Angriffe, die von Teilen der Friedensbewegung und der Partei DIE LINKE auf uns gefahren werden.

Wir sind daran gewöhnt, dass sich die Verfechter von Aufrüstung und Militarisierung in der Bundesregierung von uns gestört fühlen. Denn wir sind der Stachel im Fleisch ihrer verantwortungslosen Politik. Wir wenden uns laut dagegen, dass die Bundesregierung mit ihrem Rüstungsetat, den sie nächste Woche in den Bundestag einbringen wird, zum ersten Mal das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreicht. Wir sagen nein zu ihrem Ansinnen, die Mittel für die – wie es im Jargon der Bundesregierung heißt – Nachwuchswerbung für die Bundeswehr um fast 65 Prozent zu erhöhen. Wir sagen, die Bundeswehr muss raus aus den Schulen. Sie darf ihre Mär, Krieg und zu Töten seien ein gewöhnlicher Job, nicht weiter verbreiten.

Die Vorwürfe, wir seien „rechtsoffen“, weil wir uns weigern, Menschen vorzuverurteilen, weil sie schon mal auf einer Demonstration gegen die Coronamaßnahmen der Bundesregierung waren. Weil wir den geheimdienstartigen Methoden, aufzulisten, wer mal mit wem auf der gleichen Veranstaltung war oder gar mit jemandem gesprochen hat, der jemanden kennt... nicht folgen wollen. Diese Vorwürfe spalten und schwächen die Friedensbewegung.

Und das nutzt einzig den kriegerischen Kräften, allen voran der Ampelkoalition, die dazu noch mit ihren Sanktionen, die Deutschland weit härter treffen als Russland, einen sozialen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt.

Es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass wir jede Zusammenarbeit mit Faschisten und Rechten ablehnen. Für uns ist – ganz besonders am heutigen Tag – die Maxime „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ zentral und leitend. Aber wir wollen die Mehrheit der deutschen Bevölkerung, die gegen Waffenlieferungen und für eine diplomatische Offensive ist, auch nicht der AfD überlassen. Denn die spielt geschickt mit den berechtigten Sorgen und Ängsten. Und weil alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien, einschließlich der LINKEN, ihr wie schon in der Coronapandemie das Feld überlassen, hat sie es leicht, zu verschleiern, dass es keinesfalls antimilitaristische und friedenspolitische Motive sind, die sie antreiben.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

27 Millionen Sowjetbürger haben im zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren. Ihnen haben wir unser aller Befreiung vom Faschismus zu verdanken. Und was tut diese geschichtsvergessene Bundesregierung? Nicht nur lässt sie wieder deutsche Panzer in Richtung Osten rollen. Sie befördert auch in guter alter deutscher Manier die Darstellung der Russen als zivilisationsferne Barbaren – sekundiert von den so genannten Qualitätsmedien, denen schon gerne mal ein entlarvender Fehler unterläuft. So schrieb etwa eine Tagesspiegel-Journalistin, Russland sei für die Entführung von Tausenden ukrainischen Kindern während des – Achtung – Irak-Krieges verantwortlich. Der Russe hat eben überall seine Finger drin…

Besonders gerne spricht die wertebasierte Bundesaußenministerin vom „Hungerkrieg“, wahlweise auch vom „Kornkrieg“, Moskaus. Weil Putin den Export ukrainischen Getreides für die Hungernden dieser Welt verhindere. Aber schaut man sich auf der offiziellen Webseite der Schwarzmeerinitiative, über die ukrainische Lebensmittel exportiert werden, um, wird offensichtlich, dass ausgerechnet im globalen Süden ein viel zu geringer Teil ankommt. Zugleich verhindern die Sanktionen den Export russischer Nahrungsmittel und russischen Düngers. Ja, auf dem Papier sind diese von den Sanktionen ausgenommen. Faktisch aber verkommen die Ausnahmen wegen der Sanktionen gegen den russischen Finanz- und Transportsektor zur Farce. Um 25 Prozent ist die Verfügbarkeit von Kunstdünger im subsaharischen Afrika seit Februar 2022 eingebrochen. Das sagt nicht Putin, sondern das Internationale Zentrum für Düngemittelentwicklung im US-Bundesstaat Alabama. Die Auswirkungen sind fatal. Wer also führt nun einen „Kornkrieg“?

Wie man Hunger als Waffe einsetzt, hat die Bundesregierung übrigens gerade in Niger gezeigt. Weil der Uran-Bedarf der EU natürlich oberste Priorität hat, unterstützt Annalena Baerbock die ECOWAS-Sanktionen, die aber faktisch ein Komplett-Embargo mit schlimmsten humanitären Folgen darstellen. Und die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit hat man auch eingefroren.

Dabei hat Frau Baerbock doch gerade erst zugegeben, dass Sanktionen nicht wirken. Wahrscheinlich ist das ihr genauso rausgerutscht, wie ihre Kriegserklärung an Russland zu Beginn des Jahres. Man kann es nicht anders sagen: wir haben eben die dümmste Regierung Europas. Wie zum Teufel, Herr Bundeskanzler, kann man einem solchen gefallenen Engel das Bundesaußenministerium anvertrauen???

Die deutsche Wirtschaft schrumpft als Folge der Russland-Sanktionen. Deutschland befindet sich in der Rezession, die Menschen leiden unter der Inflation. Viele wissen nicht mehr, wie sie sich die Milch für ihre Kinder zum Frühstück leisten sollen - geschweige denn Obst und Gemüse. Deutschland wird deindustrialisiert, das befürchten laut einer aktuellen Umfrage 76 Prozent der Führungskräfte –während die russische Wirtschaft um bis zu 1,5 Prozent nach anderen Schätzungen gar bis zu 2,5 Prozent, wächst. Die Zustimmungswerte des russischen Präsidenten sind seit Februar 2022 gleichbleibend hoch bei um die 80 Prozent – während in Deutschland 73 Prozent mit der Politik der Ampelkoalition unzufrieden sind.

Merken unsere Regierenden eigentlich noch irgendetwas?

Im globalen Süden ruft das Agieren Deutschlands am Rockzipfel der USA nur noch Kopfschütteln hervor. Dort nämlich ist man nicht bereit, sich aushungern zu lassen.

Im globalen Süden erinnert man sich noch gut an den ersten Kalten Krieg, der dort vielerorts ein heißer war. Mit Stellvertreterkriegen in Laos, Kambodscha, Vietnam, Angola, Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und in Lateinamerika. Und natürlich ist auch die Kolonialzeit nicht vergessen – genauso wenig wie die Weigerung des Westens, während der Coronapandemie die Patente für Impfstoffe außer Kraft zu setzen. Russland hingegen exportierte seinen Sputnik-Impfstoff auch nach Afrika.

Dass sich der globale Süden immer vehementer weigert, sich als Vasallen missbrauchen zu lassen und – ganz anders als die Bundesregierung – seine eigenen Interessen vertritt, ist die wahre Zeitenwende. Dies gilt insbesondere für die Bemühungen, sich vom US-Dollar unabhängig zu machen - den Welthandel zu entdollarisieren.

Die Forderungen aus dem globalen Süden nach Beendigung des Ukrainekriegs können auf lange Sicht nicht ignoriert werden. Vernünftige Stimmen, die es zum Glück noch gibt, haben das verstanden. So sagte der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen in einem am Montag veröffentlichten Interview: Zitat: „Die Welt ändert sich dramatisch.“ Und: „Die einflussreichsten Weltregionen der Zukunft liegen nicht in Europa oder Nordamerika, sondern in Asien, Lateinamerika und Afrika.“. Verheugen sagte auch: „Das Gemetzel muss beendet werden. Das zu bewirken, ist die wichtigste Aufgabe der deutschen und europäischen Politik“.

Dem kann ich mich nur anschließen! Nicht zuletzt wäre dies auch im Interesse der ukrainischen Bevölkerung.

Danke!

 

Wiebke Diehl ist Publizistin und Autorin und lebt in Berlin.