Politische Friedensbildung in schulischen Bildungsplänen

Auf einem Auge blind?

von Renate Wanie

Durch Kooperationsvereinbarungen von Kultusministerien mit der Bundeswehr in acht Bundesländern wird es LehrerInnen ermöglicht, Jugendoffiziere in den Schulunterricht einzuladen. Sie sollen SchülerInnen über Konflikte und Kriege in der Welt, über Einsätze der Bundeswehr im Ausland sowie über die Sicherheitspolitik der Bundesrepuplik informieren.

Aus Sicht des Netzwerkes Friedensbildung Baden Württemberg (NW FB BaWü) referieren JugendoffizierInnen hierbei einseitig die Grundzüge der aktuell herrschenden Sicherheitspolitik und zudem aus militärischem Blickwinkel. Dies widerspricht der wichtigsten Richtlinie im Schulunterricht wie auch der politischen Bildung: dem „Beutelsbacher Konsens“. Ihm liegen drei Leitgedanken zugrunde: Das Überwältigungsverbot (keine Indoktrination), das Kontroversitätsgebot und die SchülerInnen-Orientierung (den SchülerInnen müssen eigene Entscheidungen ermöglicht werden). Hierbei geht es nicht um einen Konsens zu  konkurrierenden Konzepten, sondern um Regeln für die pädagogische Praxis, die im öffentlichen Auftrag steht.
Friedensbildung in Schulen ist nach Auffassung des NW FB BaWü eine Aufgabe der LehrerInnen. Friedensbildung ist „Teil der politischen Bildung und damit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ (1). Im Rahmen der Bildungsplanrefom 2016 in Ba-Wü nahmen Mitglieder des NW FB BaWü an der öffentlichen Anhörung auf dem online-Beteiligungsportal (www.bildungsplaene-bw.de) zu den neuen Bildungsplänen für allgemeinbildende Schulen teil. Sie machten konkrete Vorschläge für den Gemeinschaftskunde- und Ethikunterricht. Erreicht wurde z.B., dass der bisherige Begriff der Sicherheitsstrategien im zukünftigen Bildungsplan durch Friedensstrategien ersetzt wurde.

Interview mit ehemaligem Religionslehrer
Friedrich Gehring, ev. Pfarrer und Religionslehrer im (Un)Ruhestand, ist aktives Mitglied im Netzwerk Friedensbildung Baden Württemberg. Dieses bat ihn, Texte zum Thema „Friedenssicherung“ zu entwerfen. Sie sollten eine Alternative sein zu den bisherigen bundeswehraffinen Materialien im Bildungsserver des Landesinstitut für Schulentwicklung Baden-Württemberg (LS).

FriedensForum (FF): Welche Erfahrungen haben Sie zunächst gemacht, als Sie dem LS Unterrichtsmaterial zur Friedenssicherung aus der Sicht der Friedensorganisationen des Netzwerks Friedensbildung anboten?

Friedrich Gehring (FG): Nachdem die Texte in den Bildungsserver eingestellt waren, wollte das LS diese mit der Bundeswehr verlinken. Als ich eine Verlinkung mit der Servicestelle Friedensbildung (2) vorschlug, wurden die Texte umgehend aus dem Server entfernt. Es erscheint so, als hätte man zunächst gemeint, ich würde für die Bundeswehr arbeiten.

FF: Wie wurde die Verweigerung der Veröffentlichung begründet?

FG: Die Veröffentlichung wurde kontrovers diskutiert. Der zuständige Leiter des Bildungsservers fand die Texte wertvoll und überstimmte die für die Qualitätssicherung zuständigen Personen zunächst. Doch dann setzten sich wieder die Kritiker durch mit der Behauptung, die Texte verstießen gegen den Beutelsbacher Konsens (siehe Einleitung).

FF: Konnten Sie die Kritik entkräften?

FG: Ich wies nach, dass die bisherigen Materialien, ja sogar eine Abitursaufgabe von 2010 gegen den Beutelsbacher Konsens verstießen.  Als ich schließlich über jeden meiner Texte eine explizite Begründung gesetzt hatte, warum das LS um des Beutelsbacher Konsenses willen die Texte veröffentlichen muss, brach der Widerstand gegen die Aufnahme meiner Entwürfe ein und das Landesinstitut sah sich gezwungen, die Texte im Server zu veröffentlichen.

FF: Auf welchem historischen Hintergrund ist die wichtigste Richtlinie im politischen Unterricht, der „Beutelsbacher Konsens“, entwickelt worden?

FG: Nach Einschätzung von Fachleuten für politischen Unterricht sollten die Bestimmungen des Beutelsbacher Konsens von 1976 vor so genannten "Radikalen im öffentlichen Dienst" schützen. Entsprechend hatte die Qualitätssicherung des LS keine Einwände gegen die völlig einseitigen Texte von Jugendoffizieren im Bildungsserver, sehr wohl aber gegen meine Texte, die vom kritischen Geist der 1968er-Bewegung geprägt sind. Die „Erziehung zur Friedensliebe“ (Art. 12 Landesverfassung Baden-Württemberg) scheint nicht im Focus des LS zu stehen.

FF: Was ist Ihnen bei Ihren Recherchen in den Bildungsplänen außerdem aufgefallen?

FG: Der Bildungsplan für allgemein bildende Gymnasien von 2016 zum Thema Friedenssicherung  erscheint aus der Sicht der Friedensbildung als Rückschritt gegenüber den Bildungsplänen von 2004, da inzwischen keine Beurteilungsaufgaben mehr vorkommen, obwohl Urteilskompetenz erreicht werden soll. Die entsprechenden Festlegungen in den Bildungsplänen von 2016 für berufliche Gymnasien wirken erfreulicher: Dort geht es um globale Sicherheit im 21. Jahrhundert, die weltweite Sicherheit mit weltweiter Gerechtigkeit verbindet.

Anmerkungen

  1. Selbstverständnis des Netzwerks Friedensbildung Baden Württemberg:
    www.netzwerk-friedensbildung-bw.de
  2. Ziel der Servicestelle ist u.a., im Bereich Friedensbildung Fortbildungen für LehrerInnen anzubieten.

Das Interview führte Renate Wanie, Delegierte der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden im Netzwerk Friedensbildung Baden-Württemberg und Redaktionsmitglied des Friedensforums.

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