5000 demonstrieren gegen die NATO-Kriegs-Verantwortlichen

„An ihren Händen klebt Blut“

von Claus Schreer
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Während im Luxushotel Bayerischer Hof die Außen- und Militärpolitiker der NATO-Staaten zusammenkamen, um sich mit Vertretern der Wirtschaft und des Finanzkapitals über so genannte Sicherheitsstrategien zu verständigen, demonstrierten im Zentrum Münchens mehr als 5000 Menschen gegen die NATO-Kriegspolitik und forderten den sofortige Abzug der Bundeswehr und aller NATO-Truppen aus Afghanistan.

„Diesen NATO-Politikern, Kriegsstrategen und Waffenhändlern können wir unsere Sicherheit nicht überlassen“, erklärte Walter Listl in seiner Eröffnungsrede für das Demonstrationsbündnis, „denn an ihren Händen klebt Blut, das Blut von Hunderttausenden Opfern ihrer Kriege gegen Jugoslawien, gegen Afghanistan und den Irak.“

An der Demonstration beteiligten sich Exilgruppen aus Afghanistan, Äthiopien und Ägypten, aus den besetzten gebieten Palästinas, aus der Türkei und Kurdistan, und aufgrund der aktuellen Entwicklungen in den arabischen Ländern wurden die Proteste gegen die NATO-Kriegsstrategen gleichzeitig zu einer Manifestation der Internationalen Solidarität. Unter großem Beifall erklärten alle Kundgebungs-RednerInnen ihre Solidarität mit den Millionen Menschen, die in Ägypten und anderen Ländern des Nahen Ostens für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte kämpfen und gegen die despotischen Regimes in ihren Ländern aufstehen.

USA und EU: Steigbügelhalter der arabischen Diktatoren
Die NATO-Strategen im Bayerischen Hof waren, wie es der NATO Oberbefehlshaber Stavridis ausdrückte, „über die Ereignisse sehr beunruhigt“, Konferenzleiter Ischinger sprach von „einer schwierigen Gratwanderung für den Westen“. Deutschland, die USA und die EU-Staaten saßen in der Zwickmühle. Einerseits war das Mubarak Regime bisher der wichtigste strategische Verbündete des Westens im Nahen Osten, andererseits aber konnte man sich schlecht gegen die Forderungen der Massen nach Demokratie und Freiheitsrechten stellen.

Frank Wisner, ehem. US-Botschafter, den US-Präsident Barack Obama als Sondergesandten nach Kairo geschickt hatte, stellte sich eindeutig auf Mubaraks Seite. "Wir sollten einen Mann mit Respekt behandeln, der uns für viele Jahre ein guter Freund war", sagte er. "Mubaraks Rolle bleibt absolut zentral für den Übergangsprozess, es ist der ideale Moment für ihn, um einen Weg nach vorn zu weisen." Diese Position wurde zwar auf der SIKO nicht offiziell unterstützt, andererseits wollte sich auch niemand dazu durchringen, den sofortigen Rücktritt  Mubaraks zu fordern. Stattdessen wurde vor einem überstürzten Machtwechsel gewarnt.

Tobias Pflüger (IMI) und Sevim Dagdelen (MdB-Die Linke) übten scharfe Kritik an der Heuchelei der Bundesregierung und ihrer Komplizenschaft mit den diktatorischen Herrschern in den arabischen Staaten. Jahrzehntelang hätte Deutschland das Mubarakregime unterstützt und die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen geduldet. Ägypten ist – nach Israel – mit rund zwei Milliarden Dollar pro Jahr der weltweit größte Empfänger amerikanischer Dollarhilfen. 1,3 Milliarden Dollar Militärhilfe fließen jedes Jahr von Washington nach Kairo. Auch Deutschland sorgte sich bislang rührend um das Wohlergehen der ägyptischen Diktatur. Ägypten steht auf Rang eins aller Entwicklungsländer, die mit deutschen Waffen beliefert werden. Die Summe der genehmigten Waffenexporte hat sich von 2008 auf 2009 auf 77,5 Millionen Euro nahezu verdoppelt. Menschenrechte spielen bei diesen Waffengeschäften keinerlei Rolle.

Hard-Power, erste Priorität der NATO
Mit dem Hinweis auf die gestiegenen Verteidigungsbudgets in China warnte NATO-Generalsekretär Rasmussen vor sich abzeichnenden „Tektonischen Plattenverschiebungen“. Angesichts dieser Entwicklungen sei nicht nur die Weltwirtschaft, sondern auch die Weltordnung in Gefahr. „Wir müssen verhindern“, sagte er, „dass die Finanzkrise zu einem Sicherheitsrisiko wird“. Die NATO braucht Streitkräfte, „die schnell reagieren und eingesetzt werden können“.

China - eine militärische Bedrohung für den Westen? Dieses Märchen dient ausschließlich dazu, die astronomischen Summen der NATO-Militärausgaben von 990 Mrd. Dollar zu rechtfertigen. Das Militärbudget Chinas liegt dagegen derzeit bei weniger als 8 Prozent der NATO-Militärausgaben und das Atomwaffenarsenal der NATO-Staaten ist um das 14-fache größer als das Chinas.

In geradezu dramatischen Worten warnte Rasmussen die Europäischen NATO-Verbündeten vor weiteren Kürzungen ihrer Militärausgaben. „Wenn man sich entscheidet zu sparen, dann muss man es auf kluge Weise tun – denn wenn die Einschnitte zu tief sind, werden wir nicht in der Lage sein, die Sicherheit zu verteidigen, auf der unsere demokratischen Gesellschaften und unsere Wirtschaft aufbauen."

Als Vorbild für andere europäische Staaten verwies Guttenberg auf seine „Wehrreform“, durch die die Bundeswehr schlanker, aber trotzdem „leistungsfähiger, professioneller und wirksamer“ für zukünftige Kriegseinsätze werden soll. Deutschland wolle sein „strategisches Gewicht in der Allianz verbessern“ und dies erfordere „robuste Streitkräfte, auch wenn das nicht immer gerne gehört wird“.

Krisenverursacher als Problemlöser
Auch in der Debatte über die Auswirkungen der Finanzkrise ging es um die Aufrechterhaltung der militärischen Fähigkeiten der NATO. Teilnehmer waren u.a.: Mohammed El-Erian, der als Chief Executive Officer der Allianz Group Investment Gesellschaft PIMCO derzeit etwa 600 Milliarden US-Dollar verwaltet, der Milliardär und Hedgefondmagnat George Soros und der, Weltbank-Präsident Robert Zoellick.Neben Lippenbekenntnissen „für nachhaltiges Wachstum und nachhaltige Beschäftigung“ und dafür dass die „Staatsschulden reduziert“ werden müssten, wurden genau die Rezepte angeboten, die die Krise verursacht und die Staatsverschuldung in astronomische Höhen getrieben hatten: Der Weltbankpräsident forderte, „mehr Verantwortung an den privaten Sektor“ zu übertragen, und George Soros erklärte, dass „Privatkredite durch Staatskredite ersetzt“ werden müssten. Einigkeit herrschte darüber, dass in Krisenregionen zwar Strukturinvestitionen erforderlich seien, auf militärische Maßnahmen jedoch nicht verzichtet werden könne. Angesichts der globalen Herausforderungen warnte der Milliardär Soros nachdrücklich vor einer Senkung der Militärbudgets.

Nukleare Abrüstung als Feigenblatt-Thema und Drohungen gegenüber dem Iran
Russlands Außenminister Sergei Lavrov und US-Außenministerin Hillary Clinton schmückten Ischingers Konferenz mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden des „New START“ Vertrages, der dadurch mit mehr als einem Jahr Verspätung in Kraft gesetzt wurde. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gratulierte den Präsidenten Medvedev und Obama für ihre "visionäre Führung und ihr Engagement, die nukleare Abrüstung voranzutreiben“, und Außenminister Westerwelle sprach von einen "sehr bedeutenden Tag für die Abrüstung."

Davon kann überhaupt nicht die Rede sein. Beide Atomsupermächte behalten, auch wenn sie innerhalb von sieben Jahren ihre strategischen Nuklearwaffen auf 1550 Sprengköpfe reduziert haben, ihre atomare Monopolstellung gegenüber allen anderen Staaten. Zu weiteren Begrenzungen in Richtung der „Vision einer Welt ohne Atomwaffen“ gibt es bisher keinerlei Bereitschaft. Auf der SIKO gab es dazu nicht die leisesten Andeutungen, im Gegenteil: Mit dem Aufbau der NATO-Raketenabwehr werden weitere Schritte zur atomare Abrüstung sabotiert Geredet wurde auf der SIKO über einen Abwesenden: den Iran. US-Außenstaatssekretärin Ellen Tauscher forderte von der iranischen Staatsführung Schritte zu einer erkennbaren Kooperation hinsichtlich des umstrittenen Nuklearprogramms. Dem Westen bliebe sonst keine andere Wahl, als noch schärfere Sanktionen zu beschließen.

Die Forderungen des Westens müsste mit einem Paket von Sanktionen begleitet werden, forderte auch der SPD-Vorsitzende Steinmeier. Der Iran müsse an den Verhandlungstisch zurückkehren, erklärte er und drohte: „Das Fenster dieser Möglichkeit wird aber nicht ewig offen stehen“.

Truppenabzug aus Afghanistan entpuppt sich als Täuschungsmannöver
Während alle Politiker inklusive der Medien der Öffentlichkeit den baldigen Truppenabzug aus Afghanistan verkünden, sorgte der deutsche Militärminister auf der SIKO für Klarstellung. Einen Truppenabzug werde es erst geben, sagte Guttenberg, „wenn er verantwortbar ist und die Lage es erlaubt“. Außenminister Westerwelle, der bisher das Jahr 2011 als Beginn des Truppenabzugs verkündet hatte, erklärte im Bayerischen Hof genau das gleiche: „Wir wollen unsere Kräfte reduzieren, sobald es die Lage erlaubt. Keine Reduzierung darf die verbleibenden Soldatinnen und Soldaten in zusätzliche Gefahr bringen, weder die deutschen noch die unserer Verbündeten. Wir sind gemeinsam reingegangen, wir werden gemeinsam rausgehen, wenn unsere gemeinsame Aufgabe erfüllt ist“.

Diese „Aufgabe“ wird auch in weiteren zehn Jahren nicht erledigt sein. Weitblickend verkündete US-Senator Joe Liebermann, für die USA würden „grundlegende Interessen auf dem Spiel stehen“. Afghanistan sei der „entscheidende Ort, wo wir uns langfristig mit strategischen Investitionen engagieren, die über 2014 hinausgehen“. Dabei verwies er auf den mit Karsai in Lissabon abgeschlossenen Vertrag, der vorsieht, dass NATO-Truppen dauerhaft in Afghanistan stationiert bleiben.

„Raus aus Afghanistan, raus aus der NATO, Schluss mit dem neokolonialen Militarismus ...
... das ist es, was wir heute den Herren Ischinger und Co. zu sagen haben“. Mit diesen Worten begann Eugen Drewermann seine beeindruckenden Rede auf der Abschlusskundgebung der Demonstration gegen die NATO-Kriegsstrategen.

„Wir stehen hier auf dem Marienplatz in München, weil im Berliner Reichstag und im Bayerischen Hof Volksvertreter sitzen, die ihr Volk nicht vertreten. Jeder weiß, dass die Sicherheit von Europa oder Amerika nicht von Afghanen bedroht wird, seit mehr als 200 Jahren ist von diesem Land kein Krieg ausgegangen, aber Afghanistan hat fünf Kriege durch europäische Mächte erlebt“.

Die Sicherheit, von der die Politiker immer reden, sagte Drewermann, sei „nicht der Schutz der deutschen Bürger im In- und Ausland. Sicherheit ist für sie der Schutz unserer Finanz- und Wirtschaftsinteressen. Dafür zu morden, dafür zu sterben ist unwürdig eines jeden Menschen. Doch der verlogen begründete Krieg wird verlogen weitergeführt. Immer noch wird sogar im Bundestag erzählt, dass wir dabei sind, Brücken zu bauen, Brunnen zu bauen, Häuser zu bauen, Schulen zu bauen. Bitteschön, das könnten wir und täten wir tatsächlich nur dieses, Afghanistan wäre ein Paradies des Friedens“.

Die wirklichen Kriegsgründe, sagte Drewermann, seien ganz andere. „Der Krieg in Afghanistan wird geführt für die beiden Erdöl-Pipelines, und um den Fuß in die Tür zwischen Indien und China zu bekommen, aus rein geostrategischen Gründen. Weltmachtansprüche verdienen aber nicht den fortgesetzten Mord von Menschen“.

Seine Rede, von der hier nur ein sehr kurzer Auszug wiedergegeben ist, beendete Eugen Drewermann mit den Worten: „Machen Sie um Himmels Willen so weiter. Wir müssen hier so lange bleiben, bis die weg sind“.

Den ganzen Text finden Sie auf der Bündnis Web-Seite: www.sicherheitskonferenz.de

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Claus Schreer ist Pressesprecher des Aktionsbündnisses gegen die NATO-Kriegstagung.