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Atomwaffen und Völkerrecht
vonVorbemerkung
Die "neue Beliebigkeit" der Postmoderne (frei nach Paul Feyerabends Maxime "Anything goes") scheint für die Juristerei seit jeher zu gelten. Sie kommt in der auch von Juristen gerne kolportierten Stammtisch-Weisheit populär zum Ausdruck "Zwei Juristen - drei Meinungen". Wen wundert`s noch, dass auch manch prominenter Politiker ungeachtet seines auf die Verfassung und damit auch das geltende Völkerrecht geleisteten Amtseides mit der staatsmännisch drapierten "Erkenntnis" kokettiert, in den internationalen Beziehungen komme es auf "Juristerei" und die Einhaltung des geltenden Völkerrechts nicht so sehr an, zumal völkerrechtlich eh` nahezu "alles streitig" zu sein scheine. Darin steckt - wie in nahezu jedem populären Vor-Urteil - ein Körnchen Wahrheit. Zum Einen: Innerstaatliche wie auch internationale Rechtsnormen sind "geronnene Politik", transformiert in Sprache. Damit ist jede Auslegung von Rechtsnormen notwendigerweise mit all den hermeneutischen und erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten verknüpft, mit denen Interpretation und Sinnermittlung von sprachlichen Produkten und Ausdrucksformen stets verbunden sind. Das gilt für juristische Gegenstände ähnlich wie für solche der Politikwissenschaft, Soziologie, Ökonomie, Germanistik, Linguistik und anderer textbezogener Wissenschaften. Zweitens: Der Regelungsgehalt von Rechtsnormen kann ohnehin nur so klar sein wie die zugrunde liegende und in der jeweiligen Norm zum Ausdruck gekommene politische Entscheidung. Wenn ein Normgeber - das ist im innerstaatlichen Bereich nicht anders als im Völkerrecht - hinsichtlich einer bestimmten Streitfrage nur eine relativ unklare Entscheidung getroffen hat, kann auch die Norm-Interpretation - ohne "Verschulden" des jeweiligen Interpreten - nur ein relativ unklares Auslegungsergebnis gewinnen. Drittens: Nicht nur die Schaffung von Rechtsnormen ist Gegenstand und Ausdruck politischer Auseinandersetzungen, sondern auch ihre Interpretation. Auch hier findet ein "Kampf ums Recht" statt, der seinerseits von den Strukturen und Einflussfaktoren geprägt ist, die auf die beteiligten Akteure einwirken. Dabei geht es sowohl um die Prägekraft herkunfts- und sozialisationsbedingter Werthaltungen ("Vorverständnisse") als auch um strukturelle Entscheidungsbedingungen. Von Bedeutung sind nicht nur individuelle Bindungen und Abhängigkeiten rechtlicher, persönlicher, ideologischer oder - wie etwa bei lukrativen Gutachtenaufträgen - finanzieller Art. Berücksichtigt werden muss dabei auch: Nationale wie internationale Gerichte sind in aller Regel primär darum bemüht, dass ihre Produkte "abgenommen" werden. Denn ihr Wirken ist prinzipiell auf die Schaffung von "Rechtsfrieden" angelegt. Die "Abnahmebedingungen" für gerichtliche Entscheidungen sind damit notwendigerweise in starkem Maße von politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Macht- und Einflussstrukturen geprägt, was de facto nicht ohne Vor-Wirkung und Einfluss auf die Auslegung und Anwendung der Rechtsnormen bleibt. Wer Aufklärung über die Rechtslage zu einer bestimmten Frage, also die jeweils relevanten rechtlichen Rahmenbedingungen, Vorgaben und Handlungsspielräume sucht, muss sich damit diffizilen Problemen stellen. Dabei gilt es, mehrere Dimensionen zu unterscheiden und zu bedenken: |
die "handwerkliche Seite" der korrekten und zuverlässigen Anwendung des juristischen methodischen Instrumentariums, wozu insbesondere auch die Offenlegung bestehender Interpretationsspielräume und der konkreten Art ihrer Nutzung und Handhabung im Einzelfall gehört, |
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die ideologiekritische Herausarbeitung der bisherigen Rechtspraxis und der Vorverständnisse des zur Entscheidung berufenen juristischen Personals sowie |
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die Analyse und prognostische Einschätzung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen "Abnahmebedingungen", unter denen die betreffende juristische Entscheidung voraussichtlich getroffen werden wird. |
Im Folgenden soll und kann zur Klärung der Rechtslage hinsichtlich der Atomwaffenproblematik lediglich auf die erste Dimension eingegangen werden.
1. Die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs vom 8. Juli 1996 Der IGH hat in seiner Entscheidung - einstimmig - ausdrücklich klargestellt, dass jedenfalls die folgenden Regeln des sog. humanitären (Kriegs)-Völkerrechts als geltendes Völkergewohnheitsrecht anzusehen und zu beachten sind, die aber bei einem Atomwaffeneinsatz aufgrund der spezifischen Eigenschaften von Nuklearwaffen typischerweise gerade nicht eingehalten werden könnten: |
Jeder Einsatz von Waffen muss zwischen kämpfender Truppe (Kombattanten) und der Zivilbevölkerung unterscheiden. |
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Bei jedem Waffeneinsatz müssen unnötige Grausamkeiten und Leiden vermieden werden. |
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Unbeteiligte und neutrale Staaten dürfen bei einem Waffeneinsatz nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. |
Der IGH hat daraus den weiteren Schluss gezogen: "Aus den oben ... erwähnten Anforderungen ergibt sich, dass die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen grundsätzlich/generell ("generally") gegen diejenigen Regeln des Völkerrechts verstoßen würden, die für bewaffnete Konflikte gelten, insbesondere gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts." (Nummer 105 (2) E Absatz 1) Diese Teil-Entscheidung des IGH erging zwar nur auf der Grundlage einer sehr knappen Abstimmungsmehrheit, bei der die Stimme des Gerichtspräsidenten den Ausschlag gab. Zu berücksichtigen ist freilich, dass drei weitere Richter (Weeramantry aus Sri Lanka, Shahabuddeen aus Guayana und Koroma aus Sierra Leone) nur deshalb insoweit nicht mit der Präsidenten-Mehrheit stimmten, weil sie die Androhung und den Einsatz von Atomwaffen nicht nur "grundsätzlich/generell" ("generally"), sondern ausnahmslos als verboten ansahen. Insofern ist die Sachentscheidung, soweit sie die Legalität eines Einsatzes von Atomwaffen und dessen Androhung verneint, letztlich mit einer Mehrheit von 10 zu 4 Stimmen ergangen. Die Mehrheit des Gerichtshofes sah sich darüber hinaus zwar nicht abschließend in der Lage, positiv oder negativ definitiv festzustellen, ob es unter bestimmten Voraussetzungen einen Ausnahmefall von dieser grundsätzlichen Völkerrechtswidrigkeit jeder Androhung und jedes Einsatzes von Atomwaffen geben kann. Im der maßgeblichen Mehrheitsentscheidung heißt es dazu: "Der Gerichtshof kann jedoch in Anbetracht des gegenwärtigen Völkerrechts und der ihm zur Verfügung stehenden grundlegenden Fakten nicht definitiv entscheiden, ob die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen in einer extremen Selbstverteidigungssituation, in der das reine Überleben eines Staates auf dem Spiele stehen würde, rechtmäßig oder unrechtmäßig sein würde." (Nummer 105 (2) E Absatz 2) Mit anderen Worten: Völkerrechtlich "sicher" und "geklärt" ist die grundsätzliche/generelle Völkerrechtswidrigkeit eines Einsatzes und der Androhung eines Einsatzes von Atomwaffen. "Unsicher" und "ungeklärt" ist dagegen, ob Atomwaffenstaaten in einer "extremen Selbstverteidigungssituation, in der die Existenz des/eines Staates auf dem Spiele stünde", ausnahmsweise doch den Einsatz von Atomwaffen androhen und vornehmen dürfen. Nur in dieser "Nische" können seit dem Vorliegen dieses höchstrichterlichen Rechtsgutachtens Nuklearstrategien und -planungen von Atomwaffenstaaten und ihrer Verbündeten künftig allenfalls noch zulässig sein - wenn überhaupt. Dies ist für Atomwaffenstaaten - völkerrechtlich betrachtet - keine "angenehme Nische". Denn es ist alles andere als sicher, ob das Völkerrecht einen solchen Ausnahmefall überhaupt zulässt und ob in einem konkreten Konfliktfall ein solcher eingreifen würde. Eines ist freilich sicher: Nach den Maßstäben des IGH-Rechtsgutachtens vom 8.7.1996 wären die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki eindeutig völkerrechtswidrig. Sicher ist ebenfalls, dass der im Rahmen der NATO-Strategie bis Ende der 80er Jahre vorgesehene und vorbereitete Einsatz so genannter taktischer Atomwaffen unter anderem auf dem Gebiet der damaligen DDR (vgl. dazu etwa Franz-Josef Strauß, Erinnerungen, 1989, S. 422 ff) oder im Bundesgebiet (vgl. zu den Entscheidungen des "Notparlaments" des Dt. Bundestages im Rahmen des NATO-Manövers Fallex 66 die dokumentarischen Berichte von Wolfram Dorn, So heiß war der kalte Krieg, 2002) völkerrechtlich keinesfalls mit einer "extremen Selbstverteidigungssituation" hätte gerechtfertigt werden können, in der die Existenz oder das Überleben des die Atomwaffen einsetzenden Staates USA oder eines seiner Verbündeten "auf dem Spiel" gestanden habe. Nichts anderes gilt für die bekannt gewordenen aktuellen Fälle der Androhung des Einsatzes von Atomwaffen (durch die US-Regierung gegen Irak im Vorfeld der Kriege von 1991 und 2003 oder mehrfach gar gegen terroristische Gruppen). (2) Der IGH hat in seinem Richterspruch vom 8.7.1996 darüber hinaus - einstimmig - die völkerrechtlich verbindliche Verhandlungs-Pflicht zur Realisierung vollständiger nuklearen Abrüstung ("atomare Nulllösung") festgestellt. Er hat unter Ziff. 2 F seiner Entscheidung mit den Stimmen aller seiner Richter entschieden: "Es besteht eine völkerrechtliche Verpflichtung, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen und zum Abschluss zu bringen, die zu nuklearer Abrüstung (Entwaffnung) in allen ihren Aspekten unter strikter und wirksamer internationaler Kontrolle führen."(einstimmig) Die materielle Rechtsbasis war für den IGH dabei Art. VI des Nichtverbreitungs-Vertrages (NV-Vertrag) von 1968, dem er nicht nur die Pflicht zur Aufnahme von Verhandlungen ("Pactum de negotiando"), sondern darüber hinausgehend letztlich auch eine Pflicht zum positiven Abschluss solcher Verhandlungen über eine vollständige nukleare Abrüstung ("Pactum de contrahendo") entnahm. 2. Rechtliche Relevanz des IGH-Richterspruchs "Wenn ein Gericht durch Gesetz zur Erstattung von Rechtsgutachten berufen wird, so handelt es auch bei dieser Tätigkeit als Gericht. Das Gutachten beruht dann ebenso wie ein Urteil des Gerichts auf Gesetz und Recht; es ist nicht eine bloße Zusammenfassung der Meinungen einzelner Richter, sondern es geht vom Gericht als solchem aus und hat dessen Autorität. ... Obwohl also das Gutachten nicht die rechtliche Wirkung eines Urteils hat, ist es doch seinem materiellen Gehalt nach einem Urteil gleichzustellen". Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Beschluss vom 8. 11.1952 durch sein aus seinen beiden Senaten zusammengesetztes "Plenum" mit 20 zu 2 Stimmen entschieden (vgl. BVerfGE 2, 79 ff (87, 89). Entsprechend gilt dies der Sache nach auch für vom IGH auf der Grundlage von Art. 96 der UN-Charta erstattete Rechtsgutachten. Im Gutachtenverfahren wendet der IGH dieselben materiellen Rechtsquellen an wie in einem Klageverfahren, das mit einem Urteil abschließt. Auch seine Rechtsgutachten ergehen in einem mit rechtsstaatlichen Garantien ausgestatteten gerichtlichen Verfahren, in dem alle Staaten ihre Argumente und Gegenargumente ungehindert und von gleich zu gleich in einem tendenziell "herrschaftsfreien Diskurs" ausgiebig vortragen können. Die vom UN-Sicherheitsrat und der UN-Generalversammlung gemeinsam gewählten 15 IGH-Richter, die die Entscheidung dann in der Sache treffen, sind von höchster fachlicher Reputation. Sie kommen aus allen Rechtskreisen der Welt und bringen den damit verbundenen breiten rechtlichen und sonstigen kulturellen Erfahrungshorizont ein, was kaum in einem anderen Entscheidungsgremium in dieser Dichte möglich ist. Als das dafür nach der UN-Charta zuständige Gericht beantwortet der IGH die ihm gestellten Fragen auf der Basis des geltenden Völkerrechts. Er als "Weltgericht" stellt damit gerade auch in seinen Rechtsgutachten - ebenso wie in einem Urteil - klar, was nach geltendem Völkerrecht rechtmäßig und was rechtswidrig ist. 3. Völkerrechtliche Konsequenzen der IGH-Entscheidung - 5 Thesen Die Völkerrechtswidrigkeit der geltenden NATO-Nuklearstrategie besteht schon darin, dass in ihr das Konzept der nuklearen Abschreckung und sogar die Option für den nuklearen Ersteinsatz bekräftigt und weiter aufrechterhalten werden, ohne die sich aus dem IGH-Rechtsgutachten vom 8.7.1996 ergebenden Beschränkungen zu beachten. Die Androhung des Einsatzes und der Einsatz von Atomwaffen sind danach "grundsätzlich/generell" völkerrechtswidrig und allenfalls dann - möglicherweise - nicht rechtswidrig, wenn in einer "extremen Selbstverteidigungssituation" "die Existenz" des/eines Staates "auf dem Spiele stünde". Von einer solchen Beschränkung ist in der NATO-Nukleardoktrin nirgendwo die Rede. These 2: Die Nuklearpolitik der NATO missachtet nach wie vor die aus Art. VI des NV-Vertrages folgende und vom IGH einstimmig festgestellte bindende völkerrechtliche Verpflichtung aller Staaten zum effektiven Eintreten für die sofortige Aufnahme von redlichen zielführenden Verhandlungen über eine schnellstmögliche vollständige nukleare Abrüstung ("atomare Nulllösung"). Diese Verpflichtung trifft nicht nur die Atomwaffenstaaten der NATO, sondern alle Vertragsstaaten. Für die Nichtatomwaffenstaaten folgt daraus jedenfalls die Pflicht, sich aktiv für die unverzügliche Aufnahme von Verhandlungen über eine vollständige nukleare Abrüstung, also eine vollständige atomare "Nulllösung", sowie für einen schnellstmöglichen erfolgreichen Abschluss dieser Verhandlungen bei ihren Verbündeten und den anderen Atomwaffenstaaten einzusetzen. Die Regierungskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen hatte zwar nach ihrem Wahlsieg in ihrem Koalitionsvertrag von 1998 vereinbart: "Die neue Bundesregierung hält an dem Ziel der vollständigen Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen fest und wird sich in Zusammenarbeit mit den Partnern und Verbündeten Deutschlands an Initiativen zur Umsetzung dieses Ziels beteiligen." (Kapitel XI, Ziff. 6, Absatz 2). Danach gerichtet hat sie sich in ihrer praktischen Politik jedoch letztlich nicht. Bei den entsprechenden Abstimmungen, die jährlich in der UN-Generalversammlung auf Initiative einer Staatengruppe unter der Führung u.a. Kanadas und Südafrikas stattfanden, wagte sie es aus Rücksichtnahme vor allem auf die US-Regierung nicht, im Sinne ihrer eigenen Koalitionsvereinbarung für die von Art. VI des NV-Vertrages und der Rechtsprechung des IGH geforderte nukleare Nulllösung einzutreten. Mehrfache Vorstöße der "Middle-Power-Initiative", an der maßgeblich Kanada beteiligt ist, hat sie weder in der NATO noch darüber hinaus aufgegriffen und gefördert. Dabei hatten sich die Atomwaffenstaaten im Abschlussdokument der Internationalen NV-Vertrags-Überprüfungskonferenz am 19. Mai 2000 auf Druck der "blockfreien Staaten" ausdrücklich verpflichtet, ihre nuklearen Arsenale vollständig zu eliminieren und damit die nukleare Abrüstung herbeizuführen (Ziff. 6, NPT/Conf. 2000/DC/CRP. 2). Die deutsche Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen sind deshalb gehalten, sich mit aller Kraft - übrigens in Übereinstimmung mit dem vom Europäischen Parlament am 13.März 1997 gefassten und an alle EU-Mitgliedsstaaten gerichteten Beschluss - dafür einzusetzen, dass nunmehr baldmöglichst "Verhandlungen im Hinblick auf den Abschluss einer Atomwaffenkonvention zur Abschaffung nuklearer Waffen aufgenommen werden". Eine solche Atomwaffenkonvention sollte insbesondere umfassen: |
das absolute Verbot, Atomwaffen oder nukleare Waffensysteme zu entwickeln, herzustellen, zu besitzen, zu lagern, einzusetzen oder mit ihrem Einsatz zu drohen |
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wirksame internationale Kontrollsysteme in allen Staaten mit effektiven Vor-Ort-Kontrollen durch internationale Stäbe sowie der Gewährleistung von "gesellschaftlicher Verifikation" mit Schutzgarantien für alle Bürger ("Whistleblower") und Organisationen der Zivilgesellschaften, die Verstöße gegen die Konvention den zuständigen nationalen oder internationalen Kontrollinstanzen melden. |
These 3: Der sog. "nukleare Teilhabe" Deutschlands muss beendet werden. Ihr fehlt es an einer hinreichenden völker- und verfassungsrechtlichen Basis.
Wie sich u. a. aus der vom seinerzeitigen Bundesverteidigungsminister Rühe vorgelegten "Konzeptionellen Leitlinie zur Weiterentwicklung der Bundeswehr" vom 12.7.1994 eindeutig ergibt, werden im Rahmen der "Krisenreaktionskräfte" der Bundeswehr u.a. "in der Luftwaffe sechs fliegende Staffeln (mit Tornado-Flugzeugen) für ... nukleare Teilhabe" bereitgehalten. Diese Tornado-Flugzeuge sollen im Krisenfalle "als Trägersysteme dem Bündnis zur Verfügung" gestellt werden. Die Einsatzplanung der Bundeswehr sieht damit vor, dass im Rahmen der "nuklearen Teilhabe" ggf. deutsche Tornado-Flugzeuge mit (amerikanischen, britischen oder französischen) Atomwaffen beladen und von deutschen Piloten und Besatzungen zu Einsatzorten geflogen werden. Der erste Verteidigungsminister der 1998 gebildeten Regierungskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Rudolf Scharping, verkündete im November 1998 von Washington aus, er werde "die Geschwader der Luftwaffe, die die Teilhabe Deutschlands an der nuklearen Komponente des Bündnisses gewährleisten, nicht auflösen" (vgl. FAZ vom 25.11.1998, S. 1). Dabei ist es bis heute geblieben. Die "nukleare Teilhabe" mit der realen Vorbereitung des Einsatzes von Bundeswehr-Flugzeugen mit Nuklearbewaffnung im Konfliktfalle ist mit dem völkerrechtlich wirksamen Verzicht Deutschlands auf jede unmittelbare oder mittelbare Verfügungsgewalt über Atomwaffen unvereinbar, der sich aus dem NV-Vertrag und dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag ergibt. These 4: Die Entscheidung des IGH muss auch im Hinblick auf ihre Konsequenzen für die Stationierung und Lagerung von Atomwaffen geprüft werden. Nach vorliegenden Studien sind in Europa nach wie vor mehrere Hundert atomare Sprengköpfe gelagert, davon ein nicht unwesentlicher Teil in Deutschland am Standort Büchel und möglicherweise bei Ramstein. Wenn nach der IGH-Entscheidung die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen "generell"/"grundsätzlich" völkerrechtswidrig sind, dürfen von Rechts wegen Atomwaffen an den Stationierungsorten zumindest so lange für einen Einsatz nicht bereitgehalten werden, wie die geltende Nuklearstrategie dem geltenden Völkerrecht nicht entspricht. Anderenfalls würde einem zumindest potentiellen Völkerrechtsbruch fortwährend Vorschub geleistet. Jede deutsche Bundesregierung ist deshalb gehalten, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um in ihrem Wirkungsbereich den völkerrechtlichen Geboten Rechnung zu tragen. Am ehesten könnte die Erreichung dieses Ziel in Deutschland durch einen Abzug der noch verbliebenen Atomwaffen sichergestellt werden, wie dies in den neunziger Jahren mit den sowjetischen Atomwaffen aus den neuen Bundesländern und - vergleichbar - zuvor auch durch den Abzug aller chemischen Waffen geschehen ist. These 5: Die Ausbildung der Offiziere und Soldaten der Bundeswehr im "humanitären Völkerrecht" (sog. Kriegsvölkerrecht) muss hinsichtlich des A-Waffeneinsatzes auf eine neue Grundlage gestellt werden; die einschlägigen Dienstvorschriften der Bundeswehr und der NATO müssen revidiert werden. Dies gilt vor allem für die "Zentrale Dienstvorschrift" 15/2 (Nummern 428 bis 433). Die Soldaten und Offiziere der Bundeswehr müssen auf der Grundlage der IGH-Entscheidung vom 8.7.1996 mit den Regeln des geltenden Völkerrechts, des Verfassungsrechts und des Soldatenrechts in einer Weise vertraut gemacht werden, dass sie diese im Dienst beachten und einhalten sowie entsprechende Konflikte mit ihren Vorgesetzten im Einzelfall durchstehen können. 4. Gerichtliche Optionen Die Frage, ob die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten die völkerrechtlichen Verpflichtungen, die sich aus dem Rechtsgutachten des IGH vom 8.7.1996 ergeben, erfüllt haben und erfüllen, kann unter bestimmten Voraussetzungen dem IGH vorgelegt werden. Ein Klageverfahren, das mit einem rechtsverbindlichen Urteil enden würde, könnte allerdings nur gegen die Staaten eingeleitet werden, die die Zuständigkeit des IGH durch Vertrag, ausdrückliche Anerkennung der obligatorischen Zuständigkeit des IGH oder ad hoc für den Einzelfall anerkannt haben oder noch anerkennen. Bei den Atommächten "Vereinigtes Königreich" sowie Indien und Pakistan ist dies unter bestimmten Voraussetzungen der Fall, bei Frankreich, China, Russland, den USA und Israel jedoch nicht. Allerdings könnte die UN-Generalversammlung auf der Grundlage von Art. 96 der UN-Charta unter bestimmten Voraussetzungen erneut ein Gutachten-Verfahren vor dem IGH einleiten, um die Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Atomwaffenstaaten überprüfen zu lassen. (2) Verfahren vor nationalen Gerichten? Wo die geltende Rechtsordnung dem Handeln der Exekutive rechtliche Grenzen zieht, ist es Aufgabe der - rechtlich von der Exekutive unabhängigen - Gerichte, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit ihre Aufgabe als Wahrer der "rule of law" zu erfüllen. Das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung deshalb zu Recht wiederholt herausgestellt, dass es im Rahmen seiner Zuständigkeiten in besonderem Maße darauf zu achten habe, dass Verletzungen des Völkerrechts nach Möglichkeit verhindert oder beseitigt werden. Dazu hätte es etwa in einem von einer Bundestagsfraktion eingeleiteten Organklageverfahren oder in einem von einem innerstaatlichen Gericht eingeleiteten Vorlage-Verfahren (Normenkontrolle oder Verfahren zur Klärung einer "allgemeinen Regel des Völkerrechts") Gelegenheit. Aber auch die anderen innerstaatlichen Gerichte können unter bestimmten Voraussetzungen mit Fragen der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Lagerung und der Vorbereitung des Einsatzes von Atomwaffen befasst werden. Dies kann etwa in Verwaltungsstreitverfahren im Zusammenhang mit militärischen Baumaßnahmen oder Militärflugplätzen, aber auch im Wehrdisziplinarrecht oder im Wehrbeschwerderecht der Fall sein. Darauf kann hier nicht näher eingegangen werden. Ein weiterer Bereich: Wenn Bürger zum Beispiel wegen so genannter Sitzblockaden vor Atomwaffenstandorten oder ähnlicher Aktionen des "zivilen Ungehorsams" in der Tradition Gandhis vor einem Strafgericht angeklagt werden und sich dann zur Rechtfertigung ihres Handelns auf eine bestehende oder drohende Verletzung "allgemeiner Regeln des Völkerrechts" im Bereich der Atomwaffenfrage berufen, müssen sich innerstaatliche Gerichte dem stellen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es für die Anwendung des für die jeweilige Entscheidung maßgeblichen Rechts im Einzelfall darauf ankommt (etwa im Rahmen des Nötigungstatbestandes oder bei der Prüfung von Rechtfertigungsgründen). Dabei muss sich zeigen, ob sie den rechtsstaatlichen und völkerrechtsfreundlichen Geboten des Grundgesetzes Geltung verschaffen können, damit die internationale Seite der "rule of law" keinen Schaden nimmt und der eigene Staat nicht unter Umständen als Rechtsbrecher international haftbar wird. Um mit dem UN-Generalsekretär und Friedensnobelpreisträger Kofi Annan zu sprechen: "Every Nation that proclaims the rule of law at home must respect it abroad; and every nation that insists on it abroad must enforce it at home."(16.9.2004) |