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Redebeitrag für die Antikriegstagsveranstaltung am 1. September 2024 im Naturfreundehaus Finsterbrunnertal
- Es gilt das gesprochene Wort! -
- Sperrfrist: 1.9.2024, Redebeginn: 12 Uhr -
Liebe Freundinnen und Freunde,
wir versammeln uns heute zum Antikriegstag, einem Tag, der uns an die Schrecken des Krieges erinnert und gleichzeitig an unsere Verpflichtung, für den Frieden einzutreten. In einer Zeit, in der die Welt mit Konflikten und Spannungen konfrontiert ist, ist es wichtiger denn je, dass wir uns unserer Verantwortung bewusst sind und für eine friedlichere Zukunft kämpfen.
Gerne möchte ich erstmal auf diesen Ort eingehen in dem wir uns befinden. Es gibt Orte auf dieser Welt, die weit mehr als nur Gebäude oder Treffpunkte sind. Es sind Orte, die ein Zeichen setzen, die Werte und Überzeugungen verkörpern. Ein solches Beispiel sind die Naturfreundehäuser – Oasen der Naturverbundenheit, des Friedens und der Gemeinschaft. Heute möchte ich auf einen besonderen Aspekt dieser Orte eingehen: ihre Erklärung als atomwaffenfreie Zonen. Denn auch dieses Haus ist Teil der atomwaffenfreien Zone
In einer Welt, die immer noch von der Bedrohung durch Atomwaffen geprägt ist, ist es ein starkes und wichtiges Signal, wenn Orte wie die Naturfreundehäuser sich bewusst gegen diese Bedrohung positionieren. Indem sie sich als atomwaffenfreie Zone erklären, setzen sie ein klares Zeichen für den Frieden und gegen die Zerstörungskraft, die von Atomwaffen ausgeht.
Die Naturfreundehäuser sind nicht nur Rückzugsorte in der Natur, sondern auch Orte der Bildung, des Austauschs und der Reflexion. Hier kommen Menschen zusammen, die sich für den Erhalt unserer Umwelt und für soziale Gerechtigkeit einsetzen. Die Entscheidung, diese Orte zur atomwaffenfreien Zone zu erklären, steht im Einklang mit den grundlegenden Werten, für die die Naturfreunde seit jeher stehen: Frieden, Solidarität und Nachhaltigkeit.
Die Naturfreundehäuser als atomwaffenfreie Zonen sind ein inspirierendes Beispiel dafür, wie lokale Initiativen globale Auswirkungen haben können. Sie ermutigen uns alle, aktiv zu werden, Verantwortung zu übernehmen und uns für eine Welt einzusetzen, in der der Frieden Vorrang hat. Ihre Entscheidung, atomwaffenfrei zu sein, ist nicht nur eine symbolische Geste, sondern ein aktiver Beitrag zur Förderung von Frieden und Sicherheit.
Deshalb bin ich froh, dass wir uns heute hier versammeln dürfen.
Die NaturFreunde Deutschlands haben eine lange und stolze Tradition im Einsatz für den Frieden. Seit ihrer Gründung setzen sie sich für eine gerechte und friedliche Gesellschaft ein. Unsere Geschichte ist geprägt von einer tiefen Überzeugung, dass nur durch Dialog und Verständigung dauerhafter Frieden erreicht werden kann. Die Friedenswanderung, die alle zwei Jahre Mitglieder aus ganz Deutschland zusammenbringt, ist ein lebendiges Beispiel für unser Engagement. Sie steht für Solidarität, Gemeinschaft und die unermüdliche Suche nach friedlichen Lösungen.
Doch trotz all unserer Bemühungen sehen wir uns heute mit einer besorgniserregenden Entwicklung konfrontiert: Die Militarisierung unserer Gesellschaft nimmt zu. Immer mehr Geld fließt in Rüstung und Militär, während soziale Sektoren wie Gesundheit und Bildung vernachlässigt werden. Statt in neue Kampfjets für Atomwaffen zu investieren, sollten wir diese Mittel nutzen, um unser Gesundheitssystem zu stärken, unsere Schulen zu verbessern und soziale Ungleichheiten zu bekämpfen. Ein starkes Sozialsystem ist die beste Prävention gegen Konflikte, sowohl im Inland als auch international.
Die aktuellen politischen Entscheidungen, insbesondere bei den Waffenexporten, sind zutiefst beunruhigend. Es ist nicht nur heuchlerisch, dass unsere Regierung Israel unterstützt, während gleichzeitig Eurofighter an Katar geliefert werden, ein Land, das die Hamas unterstützt. Diese Doppelmoral untergräbt unsere Glaubwürdigkeit als Friedensnation, die wir einst mal werden sollten, und trägt dazu bei, dass Konflikte weltweit angeheizt werden.
Ich möchte hier eine grundlegende Position beziehen: eine Position gegen die Lieferung von Waffen in Krisengebiete. Es ist eine Position, die sich aus der Verantwortung ergibt, die wir als Gesellschaft und Nation tragen. Die Vergangenheit hat uns mehr als genug gelehrt, dass die Lieferung von Waffen in Konfliktregionen nicht zur Lösung, sondern zur Verschärfung von Gewalt führt. Natürlich setzen wir uns als NaturFreunde auch teilweise für ein komplettes Verbot von Waffenexporten – wir müssen aber auch mit realistischen politischen Zielen beginnen. Und ein Verbot von Waffenexporten in Krisengebiete fand sich bereits in einigen Wahlprogrammen wieder.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, wie oft deutsche Waffen in den Händen von Akteuren landeten, die sie für Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen nutzten. Ein besonders eindrückliches Beispiel ist die Hochrüstung des Sudans in den 1960er Jahren. Damals lieferte Deutschland Waffen an eine Region, die bereits tief in ethnischen und religiösen Konflikten verwurzelt war. Die Folgen dieser Rüstungspolitik waren verheerend. Die Waffen, die ursprünglich zur "Sicherung" verkauft wurden, wurden zu Werkzeugen der Unterdrückung und führten zu einem langanhaltenden Bürgerkrieg mit unzähligen Toten und Vertriebenen. Diese Waffen, die in Deutschland produziert wurden, zerstörten das Leben von Menschen Tausende von Kilometern entfernt.
Doch die Geschichte endet nicht in den 1960er Jahren. Auch in der Gegenwart sind deutsche Waffen in Krisengebieten im Einsatz und richten immenses Leid an. Ein schockierendes Beispiel hierfür ist der Einsatz von deutscher Streumunition im Ukraine-Krieg. Streumunition, eine besonders grausame Waffe, die wahllos Zerstörung anrichtet und deren Überreste oft noch Jahre nach einem Konflikt tödliche Gefahren darstellen, hat in der Ukraine tausende unschuldige Zivilisten gefährdet und getötet. Diese Waffen wurden von deutschen Unternehmen entwickelt und verkauft, und ihr Einsatz in einem so verheerenden Konflikt zeigt, wie dringend notwendig ein Umdenken in unserer Rüstungspolitik ist.
Die Liste der Konflikte, in denen deutsche Waffen missbraucht wurden, ist lang. Ob in Syrien, wo deutsche Gewehre in die Hände von Terroristen gerieten, oder im Jemen, wo von Deutschland gelieferte Waffen zur Eskalation eines humanitären Albtraums beitrugen – immer wieder zeigt sich, dass die Kontrolle über die Endverwendung von Waffen, die wir exportieren, nahezu unmöglich ist.
Wir dürfen nicht länger die Augen vor diesen Realitäten verschließen. Jede Waffe, die in ein Krisengebiet geliefert wird, birgt die Gefahr, dass sie nicht zur Verteidigung von Frieden und Sicherheit, sondern zur Unterdrückung und Zerstörung von Leben genutzt wird. Unser Ziel muss es sein, Konflikte zu deeskalieren und Friedensprozesse zu unterstützen – nicht, Öl ins Feuer zu gießen, indem wir tödliche Waffen liefern.
Es ist an der Zeit, dass wir unsere Prioritäten überdenken und uns von einer Politik der Waffenlieferungen abwenden. Stattdessen sollten wir auf Diplomatie, humanitäre Hilfe und zivile Konfliktlösung setzen. Nur so können wir unserer Verantwortung als Nation gerecht werden und unseren Beitrag zu einer friedlicheren Welt leisten.
Wir müssen uns der Komplexität heutiger Konflikte bewusst sein. Es gibt keine einfachen Lösungen, und in manchen Fällen mag es scheinen, als ob militärische Maßnahmen unvermeidlich sind. Doch wir dürfen uns nicht in die Illusion der einfachen Antworten flüchten. Der Weg zum Frieden ist mühsam und erfordert Geduld, Diplomatie und den Druck der internationalen Gemeinschaft. Wir müssen alle verfügbaren friedlichen Mittel ausschöpfen, bevor wir auch nur daran denken, militärische Optionen in Betracht zu ziehen.
Einfache Antworten, wie eine gesellschaftliche Militarisierung ohne Grenzen, eine Stationierung von Mittelstreckenwaffen oder die Debatte über eine europäische Atombombe tragen in keinster Weise zur Entspannung bei.
Diese Entwicklungen stellen nicht nur eine Gefahr für den Frieden dar, sondern auch für die demokratischen Werte, auf denen unsere Gesellschaft aufgebaut ist.
Mit großer Sorge beobachte ich die Vorschläge des Verteidigungsministers Pistorius, die Wehrpflicht in Deutschland wieder einzuführen. Eine Wehrpflicht, die vor allem junge Menschen in ein System zwingt, das Gewalt und militärische Stärke über Dialog und Diplomatie stellt. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein grundlegendes Menschenrecht ist. Es schützt diejenigen, die aus tiefster Überzeugung gegen den Dienst an der Waffe sind und stattdessen für den Frieden und die Menschlichkeit einstehen. Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht würde dieses Recht untergraben und den Druck auf junge Menschen erhöhen, sich an militärischen Strukturen zu beteiligen, die sie ablehnen.
Die Militarisierung der Gesellschaft ist nicht die Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit. Im Gegenteil: Sie verstärkt die Trennung und den Hass, sie bringt uns weiter weg von einer friedlichen und gerechten Gesellschaft. Der Blick auf die Bundeswehr zeigt, wie gefährlich diese Entwicklung ist. Immer wieder hören wir von rechtsextremen Tendenzen innerhalb der Armee, von Soldaten, die sich an Demokratiefeindlichkeit und an extremistischen Ideologien beteiligen. Diese Tendenzen sind nicht nur inakzeptabel, sie sind eine direkte Bedrohung für unsere Demokratie.
Die Präsenz von Rechtsextremismus in der Bundeswehr ist kein isoliertes Problem, sondern ein Symptom einer tieferliegenden Krankheit: des wachsenden Misstrauens gegenüber demokratischen Institutionen und des zunehmenden Einflusses von extremistischer Propaganda. Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht würde diese Problematik nur verschärfen, indem sie junge Menschen einem System aussetzt, das offenbar nicht in der Lage ist, extremistische Tendenzen effektiv zu bekämpfen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Bundeswehr zu einem Sammelbecken für Demokratiefeindlichkeit entwickelt.
Statt auf Militarisierung und Zwang zu setzen, sollten wir unsere Energie darauf verwenden, Menschen in Not zu schützen. Die Forderung nach Asyl und Schutz für Geflüchtete aus der Ukraine, Russland und Belarus muss an erster Stelle stehen. Diese Menschen fliehen vor Krieg, Unterdrückung und politischen Repressionen. Sie suchen nach Sicherheit und einer Zukunft in Frieden. Ihnen diesen Schutz zu gewähren, ist nicht nur unsere moralische Pflicht, sondern auch ein Zeichen dafür, dass wir für die Werte eintreten, die unsere Gesellschaft ausmachen: Menschenwürde, Freiheit und Demokratie.
Es ist wichtig, dass wir uns gegen die Militarisierung der Gesellschaft aussprechen und uns für eine Politik der Menschlichkeit und des Friedens einsetzen. Eine Politik, die auf Dialog und Diplomatie setzt, anstatt auf Waffen und Gewalt. Eine Politik, die die Rechte von Kriegsdienstverweigernden schützt und ihnen eine Stimme gibt. Und eine Politik, die Geflüchteten Schutz und Sicherheit bietet, anstatt sie zurückzuweisen.
In dieser kritischen Zeit ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Stimmen der NaturFreunde gehört werden. Wir sind einer der letzten großen Verbände in Deutschland, der sich so klar und unmissverständlich für den Frieden einsetzt. Unsere Ortsgruppen und die engagierten Mitglieder vor Ort spielen eine wichtige Rolle dabei, das gesellschaftliche Selbstbild zu prägen und müssen dabei auch oft Widrigkeiten und politischem Kalkül standhalten. Wir sind es, und ihr seid es, die in ihrem Umfeld für Frieden, Verständigung und Solidarität eintreten und so einen wichtigen Beitrag zur Lösung internationaler Konflikte leisten.
Heute stehen wir an einem Scheideweg, an dem es wichtiger denn je ist, über die Bedeutung von Partizipation in unserer Gesellschaft zu sprechen. Unsere Demokratie, die wir so sehr schätzen, lebt von der aktiven Beteiligung ihrer Bürgerinnen und Bürger. Doch immer öfter hören wir den Satz: „Die da oben“. Eine gefährliche Trennung zwischen „uns“ und „denen“, die nicht nur Ausdruck von Politikverdrossenheit ist, sondern auch den Boden für Verschwörungsideologien bereitet.
Diese wachsende Entfremdung zwischen Politik und Gesellschaft ist besorgniserregend. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Stimme nicht mehr zählt, dass Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden, dann verliert unsere Demokratie an Stärke. Dabei sind wir doch alle die Politik – nicht nur die Berufspolitikerinnen und -politiker in den Parlamenten. Eine gesunde Demokratie kann nur dann bestehen, wenn wir uns alle aktiv einbringen, wenn wir gemeinsam Verantwortung übernehmen und diese Verantwortung auch einfordern.
Stärkere Partizipation in der Gesellschaft ist nicht nur eine Frage der Mitbestimmung, sondern auch der Demokratiebildung. Wenn wir uns einbringen, wenn wir uns engagieren, lernen wir, wie demokratische Prozesse funktionieren, wie Kompromisse gefunden und Entscheidungen getroffen werden. Wir lernen, dass Demokratie mehr ist als nur das Kreuz auf dem Wahlzettel – sie ist ein lebendiger Prozess, der täglich von uns allen gestaltet wird.
Dieser Prozess ist auch ein starkes Mittel zur Überwindung autokratischer Tendenzen. Autokratische Systeme leben von der Passivität der Menschen, von der Entfremdung und dem Rückzug ins Private. Doch wenn wir unsere Stimmen erheben, wenn wir uns in politische Prozesse einmischen, dann schwächen wir diese Tendenzen. Partizipation ist ein Bollwerk gegen die Vereinnahmung der Macht durch wenige. Sie ist der Garant dafür, dass Macht stets von der Gesellschaft kontrolliert und verantwortungsvoll ausgeübt wird.
Ein weiteres Argument für eine stärkere Partizipation ist der Kampf gegen die Politikverdrossenheit. Diese Verdrossenheit ist oft das Ergebnis von Frustration, wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Anliegen ignoriert werden. Doch dieser Frust darf uns nicht in die Resignation treiben. Im Gegenteil: Er sollte uns anspornen, uns noch stärker zu engagieren, uns Gehör zu verschaffen und die Politik mitzugestalten. Denn je mehr Menschen sich einbringen, desto weniger Raum bleibt für das Narrativ der „da oben“, das nur dazu dient, die Spaltung in unserer Gesellschaft zu vertiefen.
Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Spaltung größer wird. Wir müssen Brücken bauen – zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und den politischen Institutionen, kommual, regional, national. Es liegt an uns, die Distanz zu überwinden und die Politik wieder als das zu begreifen, was sie sein sollte: Ein gemeinschaftliches Projekt, das auf dem Dialog, auf dem Austausch und auf der Beteiligung aller basiert.
Dabei ist es entscheidend, dass wir erkennen: Demokratie ist kein fertiges Produkt, das uns geliefert wird. Sie ist ein ständiger Prozess, den wir aktiv mitgestalten müssen. Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass andere das schon für uns übernehmen. Es ist unsere Aufgabe, Verantwortung zu übernehmen und uns einzumischen.
Lasset uns die Politik sein. Lasst uns nicht nur Zuschauer sein, sondern Akteure in unserer Demokratie. Denn nur so können wir sicherstellen, dass die Politik wirklich die Interessen der Menschen vertritt und nicht in die Hände weniger gerät oder dem Wirtschaftslobbyismus verfällt. Nur so können wir eine lebendige, starke Demokratie schaffen, die in der Lage ist, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern.
Lasst uns heute daran erinnern, dass der Frieden nicht einfach vom Himmel fällt. Er wird durch unsere täglichen Entscheidungen und unser Engagement gestaltet. Wir, die NaturFreunde, stehen für eine Welt ohne Krieg, für eine Welt, in der Diplomatie, Zusammenarbeit und Gerechtigkeit die oberste Priorität haben. Lasst uns gemeinsam dafür kämpfen, dass diese Vision Wirklichkeit wird.
Vielen Dank.
Yannick Kiesel ist Mitglied des Bundesvorstandes der Naturfreunde Deutschlands.