- den syrischen Frühling unterstützen

Adopt a Revolution

von André Find

Der Aufstand in Syrien gegen das diktatorische Regime von Bashar Al Assad dauert bereits seit Mitte März des vergangenen Jahres an. Ausgehend von der Festnahme und Folter einiger Kinder, die in Daraa regimekritische Graffiti an eine Wand gemalt hatten, breitete sich der Protest gegen das Regime wie ein Lauffeuer über das ganze Land aus. Denn schon die kleine Demonstration der Eltern wurde auf Befehl des Gouverneurs der Stadt durch Schüsse in die Menge aufgelöst – für die AktivistInnen nur ein Beispiel dafür, wie das Assad-Regime Syrien seit mehr als 40 Jahren vor allem mit Einschüchterung und Angst regiert hatte.

Doch obwohl die Brutalität des Regimes nach über 6.000 Toten und Zehntausenden Inhaftierten und Gefolterten weiter zunimmt – über die Weihnachtsfeiertage rückte das Militär mit Panzern in die Stadt Homs ein, um gegen die Bevölkerung vorzugehen – schafft es der Protest der BürgerInnen, weitgehend friedlich zu bleiben. Das Rückgrat dieses gewaltfreien Aufstands bilden die Lokalen Komitees, die sich inzwischen in nahezu allen syrischen Städten gegründet haben. Sie sind in der Regel geschlechterübergreifend, multi-ethnisch und multi-konfessionell organisiert und versuchen religiöse und ethnische Spannungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Syrien zu verhindern. Die Komitees übernehmen es auch, Proteste, Demonstrationen und Streiks zu organisieren und eine militärische Eskalation des Aufstands zu verhindern.

Obwohl das wirtschaftliche Leben in Syrien durch Proteste der Opposition und Sanktionen weitgehend lahm gelegt ist, hält sich die Regierung derzeit noch fest im Sattel. Sie stützt sich auf mehrere Geheimdienste und einen Militärapparat, der gegen Deserteure mit äußerster Brutalität vorgeht und die Verweigerung des Schießbefehls sofort mit dem Tod bestraft. Damit scheint sich die politische Situation in Syrien nicht so schnell zu entwickeln wie in anderen Staaten des arabischen Frühlings, wo das Militär sich schnell auf die Seiten der Proteste schlug und die diktatorischen Regimes beendete. Ob die Proteste für Demokratie und Menschenrechte erfolgreich sein werden und ob der Syrische Frühling weiter von friedlichen Protesten ausgemacht wird oder in einen blutigen Bürgerkrieg abdriftet, das wird vor allem von der Ausdauer und der beständigen Arbeit der Lokalen Komitees abhängen.

Die Proteste aus der Zivilgesellschaft heraus stärken
Nach Monaten der Proteste und der sich zuspitzenden Sicherheitslage haben viele der rund 300 Komitees eine Belastungsgrenze erreicht – psychisch, wie auch materiell-finanziell. Immer mehr Mitglieder der Komitees müssen im Untergrund leben, regelmäßig umziehen, ihre Arbeitsstellen aufgeben und Kontakte zu Angehörigen abbrechen, um nicht selbst Opfer der Sicherheitsbehörden zu werden. Zugleich müssen immer mehr Gefangene betreut und für ihre Freilassung gestritten werden, verletzte DemonstrantInnen müssen in Untergrundkrankenhäusern behandelt und Hinterbliebene versorgt werden – alles Aufgaben, die vornehmlich die Lokalen Komitees übernehmen.

Zwar wird die humanitäre Hilfe für medizinische Versorgung, Hinterbliebene oder Flüchtlinge bereits von mehreren Organisationen unterstützt; ein Defizit besteht derzeit insbesondere in der Unterstützung der politischen Arbeit der Komitees, die wie kein zweiter Akteur des syrischen Aufstands für Menschenrechte und eine offene, demokratische Gesellschaft eintreten. An dieser Stelle setzt das Projekt „Adopt a Revolution“ an. Seit Mitte Dezember unterstützt die Initiative aus syrischen und deutschen AktivistInnen die Arbeit der Lokalen Komitees finanziell und durch Kontakte, um ein gegenseitiges Verständnis zwischen syrischer und deutscher Zivilgesellschaft herzustellen. Durch so genannte „Revolutionspatenschaften“ werden Kontakte hergestellt, die auch nach einem möglichen Ende des Assad-Regimes für den Aufbau einer starken Zivilgesellschaft in Syrien genutzt werden sollen.

RevolutionspatInnen sollen dabei Gruppen und Individuen werden, die mit ihrer Spende die Arbeit eines selbst gewählten Lokalen Komitees finanziell unterstützen. Im Gegenzug berichten die AktivistInnen der unterstützten Komitees im Abstand von höchstens sechs Wochen von ihrer Arbeit und machen damit die Situation im weitgehend abgeschotteten Syrien verständlicher. Je nach Größe, Bedeutung und Aufgaben benötigen die Lokalen Komitees für ihre politische Arbeit zwischen 300 und 800 Euro monatlich. Die PatInnen werden spezifisch über die Gruppen informiert, für die sie gespendet haben, und bekommen die Möglichkeit, in einen möglichst direkten Austausch (auch) über politische Ziele mit dem unterstützten Komitee zu gehen.

Mit dieser Initiative entstand eine Möglichkeit für die Zivilgesellschaft, sich in die Proteste des arabischen Frühlings einzubringen. Während die Demonstrationen für Demokratie und Menschenrechte mit Sympathie verfolgt wurden, hielt sich die hiesige Zivilgesellschaft aus dem Konflikt „auf der Straße“ in Syrien weitgehend heraus, wie bei eigentlich allen innerstaatlichen politischen Konflikten seit den Jugoslawienkriegen. Am Beispiel Syriens ist zu erkennen, dass es hierzulande zwar ein großes Interesse gibt, Demokratie und Menschenrechte, Stabilität und eine offene Zivilgesellschaft in anderen Ländern zu fördern; doch in einem Konflikt bewusst Partei zu ergreifen, um diese Ziele zu erreichen, dafür fehlt häufig der Mut. Im Gegenteil: Weil „Intervention“ so stark mit dem Adjektiv „militärisch“ in Verbindung gebracht wird, lehnen viele Menschen eine Beeinflussung von innerstaatlichen Konflikten sogar explizit ab – gemäß dem Motto, es solle doch jedeR nach der eigenen Fasson glücklich werden.

Doch diese Nicht-Einmischung könnte in Syrien die weithin abgelehnte militärische Eskalation, den Bürgerkrieg sogar erst mit sich bringen: Seit beständig Soldaten aus der regulären syrischen Armee desertieren und sich der sogenannten Freien Syrischen Armee anschließen, droht die Gefahr, dass als bewaffneter Konflikt zwischen verschiedenen Ethnien, Konfessionen oder (davon nicht vollständig zu trennen) Anhängern des Regimes und seinen Gegnern endet, was als friedlicher Protest gegen das diktatorische Assad-Regime begann. Wenn die Armee aus desertierten Soldaten auch politisch gegenüber den explizit gewaltfreien Lokalen Komitees an Einfluss gewinnt, wird dieses Szenario immer wahrscheinlicher.

Für eine friedliche Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten muss die Zivilgesellschaft hierzulande also den Weg der „Intervention“ gehen: Mit einer Stärkung der friedlichen Komitees, die auch prominent im Syrian National Council, dem Syrischen Übergangsrat, vertreten sind, kann eine militärische Eskalation durch Bewaffnung des Aufstands am ehesten verhindert werden. So wiesen die beiden größten Netzwerke der Lokalen Komitees, die Local Coordination Committees of Syria und die Syrian Revolution General Commission, in der Vergangenheit die Strategie der Freien Syrischen Armee zurück, durch gezielte Angriffe die Sicherheitsbehörden des Assad-Regimes militärisch zu schwächen. Ziel muss folglich eine „zivilgesellschaftliche Intervention“ sein, die ihren Beitrag leistet, um eine blutige Fortentwicklung der Proteste in Syrien zu verhindern.

Dabei stellen die Lokalen Komitees am ehesten die Akteure dar, die es zu unterstützen gilt: Sie stehen für gesellschaftliche Freiheit und Demokratisierung auch nach einem möglichen Ende des Assad-Regimes ein. Häufig von engagierten BürgerInnen als Nachbarschaftsinitiativen gegründet, stellen die Komitees schon jetzt das stärkste Beispiel einer Demokratisierung in Syrien dar: Galt das Land wegen der politischen Verfolgung durch die Geheimdienste bislang als äußerst segregiert und von Angst regiert, hat sich die Realität in den letzten Monaten grundlegend gewandelt. Die Arbeit der Komitees baut auf einem weit verzweigten Netz von UnterstützerInnen auf, das sich inzwischen weit gesponnen hat, um offene politische Diskussionen zu ermöglichen. Debatten über Demokratie, Rechtsstaat, Toleranz zwischen den Religionen und Ethnien werden regelmäßig von den Lokalen Komitees angestoßen und durchgeführt.

Um der Propaganda des Assad-Regimes und der gezielten Unterwanderung von ausländischen politischen Kräften keinen Vorschub zu leisten, haben sich weite Teile der syrischen Zivilgesellschaft entschlossen, zu diesem Zeitpunkt keine Unterstützung von staatlichen Akteuren aus dem Ausland anzunehmen. Die Unterstützung für ihre Arbeit erhalten die AktivistInnen derzeit vor allem von Verwandten, aus der Nachbarschaft oder von Exil-SyrerInnen. Doch die leisten bereits alles, was sie beitragen können, so dass eine „zivilgesellschaftliche Intervention“ gerade jetzt als wichtiger zusätzlicher Impuls aufgenommen wird, um eine militärische Eskalation in Syrien zu verhindern und Demokratie und Menschenrechten zum Durchbruch zu verhelfen.

Weitere Informationen zu Adopt a Revolution im Internet unter: http://www.syrischer-fruehling.de

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André Find ist Mitinitiator des Projekts Adopt a Revolution.