Die AfD im Hochflug – was steckt dahinter?

Analyse der Wahlerfolge der AfD

von Beate Küpper
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Bei der jüngsten Europawahl am 9. Juni 2024 kam die Partei Alternative für Deutschland (AfD) auf 15,9 Prozent des Stimmenanteils in Deutschland und liegt damit auf Platz zwei hinter der Union. Sie erreicht damit ein Plus von 4,9 Prozent zur vergangenen Wahl 2019, dies trotz diverser Skandale und dem chaotischen Wahlkampf mit einem Spitzenkandidaten, der nicht mehr für die Partei auftreten durfte und seitdem aus der Fraktion ausgeschlossen ist.

Das Wahlergebnis war letztlich jedoch nicht ganz so hoch, wie zunächst erwartet. Nach zunächst kontinuierlich anteigendem Verlauf seit Juni 2022 wuchs der Zuspruch zur AfD seit Juni 2023 rasant. Diese Entwicklung scheint zunächst gestoppt und rückläufig. Welchen Einfluss hierauf die Skandale wie die Veröffentlichung des Rechercheteams Correctiv zu den (an sich bereits bekannten) „Remigrationsplänen“ auch von Führungskräften der AfD Anfang des Jahres und die nachfolgende große Protestwelle für Demokratie und oftmals explizit gegen die AfD gespielt haben, ist offen. Derzeit – Stand Juni 2024 – liegen die Prognosen mit bundesweit 17 Prozent Wählerstimmen, wären am nächsten Sonntag Bundestagswahlen, auf ähnlichem Niveau wie ein Jahr zuvor. Deutlich höher ist der Zuspruch im Osten der Republik. Bei den jüngsten Kommunal- und Kreistagswahlen konnte die Partei fast durchweg mehr als ein Viertel der Stimmen für sich verbuchen, mancherorts kam sie sogar auf rund 40 Prozent. Die Prognosen für die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September liegen ähnlich hoch.

Parallel zum Zuspruch zur AfD nehmen Hass und Hetze, Bedrohung und Gewalt gegen alle jene zu, die sich für die liberale Demokratie und eine offene Gesellschaft engagieren und/oder die sozialen Gruppen zugewiesen werden, die als „anders, fremd, unnormal“ betrachtet werden. Zu ersteren gehören politisch Engagierte, die als „links-rot-grün-versifft“ (so Alexander Gauland, der ehemalige Bundesvorsitzende der Partei) erachtet werden (1), zuletzt auch jene, die als Wahlkämpfer*innen unterwegs waren, ebenso Angriffe auf zivilgesellschaftliche Akteure der Demokratiearbeit, deren Engagement erschwert und diskreditiert, die im schlimmsten Fall auch tätlich angegriffen werden. Zu letzteren gehören Personen, die markierten Minderheiten zugewiesen werden und die antisemitisch, rassistisch, homophob oder sexistisch attackiert werden. Polizei- und Verfassungsschutz berichten über deutlich gestiegene Hasskriminalität, zugleich über Zulauf zu rechtsextremen Gruppierungen. (2)

Flirt mit dem Rechtsextremismus
Warum geben so viele Wähler*innen einer Partei ihre Stimme, die in etlichen Teilen vom Verfassungsschutz inzwischen als rechtsextrem eingeschätzt wird und deren Personal bisweilen höchst fragwürdig ist, die mancherorts gar nicht genügend Kandidat*innen aufstellen kann? Und wie hängt Gewalt damit zusammen?

„Die Menschen wählen die AfD aus Protest“ – das war eine lange beliebte Antwort. In einer Nachwahlbefragung des ARD Deutschlandtrends nach der Bundestagswahl 2021 hatten dies viele der AfD-Wählerinnen so kundgetan. Nun ist Protest im politischen Raum nie unpolitisch, erst recht nicht, wenn die Begründung ist, gegen die aktuelle Regierung oder gar das gesamte Angebot der demokratischen Parteien zu sein. Die AfD wird nicht gewählt, obwohl sie mit dem Rechtsextremismus flirtet, sondern weil. Ein Großteil ihrer Sympathisant*innen vertritt ähnliche Einstellungen: 21 Prozent derjenigen, die in der letzten Mitte-Studie 2022/23 angaben, der AfD ihre Stimme geben zu wollen oder bereits mit dem Gedanken gespielt zu haben, vertreten ein rechtsextremes Weltbild, weitere 47 Prozent liegen in einem Graubereich, äußern sich nicht klar demokratisch. Unter jenen, die nicht mit der AfD sympathisieren, sind dies nur 6 respektive 16 Prozent. Die Mitte-Studie, aus der im Folgenden berichtet wird, erfasst im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung regelmäßig demokratiegefährdende und rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung. (3) Unter rechtsextremen Einstellungen wird unter anderen die Befürwortung einer Diktatur – darunter die Forderung nach einem starken Führer und einer einzigen Partei, die das Volk insgesamt verkörpere –, die Verharmlosung des Nationalsozialismus und Sozialdarwinismus, der „Völkern von Natur aus“ unterschiedliche Wertigkeit zuschreibt, subsummiert. Eng damit verknüpft ist zum einen das ausgeprägte Misstrauen in demokratische Institutionen und Prozesse, zum anderen die Billigung politischer Gewalt zur Durchsetzung eigener Interessen und Vormachtstellung. 22 Prozent der AfD-Anhänger*innen billigen Gewalt im politischen Raum, unter jenen ohne Sympathie für die Partei tun dies nur 7 Prozent. Rund ein Drittel der AfD-Anhänger*innen stimmt beispielsweise der Aussage zu: „Einige Politiker haben es verdient, wenn die Wut gegen sie auch schon mal in Gewalt umschlägt“, unter den anderen tut dies nur knapp jeder zehnte. Ähnlich hoch liegt die Zustimmung zur Aussage „Wenn andere sich bei uns breit machen wollen, muss man ihnen unter Anwendung von Gewalt zeigen, wer Herr im Hause ist“, bei der es um Dominanz und Vorherrschaft geht.

Nicht nur aus den unteren Schichten
Sind AfD-Wähler*innen sozial Abgehängte, die aus schierer Verzweiflung der Partei ihre Stimme geben? Auch diese Vermutung ist nur teilweise richtig. Ja, ein überproportional hoher Anteil von Personen aus prekären Lebenslagen – Armut, Arbeitslosigkeit – geben der Partei ihre Stimme. Aber der Großteil der Wählerschaft kommt aus der unteren bis mittleren Mittelschicht, es finden sich auch etliche Bespiele von Gutverdienenden bis zu sehr Reichen, die die Partei etwa auch mit Geld unterstützen. Der Einwand, sie sorgten sich um einen möglichen sozialen Abstieg, trifft es auch nur bedingt, der Vorschlag, es brauche mehr soziale Umverteilung und Solidarität, verbunden mit der Hoffnung, die Wähler*innen der AfD kehrten dann zurück zu den demokratischen Parteien, erst recht nicht.

Auffallend viele AfD-Wähler*innen fühlen sich kollektiv benachteiligt, darunter auch solche, denen es gemessen am Einkommen gar nicht so schlecht geht. Zugleich vertreten sie häufiger als andere eine neoliberale Grundhaltung, frei nach dem Motto: „Wer keine Ideen hat, wie er sich gut verkaufen kann, ist selber schuld, wenn er scheitert.“ Letztere sind zudem noch häufiger der Meinung: „Menschen wie mir steht mehr zu als anderen“. 11 Prozent der AfD-Anhänger*innen sind dieser Auffassung, weitere 32 Prozent zumindest teils-teils, unter den anderen sind es zusammengefasst über dieses Spektrum 27 Prozent. Dass sie selbst diejenigen sind, die nach Analysen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung als erste unter dem Programm der AfD zu leiden hätten, scheint ihnen nichts auszumachen. (4)

AfD-Sympathisant*innen sind also einerseits recht selbstbewusst und fordernd, fallen jedoch zugleich durch ein hohes Maß an Orientierungslosigkeit und Autoritarismus auf, beides ist ohnehin in Deutschland weit verbreitet. „Es ist heutzutage alles so in Unordnung geraten, dass niemand mehr weiß, wo man eigentlich steht“ – dies äußern 54 Prozent der AfD-Anhänger*innen, von den anderen tun dies nur halb so viele. Sie tun dies, ohne zwingend selbst der vermissten Ordnung und Ordentlichkeit zu entsprechen, weder in Habitus noch im Lebenswandel, auch etliche der Führungspersonen der äußersten Rechten fallen durch „unordentliche“ Straftaten wie Betrug und zu schnelles Fahren auf. Hier kommt der Anspruch auf egoistisch interpretierte Freiheit vor staatlichen Einschränkungen oder kollektiver Rücksichtnahme ins Spiel.

Verunsicherung durch Krisen
Verstärkend könnten hier nun die derzeit diskutierten Krisen wirken: Klimawandel und Energieversorgung, Globalisierung und Migration, Kriege und Inflation. Mehr noch als andere sieht sich die AfD-Anhängerschaft von den Krisen betroffen – persönlich, Menschen wie sie und Deutschland insgesamt – und mehr noch als andere fühlen sie sich dadurch verunsichert. Auch die Demokratisierung der letzten Jahrzehnte, die Deutschland wie viele andere Länder der Welt durchlaufen hat, und die damit verbundene Liberalisierung und Forderung nach mehr Diversity, also Vielfalt in Gleichwertigkeit, erleben offenkundig einige als krisenhaft, sehen sie damit doch ihre gewissermaßen selbstverständliche Vormachtstellung in der Gesellschaft bedroht.

Die AfD macht hier ein einfaches Angebot, das offenbar viele dankbar annehmen: Bequeme Verantwortungslosigkeit – denn die allermeisten dieser Krisen sind von uns selbst verursacht – bei gleichzeitiger Abwertung der „Unnormalen“, verbunden mit der eigenen Aufwertung als „normal“. Die gefühlte kollektive Benachteiligung ist hierzu der Schlüssel, der sich aber kaum demokratisch auflösen lässt, verstehen ihn die AfD-Anhänger*innen als „Besserstellung“ und zwar besser als andere qua Sein – im Zweifelsfall auch unter Androhung und Anwendung von Gewalt.

Vielen Menschen bereitet dies große Sorge. Fast vier Millionen von ihnen waren zu Beginn des Jahres 2024 bei den Protesten für Demokratie, gegen Rechtsextremismus und die AfD, die bis in die Hochburgen der AfD im Osten der Republik reichten, wo das Eintreten für Demokratie einen ganz besonderen Mut braucht.

Anmerkungen
1 In seinem Buch „Männerphantasien“ von 1977/78, das aktuell erneut Aufmerksamkeit erhält, beschreibt Klaus Theweleit diese Formulierung von Sumpf, Brei und Schleim als das chaotisch vermischt Lebendige, das dem Faschisten zuwider ist.
2 Bundesministerium des Inneren. Verfassungsschutzbericht 2023 und Zahlen für das erste Halbjahr 2024.
3 Andreas Zick/Beate Küpper/Nico Mokros, Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende. Einstellungen in Deutschland 2022/23, Bonn 2023.
4 Marcel Fratscher (2023): Das AfD-Paradox: Die Hauptleidtragenden der AfD-Politik wären ihre eigenen Wähler*innen. DIW aktuell, Nr. 88.

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Dr. Beate Küpper, Dipl.-psych., Professorin für Soziale Arbeit in Gruppen und Konfliktsituationen an der Hochschule Niederrhein, arbeitet seit vielen Jahren zu den Themen Vorurteile, Diversity und Integration. Zudem war sie als Mitarbeiterin am Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld am 10-Jahres Projekt Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland beteiligt und hat das gleichnamige Projekt in Europa koordiniert. Sie ist Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit“ für Wissenschaft & Praxis und Koautorin der FES-Mitte Studie 2016 zu rechtsextremen, rechtspopulistischen und menschenfeindlichen Einstellungen.