Dokumentation: Zur rechtlichen Beurteilung des Irak-Krieges

Aggression

von Professor Dr. Theodor Schweisfurth

(red/ms) Nachstehend dokumentieren wir stark gekürzt den Artikel "Aggression" von Prof. Th. Schweisfurth aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 28.4.2003. Schweisfurth versucht eine völkerrechtliche Berurteilung des US-geführten Krieges gegen den Irak. Er verweist insbesondere auf einen Aspekt, der in sonstigen völkerrechtlich orientierten Stellungnahmen übersehen wird oder zu kurz kommt: Wenn gegen die neue US-Präventivkriegsstrategie, die mit dem Irak-Krieg ihre erste ausdrückliche Anwendung fand, keine Proteste aus der übrigen Staatenwelt geltend gemacht werden, wird dieser Krieg rechtlich als Fortschreibung des Völkergewohnheitsrechtes in die Geschichte eingehen und damit Recht fortschreiben - nach dem alten Motto "Das Recht folgt der Macht". Deshalb ist - auch im Nachhinein dieses Krieges - dessen öffentliche Verurteilung durch möglichst viele Staaten, vielleicht auch durch die UN-Generalversammlung, notwendig. Die Friedensbewegungen sollten auf ihre jeweiligen Regierungen Einfluss nehmen und eine solche völkerrechtliche Verurteilung einfordern. Dazu ist auch die Bundesregierung bislang nicht bereit, d.h. sie stützt mit ihrer jetzigen Haltung die Unterminierung des geltenden Völkerrechtes, insbesondere des ausdrücklichen Gewaltverbotes in der UN-Charta. Dies muss die Friedensbewegung öffentlich skandalisieren und an der Forderung nach einer völkerrechtlichen Verurteilung des Irak-Krieges unvermindert festhalten.

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Irak war das Opfer eines bewaffneten Angriffs und hat gemäß Artikel 51 SVN (Satzung der Vereinten Nationen) das Recht auf Selbstverteidigung. Drittstaaten hätten dem Irak, sofern dieser es gewollt hätte, in Ausübung des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung beistehen können. Diese nach Artikel 51 SVN rechtlich mögliche Option war jedoch praktisch-politisch unmöglich. Wenige Staaten dürften auch nur in Erwägung gezogen haben, das Regime Saddam Husseins zu unterstützen. Vor allem aber hat kein Staat ein Interesse daran, der hochgerüsteten Supermacht Vereinigte Staaten militärisch entgegenzutreten. Die unverantwortlichen Konsequenzen einer militärischen Beistandsleistung zugunsten des Irak liegen auf der Hand: Der Angriff vom 20. März 2003 hätte zum Datum für den Beginn des dritten Weltkrieges werden können.

Drittstaaten hätten aber, ohne sich in den bewaffneten Konflikt hineinzubegeben, nichtmilitärische "Gegenmaßnahmen" (countermeasures) ergreifen können. Gegenmaßnahmen (traditionell Repressalien genannt) kann zwar grundsätzlich nur der verletzte Staat ergreifen. Besteht jedoch die völkerrechtswidrige Handlung in einem Bruch zwingenden Völkerrechts, dann sind auch Drittstaaten zu Gegenmaßnahmen berechtigt. Drittstaaten waren deshalb zum Beispiel berechtigt, bestehende Überflugrechte oder Transitrechte der Angreiferstaaten zu suspendieren.

Drittstaaten sollten aber auch bedenken, dass "ein Staat, der einem anderen Staat bei der Begehung einer völkerrechts-widrigen Handlung Beihilfe leistet oder Unterstützung gewährt", dafür völkerrechtlich verantwortlich ist (so Artikel 16 der von der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen angenommenen Artikel über "Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen", Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 12. Dezember 2001 - A/RES/56183). Die Nichtsuspendierung bestehender und erst recht die Einräumung von Überflug- oder Transitrechten sowie sonstige Unterstützungsleistungen zugunsten der Interventionsmächte sind ebenfalls völkerrechtswidrige Handlungen. Die Türkei hat durch die Nichtgewährung der von den Vereinigten Staaten gewünschten Transitrechte eine völkerrechtswidrige Beihilfe verweigert.

Die Interventionsmächte haben mit dem "Militärschlag" gegen den Irak überdies den Tatbestand der Aggression erfüllt, der in der Generalversammlungs-Resolution von 1974 definiert worden ist. Nach dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs von 1998 gehört die Aggression zu den "schwersten Verbrechen", über die der Internationale Strafgerichtshof aber derzeit noch keine Gerichtsbarkeit ausübt. Da im übrigen die Vereinigten Staaten nicht Vertragspartei des Statuts sind, können ihre Staatsangehörigen, die den "Militärschlag" initiiert haben, international nicht zur Verantwortung gezogen werden.

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Die in der National Security Strategy von den Vereinigten Staaten beanspruchte Befugnis zu einer "preemptive action" bezieht sich nicht nur auf den aktuellen Irak-Konflikt. Ihr Ziel reicht weiter. Sie will das geltende Gewaltverbot aus den Angeln heben, so dass Präventivkriege gegen "Schurkenstaaten" künftig legal sind.

Geltendes Völkerrecht kann durch neu entstehendes Völkergewohnheitsrecht geändert werden. Dieses entsteht durch eine weitverbreitete Staatenpraxis, die von der allgemeinen Überzeugung begleitet wird, dass diese Praxis rechtmäßig sei.

Noch ist die Inanspruchnahme einer Befugnis zur "preemptive action" nichts als eine Rechtsbehauptung. Aber mit Rechtsbehauptungen eines Staates fängt die Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht regelmäßig an. Noch liegt auch eine "weitverbreitete Staatenpraxis" nicht vor. Wenn es aber den Vereinigten Staaten gelingt, "die anderen Staaten von der Rechtmäßigkeit ihres Präventivschlages zu überzeugen, entsteht neues Recht - jedenfalls dann, wenn diese Praxis sich mit Billigung der meisten Staaten fortsetzt. Es kann schon ausreichen, dass andere Staaten es unterlassen, gegen den amerikanischen Angriff zu protestieren. Denn ihr Verhalten könnte als stillschweigendes Einverständnis" mit der amerikanischen Rechtsbehauptung "gedeutet werden". (Dietrich Murswiek, Die amerikanische Präventivkriegsstrategie und das Völkerrecht, NJW 2003, 1014, 1018.)

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"Staaten, die verhindern wollen, dass das Selbstverteidigungsrecht zu einem Recht auf den Präventivkrieg ausgeweitet wird, sollten also laut und deutlich protestieren und den amerikanischen Angriff als völkerrechtswidrig bezeichnen" (Murswiek). Alle Staaten haben dazu Gelegenheit - außerhalb und innerhalb der Vereinten Nationen: Im Sicherheitsrat oder in der Generalversammlung können sie zu Protokoll geben, dass der Angriff gegen den Irak ein schwerwiegender Bruch des Völkerrechts ist.

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Es wäre ein makabrer Sieg des internationalen Terrorismus, wenn seine schrecklichen Gewalttaten letztlich zum Zusammenbruch des Friedenssicherungsrechts der Vereinten Nationen führten.

Quelle: FAZ, 28.04.03, Seite 10
 

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Theodor Schweisfurth ist Emeritus für Völkerrecht an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).