Menschen schützen statt Asylverfahren auslagern

Asylverfahren im Ausland?

von Wiebke Judith
Schwerpunkt
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Griechenland will schutzsuchende Menschen in die Türkei abschieben, Großbritannien propagierte Abschiebepläne nach Ruanda, Italien will Asyllager in Albanien eröffnen. Auch in Deutschland werden solche menschenrechtswidrigen Pläne diskutiert.
In den letzten Jahren werden zunehmend Vorschläge diskutiert, Asylverfahren aus Deutschland und anderen europäischen Ländern in nichteuropäische Länder auszulagern. Derzeit prüft im Auftrag der Ministerpräsidentenkonferenz das Bundesinnenministerium diese Frage. Doch entgegen den populistischen Versprechungen wird eine solche Externalisierung des Flüchtlingsschutzes die Herausforderungen deutscher Kommunen nicht lösen. Zudem sind die Vorhaben mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen, einem immensen (Kosten-)aufwand und Abhängigkeiten von Autokratien verbunden – und scheitern, wie bereits die ersten Versuche zeigen.

Menschenrechtsverletzungen, praktische Probleme, hohe Kosten
Die Durchführung von Asylverfahren in Drittstaaten bringt viele Probleme mit sich. Zum Beispiel muss gewährleistet werden, dass die Rechte der Asylsuchenden auch in dem jeweiligen Drittstaat umfassend geschützt werden. Dies umfasst das Recht auf eine faire Anhörung, Zugang zu Rechtsbeistand, Schutz vor willkürlicher Inhaftierung und vor Kettenabschiebung. Eine Übertragung dieser Aufgaben auf Drittstaaten stellt den eigenen Rechtsstaat in Frage, verursacht menschliches Leid und führt zu unverhältnismäßigen Kosten.

EU-Türkei-Deal
Der sogenannte EU-Türkei-Deal sollte dazu führen, dass Syrer*innen, die seit März 2016 auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommen, in die Türkei zurückgeschickt werden. Es wurden jedoch zwischen 2016 und 2020 nur 404 Syrer*innen im Rahmen der Erklärung rückgeführt (1) – im Vergleich zu circa 150.000 Ankünften in dem Zeitraum ein verschwindend geringer Anteil. Zudem akzeptiert die Türkei seit 2020 keine Rückführungen mehr.

Griechenland hat seit der Erklärung die Asylanträge von über 10.000 Menschen als „unzulässig“ abgelehnt. Einem Großteil der Schutzsuchenden wird damit de facto der Zugang zu Schutz verwehrt. Viele landen auf der Straße, in Abschiebungshaft, oder harren in einem Zustand qualvoller Perspektivlosigkeit unter unmenschlichsten Bedingungen auf griechischen Inseln oder auf dem Festland aus – so die schockierenden Berichte der griechischen Partnerorganisation von PRO ASYL, Refugee Support Aegean. Die bekannten Bilder der katastrophalen Bedingungen in dem Lager Moria auf Lesbos, wo es an allem inklusive Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung mangelte, sind eine direkte Folge der EU-Türkei-Erklärung.

Auslagerungsversuche nach Ruanda
Großbritannien plante bis zum jüngsten Regierungswechsel, Flüchtlinge nach Ruanda abzuschieben – in ein Land, in dem sie noch nie waren, und mit ungewisser Zukunft. Diese Pläne stoppte der britische Supreme Court wegen der Gefahr von Kettenabschiebungen aus Ruanda weiter in gefährliche Herkunftsländer. Zu solchen Kettenabschiebungen war es im Rahmen einer früheren Kooperation von Israel mit Ruanda bereits gekommen. Die konservative Tory-Regierung versuchte daraufhin durch Rechtsänderungen, die die Wirkung der Europäischen Menschenrechtskonvention einschränken sollten, doch noch Abschiebungen zu erzwingen. Nach dem Regierungswechsel setzte die neue Labour-Regierung dem Spuk ein Ende. Ein Grund hierfür: Die Kosten für die Unterbringung und Bearbeitung der Asylanträge in Ruanda sind exorbitant. Allein die Vorbereitungen für das Vorhaben wie gebuchte Charterflüge und bereits geflossene Gelder an die ruandische Regierung haben das Königreich bereits rund 830 Millionen Euro gekostet. (2) Überstellt wurde letztlich kein Flüchtling.

Italiens Deal mit Albanien
Italien verfolgt derzeit Pläne, Asylzentren in Albanien zu errichten. In internationalen Gewässern aufgegriffene Schutzsuchende sollen für die Durchführung italienischer Asylverfahren nach Albanien gebracht werden – wo sie inhaftiert werden würden. So eine Praxis würde europäisches Recht umgehen. Erst kürzlich wurde bekannt, dass dieses Prestigeprojekt von Ministerpräsidentin Meloni aufgrund von Verzögerungen beim Bau der geschlossenen Zentren erneut verschoben werden muss. Ob es je effektiv umgesetzt wird und was dies für die Betroffenen bedeuten wird, ist fraglich. Was jedoch schon klar ist: Das Projekt kostet den italienischen Staat in den nächsten fünf Jahren 670 Millionen Euro. (3)

Warum wir eine Stärkung des Flüchtlingsschutzes brauchen
Die bisherigen Versuche, Asylverfahren auszulagern, zeigen, dass solche Maßnahmen weder praktikabel noch menschenrechtskonform sind. Zudem schwächen sie den globalen Flüchtlingsschutz und widersprechen der Notwendigkeit einer fairen internationalen Verantwortungsteilung, wie sie in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und dem Globalen Pakt für Flüchtlinge betont werden. Schon jetzt werden drei Viertel der weltweiten Flüchtlinge von einkommensschwachen Ländern aufgenommen. (4)

Anstatt Länder mit geringeren Ressourcen weiter zu belasten, sollten wohlhabendere europäische Länder globale Verantwortung übernehmen und sich auf die Verbesserung ihrer eigenen Aufnahmesysteme konzentrieren. Zudem müssen sichere Fluchtwege geschaffen werden, um das Sterben auf den Fluchtrouten einzudämmen – durch humanitäre Visa, Aufnahmeprogramme und vereinfachten Familiennachzug. Eine realistische, solidarische und menschenrechtsbasierte Politik würde Flüchtlingen helfen, schneller Schutz zu finden und in der aufnehmenden Gesellschaft anzukommen. Das wiederum würde auch den aufnehmenden Gemeinden weitaus mehr helfen als eine kostspielige und auf Abwehr gerichtete Symbolpolitik.

Pro Asyl
PRO ASYL lehnt die Externalisierung des Flüchtlingsschutzes wegen damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen und der Schwächung von Rechtsstaatlichkeit grundsätzlich ab. (5) Mit einem offenen Brief hat sich PRO ASYL mit über 300 Organisationen Mitte Juni an verantwortliche Politiker*innen gewandt und eindringlich vor den schwerwiegenden Konsequenzen einer solchen Politik gewarnt. Sie alle fordern: Menschen schützen statt Asylverfahren auslagern. (6)
 
Anmerkungen
1 UNHCR, Returns from Greece to Turkey (under EU-Turkey statement) as of 31 March 2020, https://data.unhcr.org/en/documents/details/75075.
2 Spiegel, Neue britische Innenministerin beziffert Kosten der Ruanda-Pläne auf 700 Millionen Pfund, 27.8.2024, https://www.spiegel.de/ausland/grossbritannien-innenministerin-beziffert...
3 Reuters, Italy's plan to open migrant camps in Albania faces more delays, 01.08.2024, https://www.reuters.com/world/europe/italys-plan-open-migrant-camps-alba....
4 UNHCR, Global Trends 2023, S. 2, https://www.unhcr.org/global-trends-report-2023.
5 PRO ASYL, Stellungnahme zum Prüfauftrag der Bundesregierung zur Feststellung des Schutzstatus in Drittstaaten, Juni 2024, https://www.proasyl.de/material/stellungnahme-zum-pruefauftrag-der-bunde....
6 Offener Brief von 309 Organisationen: Menschen schützen statt Asylverfahren auslagern, 19.06.2024, Offener-Brief_Menschen-schuetzen-statt-Asylverfahren-auslagern_19.06.2024_final.pdf (proasyl.de).

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Wiebke Judith ist rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL. Sie arbeitet schwerpunktmäßig zum europäischen Flüchtlingsrecht und wurde im März 2024 zum Thema der Auslagerung von Asylverfahren vom Bundesinnenministerium als Sachverständige geladen und um Stellungnahme gebeten. Der Beitrag wurde Anfang September 2024 fertiggestellt.