Koalitionsvertrag der Aufrüster

Auf dem Weg in die Militärrepublik

von Tobias Pflüger
Im Blickpunkt
Im Blickpunkt
( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Die Spitzen von Union und SPD stellten am 9. April ihren Koalitionsvertrag vor, der nach erfolgter Zustimmung aller Parteien Ende April die Geschäftsgrundlage der Merz-Regierung darstellt. Naturgemäß wird in derlei Rahmenpapieren eigentlich nicht allzu tief ins Detail gegangen, die grundlegende Stoßrichtung einer weiteren Verschärfung der deutschen Aufrüstungspolitik ist allerdings klar ersichtlich. Dies gilt vor allem für die Bereiche militärisches Bauen, Infrastruktur und Beschaffung, wo nahezu alle Schranken etwa in Form von Umweltauflagen abgeräumt werden sollen. Besonders problematisch sind die Teile zur inneren „Sicherheit“, die den Weg zu einer flächendeckenden Militarisierung der Republik vorzeichnen.

Schon in der Präambel des Koalitionsvertrages (1) ist zu lesen: „Wir stärken unsere Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit, um Freiheit und Frieden zu sichern. Stärke ist die Voraussetzung für Frieden. Deshalb wollen wir uns verteidigen können, um uns nicht verteidigen zu müssen. Mit Entscheidungen zur künftigen Finanzierung und Architektur unserer Sicherheit haben wir die Grundlage dafür gelegt, uns jeder äußeren Bedrohung erfolgreich zu erwehren. Wir stehen an der Seite der Ukraine, die auch unsere Freiheit und die Prinzipien der regelbasierten Ordnung verteidigt, und setzen auf einen gerechten und gemeinsam mit der Ukraine ausverhandelten Frieden.“ Eine Umschreibung, dass die Bundesrepublik Deutschland extrem hochgerüstet wird und eben nicht nur militärische Verteidigung, sondern auch militärischen Angriff vorbereitet.

Umbau der Industrie auf militärische Kriterien
Zuerst einmal fällt auf, dass Fragen von Militär und Rüstung den gesamten Koalitionsvertrag von CDU/CSU/SPD durchziehen. Drei Beispiele gleich zu Beginn sind die Passagen zu Raumfahrtindustrie, Luftfahrtindustrie und maritimer Wirtschaft: „Raumfahrt ist eine Zukunfts- und Schlüsseltechnologie und auch für unsere Sicherheit und unsere militärischen Fähigkeiten zentral“. Dazu soll auch ein Raumfahrtministerium entstehen.

Bei der Luftfahrtindustrie steht: „Wir werden bis Ende des Jahres eine Strategie entwickeln, die die Fragen der zivilen und militärischen Luftfahrtindustrie sowie die Stärkung des Luftverkehrsstandortes zusammendenkt, und werden diese in dieser Legislaturperiode umsetzen.“ Ein Hinweis, dass es hier zu einer immer weiteren Vermischung ziviler und militärischer Flugindustrie kommt. Die Beteiligung von Lufthansa an der Entwicklung der F-35 für Deutschland ist dafür nur ein Beispiel.

Bezüglich maritimer Wirtschaft heißt es u.a.: „Wir sind auf eine wettbewerbsfähige Hafeninfrastruktur mit guter Hinterlandanbindung angewiesen, die auch militärische und energiepolitische Erfordernisse berücksichtigt.“ Bei der Förderung von Wirtschaftsunternehmen soll also immer auch der militärische Aspekt eine zentrale Rolle spielen. 

Militarisierung der inneren „Sicherheit“
Der Operationsplan Deutschland wird gleich zweimal konkret angesprochen. So heißt es beim Thema Zivilschutz: „Durch eine Änderung der Rechtslage in der Zivilen Verteidigung ermöglichen wir Handlungsfähigkeit bereits vor dem Spannungs- und Verteidigungsfall. Die Gesamtverteidigung und insbesondere die Umsetzung des OPLAN Deutschland wird als militärische und zivile Aufgabe auf Ebene der Bundesregierung gemeinsam gesteuert und koordiniert. Die Zusammenarbeit zwischen Sicherheits-, Zivilschutzbehörden und Bundeswehr bauen wir aus.“

Beim Themenbereich „Inneres“ wird eine „Zeitenwende in der Inneren Sicherheit“ angekündigt. „Mit gestärkten Sicherheits-, Zivil- und Katastrophenschutzbehörden, zeitgemäßen digitalen Befugnissen, neuen Fähigkeiten und ausreichend Personal starten wir eine Sicherheitsoffensive und nutzen dabei auch die neuen Finanzierungsinstrumente zugunsten von Bund und Ländern.“

Geld ist genügend da
Mit neuen Finanzierungsinstrumenten sind wohl die Hunderte-Milliarden-Programme Infrastruktur und Rüstung gemeint. Beim 500 Milliarden Infrastrukturprogramm spielen militärische Aspekte eine wesentliche Rolle. (siehe IMI-Analyse 2025/09) Und das nach oben offene hunderte Milliarden Aufrüstungsprogramm ist dank der Grünen auch für Zivilschutz, Geheimdienste und laut Koalitionsvertrag offensichtlich auch für die so genannte „innere Sicherheit“, sprich innere Aufrüstung, nutzbar. Es geht um die Umsetzung des OPLAN DEU in den Kommunen u.a. durch enge zivil-militärische Kooperationen vor Ort.

Die auffälligste Stelle, an der das Papier reichlich vage bleibt, ist die Frage der künftigen Militärausgaben, wo es heißt, sie sollten „bis zum Ende der Legislaturperiode deutlich und stringent steigen“. Während die Union in den Koalitionsverhandlungen darauf gedrängt hatte, mit 3,5% des Bruttoinlandsproduktes (2024: 2,12%) eine konkrete Zahl zu nennen, wird dies im abschließenden Dokument vermieden. Klar ist aber trotzdem, dass die Militärausgaben drastisch steigen sollen. 

Wehrpflicht „zunächst“ noch nicht, aber Wiedereinführung der Wehrerfassung
Die aus Teilen der Union immer wieder heftig geforderte vollumfängliche Re-Aktivierung der Wehrpflicht, bleibt – vorerst! – aus. Erst einmal soll der durch die vorgezogenen Wahlen verzögerte Plan eines „Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert“, umgesetzt werden, also ein für männliche Jugendliche verpflichtender Fragebogen, in dem sich aber noch gegen einen Dienst bei der Bundeswehr (oder anderswo) ausgesprochen werden kann. Entscheidend dürfte hier das Wort „zunächst“ sein, da es mehr als fraglich ist, dass hierüber die anvisierten Rekrutierungsziele erreicht werden und sobald dies offensichtlich werden sollte, dürfte die Rufe nach der Wehrpflicht (plus Erweiterung auf Frauen und Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht) wieder deutlich lauter werden (siehe IMI-Studie 2024/05). Entscheidend ist aber, dass jetzt das mit der Wehrpflicht ausgesetzte Erfassungssystem rasch wieder etabliert werden soll, was zur Erfassung aller jungen Menschen führen wird und nicht zuletzt auch von großer Bedeutung für den anvisierten Aufwuchs der Reserve ist (siehe IMI-Analyse 2025/03). Die Koalition will noch in „diesem Jahr die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung schaffen“.

Begleitet wird das Ganze durch die weitere Stärkung von „Reserve“ und „Heimatschutz“, dabei gehe es darum, diese (Vor)-Truppenteile „entsprechend aus(zu)statten und sie strukturell und gesellschaftlich (!) besser [zu] verankern“.

Bahn frei: Bauen – Rüsten – Beschaffen – Exportieren
Am genauesten geht der Koalitionsvertrag auf Maßnahmen zur Vereinfachung des militärischen Bauens, der Beschaffung und der Produktion ein, allesamt Elemente, die für eine Teilumstellung in Richtung einer Kriegswirtschaft stehen. Orientiert wird sich dabei an der im Dezember 2024 veröffentlichten „Nationale(n) Sicherheits- und Verteidigungsstrategie“ (siehe IMI-Analyse 2024/52). Falls alle Stricke reißen, will der Staat notfalls auch gleich selber in relevante Rüstungsunternehmen einsteigen, eine Entwicklung, die sich ebenfalls bereits länger abzeichnet (siehe IMI-Analyse 2025/01). Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wenn die vollumfängliche Gewährleistung der Sicherheits- und Verteidigungsinteressen Deutschlands durch Änderungen der Eigentums- und Anteilsverhältnisse an Schlüsselunternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie bedroht ist, werden wir auch strategische Beteiligungen des Bundes in Betracht ziehen.“

Für „militärische Bauvorhaben“ soll es ein „Bundeswehrinfrastrukturbeschleunigungsgesetz“ mit „Ausnahmeregelungen im Bau-, Umwelt- und Vergaberecht sowie beim Schutz und der Widmung militärischer Flächen“ geben. Generell genießen militärische Baubelange künftig Vorrang gegenüber Erwägungen, die etwa mit Denkmal-, Landschafts- oder Umweltschutz zusammenhängen.

Mit Blick auf die Rüstungsforschung sollen „Hemmnisse, die beispielsweise Dual-Use-Forschung oder auch zivil-militärische Forschungskooperationen erschweren, abgebaut werden“. Der Beschaffung soll mit einem „Beschaffunsgsbeschleunigungsgesetz“ gedient werden: „Wir werden das Verfahren der Parlamentsbeteiligung in Beschaffungsfragen beschleunigen und empfehlen, die Höhe des Schwellenwertes für Beschaffungsvorlagen zu erhöhen.“

Interessant und bezeichnend, wie konkret der Ausbau und die Unterstützung der „neuen Technologien“ für die Bundeswehr und damit die Förderung der bundesdeutschen Rüstungsindustrie im Koalitionsvertrag formuliert wird: „Wir fördern verstärkt Zukunftstechnologien für die Bundeswehr und führen diese in die Streitkräfte ein. Dies gilt insbesondere für die Bereiche: Satellitensysteme, Künstliche Intelligenz, unbemannte (auch kampffähige) Systeme, Elektronischer Kampf, Cyber, Software Defined Defense und Cloud-Anwendungen sowie Hyperschallsysteme. Hierzu ist auch ein vereinfachter Zugang und vertiefter Austausch mit Forschungseinrichtungen, dem akademischen Umfeld, Start-Ups und Industrie notwendig. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie einschließlich des wehrtechnischen Mittelstandes ist durch langfristig planbare Beauftragungen und vereinfachten Kapitalzugang zu stärken. Wir schaffen hierzu resilientere Lieferketten. Damit maximieren wir die deutsche und europäische Handlungsautonomie. Bei Rüstungskäufen außerhalb des EU-Vergaberechts werden wir Offset-Möglichkeiten nutzen.“

Rüstungsexporte sollen zunehmen und nach „unseren Interessen“ erfolgen
Und damit die ganzen Rüstungsgüter auch profitabel ins Ausland verscherbelt werden können, ist zu lesen: „Wir richten unsere Rüstungsexporte stärker an unseren Interessen in der Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik aus.“ Die Unterstützung von Rüstungsexporten über Government-to-Government-Vereinbarungen bauen wir aus.“ Sprich, die Bundesregierung wird verstärkt selbst Rüstungsexporteur. Und „Exportkontrollgenehmigungen müssen rascher und koordinierter geprüft werden. Wir streben eine Harmonisierung der europäischen Rüstungsexportregeln an.“ Die einzige vage und interpretierbare Einschränkung ist noch: „Rüstungsexporte, bei denen ein erhebliches konkretes Risiko besteht, dass diese zur internen Repression oder in Verletzung des internationalen Rechts eingesetzt werden, lehnen wir grundsätzlich ab.“

Resümee
Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD 2025 ist ein Aufrüstungs-Koalitionsvertrag, viele gesellschaftliche Bereiche sollen militärisch nutzbar und durchsetzt werden. Das Infrastruktur-Investitionspaket, dessen Gelder auch nach militärischen Kriterien vergeben werden sollen und das hunderte Milliarden starke Aufrüstungsfinanzpaket sind strukturbestimmend. Die Bundesrepublik ist unter der Merz-Klingbeil-Regierung auf dem Weg in eine Militärrepublik.

Anmerkung
1 https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag2025_bf.pdf

Rubrik

Im Blickpunkt
Tobias Pflüger ist stellvertretender Vorsitzender der Partei Die Linke. 1996 war er einer der Initiatoren für die Gründung der Informationsstelle Militarisierung (IMI).