Castor-Transporte, Rüstungsexporte und Atomwaffen

Aufrufe zum Ungehorsam und ihre Folgen

von Hermann Theisen

„Aufrufe zum Ungehorsam“ beschäftigen seit vielen Jahrzehnten Gerichte in ganz Deutschland. Sie umfassen Konfliktszenarien, in denen VertreterInnen oppositioneller Gruppen wie auch einzelne BürgerInnen im Protest gegen umstrittene staatliche Vorhaben zu demonstrativem Widerstand bzw. Verweigerungsverhalten aufgerufen haben. Prominente Beispiele dafür waren die Aufrufe gegen die Volkszählung, gegen die Bundeswehrbeteiligung am Kosovo-Krieg oder zur Teilnahme an Sitzblockaden vor Atomwaffenlagern.

Doch es gibt auch aktuelle Beispiele für solche Aufrufe zum Ungehorsam, und es hat dabei den Anschein, als bleibe sich die Justiz in ihrer die Grundrechte ignorierenden, verweigernden Haltung treu.

 

Aufrufe gegen Castor-Transporte
Im Herbst 2010 wird online ein Aufruf verbreitet, in dem es heißt: „Castor Schottern? Wir machen mit! Damit Castor Schottern ein Erfolg wird, wollen wir viele werden. Unterstützt mit Eurem (Gruppen-) Namen die Aktion und unterzeichnet die Absichtserklärung von Castor Schottern.“ 1497 Einzelpersonen und 283 Gruppen unterzeichnen virtuell den Aufruf, worauf die Staatsanwaltschaft Lüneburg gegen alle UnterzeichnerInnen Ermittlungsverfahren einleitet und am Ende zehn Strafbefehle beantragt, die vom Amtsgericht Lüneburg erlassen werden. Der Vorwurf lautet, „öffentlich zu einer rechtswidrigen Tat, nämlich einer gemeinschaftlichen Störung öffentlicher Betriebe“ (§ 316b StGB) aufgerufen zu haben. In den Verhandlungen vor dem Amtsgericht Lüneburg werden die Strafbefehle bestätigt und im März 2013 verwirft das Oberlandesgericht Celle die Revision eines Verurteilten, der die Strafe (15 Tagessätze) im Rahmen gemeinnütziger Arbeit ableistet. Gegen das Urteil wird Verfassungsbeschwerde eingelegt.

 

Aufrufe gegen Rüstungsexporte
Im Juli 2012 werden vor den Rüstungskonzernen Rheinmetall (Düsseldorf) und Krauss-Maffei Wegmann (München) Flugblätter verteilt, um gegen den geplanten Export von Leopard 2-Kampfpanzern an Saudi-Arabien zu protestieren. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf gibt das Ermittlungsverfahren nach Heidelberg (dem Wohnort des Flugblatt-Verantwortlichen) ab, wo es von der Staatsanwaltschaft Heidelberg eingestellt wird, da „keine zureichenden tatsächlichen Gründe für das Vorliegen verfolgbarer Straftaten zu erkennen“ seien. Die Staatsanwaltschaft München indes lässt die Flugblätter beschlagnahmen und beantragt einen Strafbefehl wegen „Ausspähens von Daten (§ 202a StGB), der Datenveränderung (§ 303 a StGB) und des Verstoßes gegen das Urhebergesetz (§ 17 I UWG)“. Im Februar 2013 verurteilt das Amtsgericht München wegen „öffentlicher Aufforderung zu Straftaten“ (§ 111 StGB). Im Juni 2013 verwirft das Landgericht München die Berufung und vertritt die Auffassung, dass der Beschuldigte „zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen“ (§ 17 UWG) aufgefordert habe. Gegen das Urteil wird Revision eingelegt.

 

Aufrufe zur Teilnahme an Sitzblockaden gegen Atomwaffen
Im April und Mai 2013 werden vor dem Atomwaffenlager Büchel Flugblätter verteilt, um zur Teilnahme an einer für August geplanten Blockade des Atomwaffenlagers aufzufordern. Das Flugblatt ist fast identisch mit einem Aufruf aus den 1980er Jahren, mit dem damals zur Teilnahme an Sitzblockaden vor dem Atomwaffenlager Hasselbach aufgerufen wurde, was zu Verurteilungen wegen einer Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) führte. Ein Verurteilter weigerte sich, die Strafe zu zahlen und wurde daraufhin in Erzwingungshaft genommen. Am darauffolgenden Tag bekam er in der JVA Mainz Besuch eines Oberstaatsanwaltes, der ihm erklärte, dass die Erzwingungshaft aufgehoben werde und von Amts wegen ein Gnadenverfahren eingeleitet werde. Der rheinland-pfälzische Justizminister Caesar gab dem Gnadenverfahren im Januar 1993 statt und im Juni 1995 wurde der Angeklagte rückwirkend freigesprochen, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Urteile wegen Nötigung als verfassungswidrig erklärt hatte. Am Ende gab es 40 DM Haftentschädigung für 2 Tage Erzwingungshaft.

Das nahezu identische Flugblatt wird im Mai 2013 während einer Verteilaktion in Koblenz von einem anwesenden Staatsanwalt beschlagnahmt, da sich inzwischen wieder eine neue Rechtsauffassung zum Nötigungsparagraphen ergeben habe, die sog. 2. Reihe-Rechtssprechung: Wird ein Militärfahrzeug blockiert, sei es keine Nötigung, werden danach (in 2. Reihe) weitere Militärfahrzeuge blockiert, so erfülle dies dann doch den Straftatbestand der Nötigung. Das Amtsgericht Koblenz erlässt im August 2013 einen Strafbefehl, womit sich nun im Herbst das Amtsgericht Koblenz der Sache annehmen muss...

 

Schlussbemerkung
Noch immer scheinen Staatsanwaltschaften und Gerichte Schwierigkeiten mit der Berücksichtigung des grundrechtlichen Einflusses bei der Feststellung strafbaren Unrechts zu haben. Gäbe es nicht schon genügend Gründe für zivilen Ungehorsam, so wäre er alleine deswegen schon gerechtfertigt!

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